Mittelstand / Wirtschaftsentwicklung

Corona-Virus und die Weltwirtschaft – ein Ausblick im Konjunktiv

Man muss sich sehr zusammen reißen, bei einem Text über die Auswirkungen des Coronavirus auf die Konjunktur nicht auf Sprachbilder aus der Medizin zurückzugreifen. So verlockend Analogien wie „Ansteckung“, „Fieberschub“, „Patient“ oder ähnliches sind, so wenig treffen sie ins Schwarze. Anstecken kann sich die Wirtschaft nicht, beim Fieber steigt die Temperaturkurve, während eine schwächere Konjunktur oder gar eine Rezession gern mit Abkühlung beschrieben werden. Und anders als einem Patienten kann man einem Börsenkurs nicht mit Medikamenten oder mit Bettruhe wieder auf die Beine helfen.

Trotz schiefer Sprachbilder ist natürlich die Frage legitim und spannend, welche Konsequenzen für die Konjunktur im Weltmaßstab oder auch auf regionaler bzw. nationaler Ebene mit dem Ausbruch von COVID-19 einhergehen. Zumal nach einer Schwächephase  – ausgenommen im Bau- und Immobiliensektor – in den zurückliegenden Jahren, verursacht durch Handelskonflikte und geopolitische Krisen, 2020 das Jahr des konjunkturellen Schwungholens werden sollte. An den internationalen Finanzmärkten beispielsweise hatten viele Beobachter schon Entwarnung gegeben. Die Indizes kletterten auf neue Höchststände. In der letzten Februarwoche aber führte die Angst vor der Corona-Virus-Pandemie plötzlich zu einem riesigen Ausverkauf und ließ die Kurse in Summe um 5 Billionen US-Dollar abstürzen, die (Buch)gewinne waren dahin.

Geht es um die tatsächliche Wirtschaftsleistung, dann lehrt die Erfahrung früherer weltweiter Erkrankungswellen, dass das Wachstum durchaus in Mitleidenschaft gezogen wird. Allerdings hilft die historische Retrospektive nur bedingt. Denn Ausbrüche von SARS (Schweres Atemwegs-Syndrom) und der Vogelgrippe am Anfang sowie der Schweinegrippe am Ende der Nuller-Jahre überschnitten sich mit anderen Negativ-Impulsen wie dem Zweiten Golfkrieg oder der Finanzkrise nach der Lehman-Pleite. Noch finden sich im Internet zahlreiche damalige Beiträge, die Konjunktureinbrüche befürchten und damit der Berichterstattung von heute ähneln. Zurückgeblickt hat jedoch scheinbar niemand, denn ob es wirklich so schlimm gekommen ist – dazu findet man nichts.

Im Grunde ist das nachvollziehbar. In einem komplexen System wie Wirtschaft lässt sich ein einzelner Einflussfaktor kaum isoliert betrachten. Auch aktuell liefern einzelne Indikatoren ein unklares Bild. Für die USA, die größte Volkswirtschaft der Welt, stimmen die Daten momentan eher optimistisch. Auf der anderen Seite rauschte ein Frühindikator für den Welthandel wie der Baltic Dry-Index (er misst Preise für Schiffstransporte von Schüttgütern, also Rohstoffen oder Vorprodukten) auf ein Vier-Jahres-Tief.

Erhellender in der aktuellen Diskussion sind daher Szenarien, die sich nach Dauer und Reichweite der Pandemie unterscheiden. Alle diese möglichen Entwicklungslinien gehen von einer Verlangsamung der wirtschaftlichen Aktivität im Zuge der Krankheitsausbreitung aus. Mit China wurde die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt am härtesten getroffen. Sie ist mit fast 20 Prozent Anteil am kaufkraftbereinigten Welt-BIP eine der Haupt-Wachstumstreiber. Wie viel langsamer es werden kann, das richtet sich also danach, wie schnell China die Epidemie überwindet.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) blickt auf die entwickelten Industrieländer. Sie nimmt in ihrem Basis-Szenario, das von einem Höhepunkt der Corona-Epidemie in China bereits im ersten Quartal 2020 sowie von weniger heftigeren Verläufen in anderen Ländern ausgeht, einen Rückgang des weltweiten Wachstums von um die drei Prozent auf 2,4 Prozent an. In China selbst würde das BIP statt knapp über sechs Prozent, nur um etwas unter fünf Prozent wachsen. In der Eurozone fällt die Einbuße am geringsten aus. Doch für alle Regionen gilt: Erst 2021 findet laut OECD die Wirtschaft auf den alten Wachstumspfad zurück.

2020 könnte also als Jahr der Konjunktur-Erholung ausfallen. Eine tiefe Rezession ist unwahrscheinlich, denn die Regierungen verfügen über das notwendige Instrumentarium, um Einkommensausfälle zu kompensieren – und nach den zurückliegenden Krisen an den Finanzmärkten oder mit dem Euro auch über einige Erfahrung in deren Einsatz. Kommt es ganz hart, dann könnte  Deutschland beispielsweise die Zahlung von Kurzarbeitergeld wieder ausdehnen. Ein Mittel, das bereits nach der Lehman-Pleite geholfen hat, nicht noch tiefer ins Wachstumsminus abzurutschen und dann auch wieder ganz schnell da rauszukommen.

Noch muss man auf den Konjunktiv hinweisen, in dem all die Ausblicke gehalten sind. Harte Fakten liefern erst die tatsächlichen Wirtschaftsdaten für Q1, die im mittleren Frühjahr veröffentlicht werden. Bis dahin gilt es, wachsam aber besonnen zu sein. Das ist ein guter Rat für den Blick auf die Weltwirtschaft als im Übrigen auch für die eigene Gesundheit. Für ein knackiges Schlussfazit soll hier BMW-Finanzchef Nicolas Peter zitiert werden. Der meinte Anfang der Woche auf die Frage nach den Auswirkungen von COVID-19 für das gesamte Jahr 2020: „Das ist Glaskugellesen momentan.“ Manchmal können Sprachbilder sehr gut passen.

Alexander Schumann ist Volkswirt und Journalist und war zuletzt Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Weitere Berufsstationen waren u.a. die Bundesagentur für Arbeit, die Bertelsmann Stiftung, die portugiesische Banco Espírito Santo sowie der Mitteldeutsche Rundfunk. Er berät den Ostdeutschen Bankenverband in volkswirtschaftlichen Themen. Alexander Schumann lebt mit seiner Familie in Leipzig.

 

OSTBV VERTEILER

Bleiben Sie informiert!

Jetzt haben Sie die Möglichkeit, sich in unseren Verteiler eintragen zu lassen. Somit sind Sie immer auf dem Laufenden, was Ostdeutschland bewegt.