MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Konjunktur-Absturz gestoppt – Unternehmen jetzt strategisch helfen

Nun ist sie angebrochen: die zweite Hälfte des Jahres 2020. Man könnte also Bergfest feiern. Unter normalen Bedingungen wäre eine wirtschaftliche Einschätzung zu diesem Moment derart ausgefallen, dass man sich nach zwei in Sachen Wachstum eher mauen Jahren über eine allmähliche Erholung in den ersten sechs Monaten gefreut hätte. Für den Rest des Jahres sähe man einer Stabilisierung dieser Dynamik entgegen.

Bekanntlich hat Corona die zu Jahresbeginn breit geteilte Aufschwungprognose  zunichte gemacht. Im April rauschten die Daten bislang am deutlichsten nach unten. Auftragseingänge, Industrieproduktion (allen voran die Automobilindustrie) sowie Exporte hatten zweistellige Minusraten. Der Handel war einstellig negativ. Und dem Abschwung trotzen konnte allein die Baubranche mit einem Plus von nicht ganz 1%.

Doch so aufschlussreich die Rückschau ist, sie taugt nur bedingt für die Zukunft. Was bei so einem dynamischen Geschehen wie den Folgen des Lockdowns interessiert, ist der aktuelle Rand. Zeigen also die zeitnahen Indikatoren weiterhin bergab oder schon wieder bergauf? Folgen dem Frühjahr des Corona-Missvergnügens ein deprimierender Sommer und Herbst? Oder scheint von nun an das sprichwörtliche Licht am Ende des Konjunktur-Tunnels? Mit anderen Worten: Vielleicht doch ein Fest feiern, ein Tal-Fest, weil der Absturz vorbei ist und der Aufstieg folgt?

Es sieht danach aus. In den letzten beiden Wochen gab es mehrere gute Nachrichten. Die Einzelhandelsumsätze kletterten im Mai um fast 14% im Jahresvergleich. Gegenüber dem Vormonat waren es fast 4%. Auch in der gesamten gewerblichen Wirtschaft machten die Umsätze einen Schritt nach oben (3,3%) Der von der Bundesbank errechnete Wöchentliche Aktivitätsindex für die deutsche Wirtschaft wurde Anfang der Woche auf -4,81% aktualisiert, nach -6,8% in der Vorwoche. Nachdem bereits die Einkaufsmanagerindizes in die Nähe der Vorkrisenniveaus geklettert und auch die ZEW-Konjunkturerwartungen deutlich gestiegen waren, verzeichnete nun der Ifo-Geschäftsklimaindex den größten je gemessenen Anstieg: von 79,7 Punkten im Mai auf aktuell 86,2. In Ostdeutschland kletterte der Ifo-Index gar auf 90,6 Punkte. Sowohl die Einschätzung der aktuellen Lage als auch der Ausblick auf die Geschäfte der kommenden Monate haben sich gemäß Ifo merklich verbessert. Gleichzeitig sank im Monatsvergleich Mai-Juni die Zahl der Kurzarbeiter um 600.000. Viele Experten, voran die Wirtschaftsweisen in ihrem Frühjahrsgutachten, sehen gute Chancen für einen V-förmigen Konjunkturverlauf.

Der Vollständigkeit halber muss man sagen, dass es andere Einschätzungen gibt. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) bleibt im Ergebnis einer Unternehmensbefragung aus der zweiten Juni-Hälfte pessimistisch. Sein Fazit lautet: Der Weg zurück auf das Vorkrisenniveau  dauert länger und ist beschwerlich; an ein V wäre nicht zu denken. In der Umfrage sind sehr stark kleinste und kleine Unternehmen repräsentiert (Betriebe mit bis zu 19 Beschäftigen haben einen Anteil an den Antworten von 61%; Betriebe bis zu 199 Beschäftigen 29%). Und hier lässt sich ein wichtiger Aspekt ablesen: Kleinere Unternehmen haben viel stärker unter den Corona-Maßnahmen gelitten und sie tun es noch. Ihre Eigenkapitaldecke ist dünner. Hilfsmaßnahmen waren nicht so sehr auf sie zugeschnitten. In den Lieferketten sind sie oft das schwächste Glied.

Der Mittelstand, auch und gerade der kleinere, ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Mit ihm steht und fällt der Aufschwung. Daher ist es unerlässlich, seine Sorgen ernst zu nehmen. Und die liegen auf der Finanzierungsseite. In der DIHK-Umfrage gibt fast die Hälfte der Unternehmen an, dass die Corona-Krise das Eigenkapital in Mitleidenschaft gezogen hat. Selbst wenn die Geschäfte von nun an besser gehen und Liquiditätslücken geschlossen werden, rund und hochtourig läuft der Konjunkturmotor noch nicht, Eigenkapitalaufbau liegt in weiter Ferne.

Deshalb sollte die Politik zügig über eine zweite Welle nachdenken, eine Welle der Eigenkapitalhilfen, gerade für kleine Unternehmen, die durch Corona unverschuldet in schweres Fahrwasser gekommen sind. In Ostdeutschland unterhalten alle Landesregierungen Beteiligungsgesellschaften. Hinzu kommen die Mittelständischen Beteiligungsgesellschaften der Bürgschaftsbankenseite. Natürlich liegt der Fokus dieser Institutionen auf Wachstums- und Innovationsförderung bei den Unternehmen. Aber nichts spricht dagegen, sie in der jetzigen Situation für die Überlebensförderung einzusetzen.

Auch die Instrumente sind bekannt: Mezzanine-Kapital, partiarische Darlehen oder Stille Beteiligungen, Genussrechte und mehr. Gemeinsam mit Förder- sowie Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken lassen sich geeignete Wege finden, um erstens bereits vergebene Kredithilfen umzuwandeln und zweitens erstmalige Eigenkapitalunterstützung zu gewähren.

Denn die anspringende Nachfrage ist die notwendige Bedingung für einen gelingenden Aufstieg aus dem Corona-Konjunkturtal. Die hinreichende Bedingung ist, den Unternehmen die Finanzierungssorgen zu nehmen, gerade wenn es um Investitionen geht. Die aktuellen Erfahrungen zeigen bei diesem Thema große Zurückhaltung. Hier kann Politik wirksam helfen, denn Wirtschaft besteht laut Ludwig Erhard zu 50 Prozent aus Psychologie. Wer sich erst einmal keine Gedanken über die Rückzahlung seines Hilfskredits machen muss, kann sich besser auf das laufende Geschäft und die Unternehmensstrategie konzentrieren.

In Prag auf der Karlsbrücke haben in dieser Woche Menschen tatsächlich ein Fest gefeiert und damit die Corona-Krise für beendet erklärt. Warum von politischer Seite nicht ein ähnliches Signal setzen und nach der Phase der Akuthilfe jetzt die Phase der strategischen Eigenkapital-Unterstützung ausrufen.

Dr. Alexander Schumann

Alexander Schumann ist Volkswirt und Journalist und war zuletzt Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Er berät den Ostdeutschen Bankenverband in volkswirtschaftlichen Themen.

Veröffentlichung: 2. Juli 2020

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