MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Comeback der Inflation: Luftnummer oder Dauerdruckanstieg?

Während die Corona-Zahlen weiter abflauen, werden an anderer Stelle die Daten aufgepumpt: bei der Preisentwicklung. Die Inflation ist zurück, heißt es. Jenes Phänomen, dessen Begriff sich vom lateinischen inflare –  aufblasen oder hineinblasen – ableitet und welches der ein oder andere Ökonomieprofessor bereits ins Reich des Vergessens abschieben wollte. Und tatsächlich war von diesem breit angelegten und kontinuierlichen Anstieg der Preise für Güter und Dienstleistungen über lange Zeit kein Lebenszeichen zu vernehmen.

Die Europäische Zentralbank verfolgt gemäß ihrem Auftrag die Wahrung der Preisstabilität und macht diese an einer Inflationsrate unter, aber nahe 2% fest. Niedrigere Raten sind schlecht für das Wachstum, da bei schwach steigendenden Preisen niemand so richtig investieren will. Zu hohe Raten sind es auch, denn Inflation frisst Kaufkraft auf, die Wirtschaft stagniert oder schrumpft.

Die (vorläufige) Veränderungsrate für Juni des Verbraucherpreisindex, ein gängiges Inflationsmaß, beträgt hierzulande laut Statistischem Bundesamt 2,3% gegenüber dem Vorjahr. Im Mai waren es 2,5%, davor 2,0% bzw. 1,7%. So weit ist das nicht ungewöhnlich, in den zurückliegenden Jahren stand immer mal eine 2 vor dem Komma – über ein paar Monate hintereinander allerdings zuletzt Ende 2012. Schaut man sich die Prognosen für das Gesamtjahr an, so rechnen die meisten Institute mit einem fortgesetzten Aufwärtstrend: die Ausblicke liegen in der Spitze bei 2,8%.

In der Eurozone ist ebenfalls ein Anziehen der Inflation zu beobachten, zuletzt von 1,9% (zuvor 2% und 1,6%). Doch richtig kräftige Backen hat die US-Wirtschaft gemacht: im Mai lag die Rate bei 5% (yoy) und damit auf dem höchsten Wert seit 2008.

Dass es mit den Preisen nach oben geht, war bereits Anfang des Jahres ein Thema. Weil der Corona-Lockdown 2020 ein ziemlicher Konjunkturschock war, rauschte auch die Inflation talwärts und zwar von 0,9% im April auf -0,3% im Dezember. Damit ist die Deutlichkeit der Trendumkehr zum einen auf einen Basiseffekt zurückzuführen: Die Absprungzone für die Inflationsmessung im Vorjahr ist niedrig, jeder Schritt nach oben wirkt relativ gesehen groß. Hinzu kommen weitere Sonder-Faktoren wie die Rückkehr der Mehrwertsteuer auf 19%, die Einführung der CO2-Abgabe (was sich an der Tankstelle und bei der Heizrechnung niederschlägt), ein Anstieg der Energiepreise generell sowie ein Plus bei Nahrungsmitteln.

Da der größte Feind hoher Preise hohe Preise sind (will heißen, mit anhaltendem Preisauftrieb treten zusätzlich Anbieter in einen Markt, nämlich jene, deren Grenzkosten durch die nun plötzlich erzielbaren Erlöse mindestens gedeckt werden) klingen Stimmen wie die von Bundesbankpräsident Dr. Jens Weidmann plausibel: Ein Anziehen der Preise auf breiter Front, so der oberste Währungshüter unseres Landes, sei unwahrscheinlich – und selbst wenn, dann müssten in einer zweiten Runde deutliche Lohnsteigerungen hinzukommen, um die Inflation fortgesetzt nach oben zu treiben. Diese Erzählweise überwiegt momentan.

Aber, und dieses Aber müsste eigentlich in Großbuchstaben gehalten sein, was wenn nicht? Hier einige Punkte, die für das Szenario einer tatsächlichen und nicht nur temporären Rückkehr zu deutlich höheren Inflationsraten sprechen.

Da ist zum einen der Fakt, dass Zweitrunden-Effekte bei den Löhnen und Gehältern nicht per se ausgeschlossen sind. Vielmehr kommt es darauf an, was die Arbeitnehmerseite erwartet. Führt der aktuelle Preisauftrieb zu der Erwartung „Das bleibt so“, dann dürften kräftigere Schlucke aus der sprichwörtlichen „Lohn-Pulle“ durchaus möglich sein. Für eine Erwartungsbildung in diese Richtung sprechen die Erzeugerpreise, also die Preise, welche sich im späteren Zeitverlauf in den Verbraucherpreisen widerspiegeln. Hier messen die Bundesstatistiker 7,2% (für Mai, nach 5,2 % und 3,7%).

Weiteres Indiz: Bei der Geldmenge hat sich ein wahrer Corona-Berg aufgetürmt. 2020 legte z.B. das Aggregat M3 um in der Spitze über 12% zu. Mittlerweile hat sich dieses Anschwellen etwas gelegt. Der letzte Zuwachs lag bei 8,4%. Nichtsdestoweniger haben die zahlreichen Hilfsprogramme viel Geld ins System gepumpt, obwohl gleichzeitig weite Teile der Wirtschaft im Lockdown verharrten. Die spannende Frage ist, was passiert, wenn dieser Berg in Richtung Nachfrage rutscht – bei gleichzeitigem nicht sofort ausweitbarem Angebot. In den USA stieg das reale verfügbare Einkommen im Corona-Rezessionsjahr (mit sinkendem nominalen BIP) um 5%.

Schließlich: Die Industrieländer haben enorme Schuldenberge aufgetürmt, bereits vor der Corona-Pandemie und erst recht währenddessen. Ein Zusammenspiel von ultra-niedrigen Zinsen und anziehender Inflation lässt bei den realen Schulden Luft raus. So mancher Finanzminister dürfte diese Mischung nicht unattraktiv finden. Und jene, die mit dem Zinshebel regulieren könnten, die Notenbanken, schauen sich die Preisentwicklung erst einmal an. Jerome Powell, Präsident der Federal Reserve, hat unlängst vor dem US-Kongress demonstrative Gelassenheit gezeigt angesichts der weiter oben bereits genannten Inflationsrate von 5%. In der Eurozone liegen Zinsanhebungen angesichts der Notwendigkeit, das Corona-Tal der Konjunktur zu verlassen, gleichfalls in weiter Ferne.

Nimmt man diese Punkte zusammen, so erscheint eine fortgesetzt steigende Inflationsrate für die entscheidenden Volkswirtschaften nicht unbedingt als Basis-Szenario. Aber als Möglichkeit sollten es alle Akteure, die sich an das Motto „Vorsicht ist die Mutter der Porzellan-Kiste“ halten, im Hinterkopf haben. Und in einem halben Jahr schauen wir, ob die Wirtschaft noch immer dicke (Preis-)Backen macht.

Autor: Dr. Alexander Schumann, Leiter Politik und Konjunktur, Sonderprojekte

Veröffentlichung: 01. Juli 2021

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