Das Rückgrat des Osten - Aufbauprogramm für Hotellerie und Gastronomie

In unserer Reihe KLARTEXT lesen Sie persönliche Meinungen und Denkanstöße.

Heute von:

Dr. Clemens Ritter von Kempski
Geschäftsführer der Ritter von Kempski Privathotels GmbH

Die Pandemie erzeugt derzeit extreme Gegensätze: Während weite Teile der Industrie längst wieder im Aufschwung sind, schlägt bei Hoteliers und Gastronomen ein gewaltiges Umsatzminus zu Buche. Die verhagelten Bilanzen des Corona-Jahres 2020 erschweren zusätzliche neue Investitionen ausgerechnet in einer Branche, ohne die viele ländliche Regionen in Ostdeutschland ins Abseits geraten könnten. Clemens Ritter von Kempski, Vier-Sterne-Hotelier im Südharz, fordert daher von der zukünftigen Bundesregierung eine besondere Aufbauhilfe.

Clemens Ritter von Kempski steht vor dem hellen Portal seines Naturresorts Schindelbruch, umgeben von dichten Wäldern am Großen Auerberg und heißt neue Gäste willkommen. Der Mann im grünen Janker hat das alte „Harzhotel im Schindelbruch“ im Südharz zum ersten klimaneutralen Hotel Mitteldeutschlands ausgebaut und es zu einem der führenden Wellnessorte in Deutschland gemacht. Das Vier-Sterne-Superior-Resort ist nach der Wiedereröffnung im Juli 2021 auch in Pandemiezeiten gut gebucht, gerade jetzt, wo sich die Bäume des Anwesens herbstlich färben. Dennoch macht sich der Hotelier Sorgen um Ostdeutschlands Wirtschaft – große Sorgen.

Der erfahrene Betriebswirt und Mediziner hat daher ein Rettungskonzept für die Hotellerie und Gastronomie im Osten vorgelegt, das in der Magdeburger Staatskanzlei von Reiner Haseloff (CDU) ebenso bekannt sei wie im Bundeswirtschaftsministerium von Peter Altmaier (CDU) – allerdings in Berlin inhaltlich noch nicht angekommen sei. „Es geht um nicht weniger als ein Aufbauprogramm, das sicherstellen muss, dass die Betriebe auch in zwei bis drei Jahren noch genügend Substanz haben“, sagt Kempski.

Sein Kernanliegen ist ein staatlicher Ausgleich der verhagelten Bilanzen des Pandemie-Jahres 2020. „Die Bonität der krisengeschüttelten Branche ist bei Fremdkapitalgebern schwer angeschlagen. Ohne eine ordentliche Bilanz können die traditionell Eigenkapital schwachen Betriebe in Ostdeutschland kaum Kredite und Unterstützung erwarten, um in neue Qualität und in die Zukunft zu investieren“, betont der Ritter. „Dabei kann die Politik jetzt konkret und wirksam helfen.“ Er wünsche sich, so der Unternehmer, dass sein Vorstoß zum Thema in den Koalitionsverhandlungen für eine neue Bundesregierung wird. „Die Lockdown-Strategien mit den politisch verordneten Sonderopfern der Hotellerie und Gastronomie haben zu existenzbedrohenden Situationen geführt“, sagt Kempski. „Betroffen sind in hohem Maße kleine und mittlere Unternehmen, die das Rückgrat der ostdeutschen Regionen bilden, aber unverschuldet in diese Krise geraten sind.“ Für sie sei eine praktikable Lösung dringend gefragt, die schleichende Insolvenzen und stille Betriebsaufgaben wirksam verhindert.

Naturresort Schindelbruch
Romantik Hotel FreiWerk in Stolberg

Für Kempski ist solches Engagement nicht zuletzt eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens Ostdeutschlands. „Ohne Hilfen machen die letzten Pensionen und Gasthäuser in den Dörfern bald das Licht aus“, sagt Kempski. „Und ohne touristische Infrastruktur gibt es keine neuen Ansiedlungen.“ Der Tourismus sei in ländlichen Gebieten ein zentraler Impulsgeber für die Attraktivität und Lebensqualität der Region und ein Motor für die Wirtschaftsentwicklung. „Stirbt der Tourismus, geraten viele Regionen über Jahrzehnte ins Abseits. Denn erst die touristische Nachfrage ermöglicht einen stabilen, wirtschaftlichen Betrieb von Kultur-, Freizeit-, Dienstleistungs- und Handelsangeboten, die sonst kaum aufrechterhalten werden können.“ Zudem werde die Gesellschaft einen hohen Preis dafür bezahlen, wenn sich Teile der Bevölkerung, die sich vergessen fühlen, weiter radikalisieren, sagt der Hotelier, der sich auch als partei- und fraktionsloser Gemeinderat in der Gemeinde Südharz engagiert.

Der Betriebswirt legt Wert darauf, dass sein Konzept wirtschaftlich durchgerechnet und auch vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag bestätigt sei. Auch die Hauptgeschäftsführerin des DEHOGA-Bundesverbandes sei involviert. Der Hauptgeschäftsführer der IHK Halle-Dessau, Thomas Brockmeier, habe das Konzept beim Ostdeutschen Wirtschaftsforum in Bad Saarow vorgestellt. „Jene Betriebe, die von einer Umsetzung dieses Vorschlages besonders profitieren würden, haben eine Ankerwirkung für den ländlichen Raum, in dem rund 80 Prozent der Menschen in Ostdeutschland leben“, betont Brockmeier.

Kempskis umfassendes Konzept bezieht einerseits alle geflossenen Hilfsgelder, Versicherungsentschädigungen und Monatsgewinne aus dem Jahr 2020 sowie andererseits die Löhne und Kosten mit ein, die zur Aufrechterhaltung des Betriebs nötig waren. Ausgebliebener Jahresgewinn soll nicht kompensiert werden und Unternehmen, die in den Vorjahren Verluste erwirtschaftet haben, sollen nur einen Ausgleich bis zur Höhe ihrer durchschnittlichen Verluste von 2017 bis 2019 bekommen. Es gehe ihm nicht um zusätzliche Haushaltsressourcen, betont der Ritter. Genutzt würden vor allem jene Finanzmittel, die ansonsten für zu erstattende Verlustrückträge benötigt würden. „Diese Verteilung vorhandener Mittel ist manipulationssicher und sozialverträglich. Sie hilft vor allem kleineren familiengeführten Unternehmen, die im Dschungel der Förderrichtlinien hilflos sind“, betont Kempski. Durch die einfache, transparente Systematik werde der Prüfungsaufwand der Unterstützungshilfen stark minimiert, Behörden und Unternehmen würden direkt entlastet. „Berücksichtigt man drohende, aber abwendbaren Kollateralschäden durch Insolvenzen und den Verlust wichtiger Impulsgeber im ländlichen Raum, ist diese gezielte Verteilung staatlicher Mittel absolut gerechtfertigt und unter dem Strich kostenneutral“, so Kempski.

Der Hotel-Inhaber ist ein Seiteneinsteiger der Branche. Der 58-jährige, einstige Düsseldorfer hat als junger Mann Medizin in Wien, Boston und London studiert, arbeitete als Internist und Chirurg, ehe ihn die Boston Consulting Group anheuerte. Später absolvierte er seinen MBA in Lausanne, machte sich selbstständig und sammelte Erfahrungen mit der Sanierung von Kliniken. Bis heute betreibt er zudem eine Mutter-Kind-Kurklinik im Sauerland. Nachdem er in den 1990er Jahren Forstwirtschaft im Osten erwerben konnte, stieg er in die Hotellerie ein, übernahm 2003 das Areal des insolventen „Harzhotels im Schindelbruch“ und baute es zum hochklassigen Wellnessresort aus. 2019 kam das heutige „Romantik Hotel FreiWerk“ im nahen Stolberg hinzu. „Unsere Häuser kommen bislang gut durch die Krise“, betont Kempski. „Aber viele ostdeutsche Häuser in der Fläche brauchen besondere Unterstützung.“

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: Ritter von Kempski Privathotels GmbH)

Veröffentlicht: 31. August 2021

 

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