MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Entspannung bei Energiepreisen nicht in Sicht – Inflation belastet weiter Konjunktur

Der schnelle Post-Corona-Aufschwung fällt aus. Die Wirtschaftsweisen (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) korrigieren in ihrer aktualisierten Konjunkturprognose das Wachstum für 2022 herunter auf dürre 1,8 Prozent (zuvor 4,6 Prozent). Hauptgrund für die deutlich schwächere Dynamik ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Er führt zu erhöhter Unsicherheit und dämpft damit Investitionen; er verringert die Haushaltsspielräume und er hält die Inflation auf hohem Niveau: aktuell bei heftigen 7,3 Prozent. Denn die Preise für Erdöl und Erdgas sind in der Folge des Überfalls nach einmal deutlich nach oben geklettert.

Wurden hierzulande die beiden fossilen Energieträger bis vor kurzem noch als Auslaufmodelle angesehen, Gas auf der energiepolitischen Agenda allenfalls als Übergangsmedium geduldet, rückt die aktuelle Entwicklung die Perspektiven zurecht: ohne Öl und Gas geht nichts. Die Preisentwicklung am Weltmarkt für Erdöl (und Erdgas, denn beide Rohstoffe sind über die Wertschöpfungsketten und Preismechanismen miteinander verknüpft) hat enormen Einfluss auf die konjunkturelle Entwicklung. Die von verschiedenen Seiten vorgebrachte Forderung, Deutschland solle den Öl- und Gasbezug aus Russland einstellen, wird selbst von Robert Habeck als grünem Wirtschaftsminister gekontert: Die Folgen für Wohlstand und Jobs wären fatal. Und immer drängender wird die Frage, wann sich die Preissituation entspannt.

Wer an die späten 1970er und die 1980er Jahre noch Fernseherinnerung hat, dem sagen die US-Serien „Dallas“ oder „Denver Clan“ ganz sicher etwas. Beide drehten sich um Familien, die sehr schwierig, aber auch sagenhaft reich waren. Zudem war die Quelle des Reichtum in beiden TV-Stücken gleich: Erdöl. „Dallas“ und „Denver Clan“ prägten die Wahrnehmung der Ölindustrie: In den Weiten Amerikas standen Bohrtürme herum, die unaufhörlich Schwarzes Gold zu Tage förderten. Genauso einfach flossen die Erdöl-Dollars.

Keine Fiktion, aber neben den TV-Serien genauso prägend was den Blick auf die Erdölbranche anbelangt, ist seit den 1960er Jahren die OPEC. Der Zusammenschluss erdölproduzierender Staaten ist seit der ersten Ölpreiskrise 1973 immer dann in aller Munde, wenn an den Tankstellen die Preisaushänge spürbar nach oben angepasst werden. Die derzeit 13 Mitglieder zeichnen sich gegenwärtig für 35 Prozent der Welterdölproduktion verantwortlich.

Die US-Ölindustrie und die OPEC tauchen in dieser Analyse auf, weil sie neuralgische Player am Markt von Erdöl und Erdgas sind. Dass die OPEC einen beträchtlichen Einfluss auf die Ölpreisbildung hat, wird niemand in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik bestreiten. Dass die USA als weltweit größter Erdölproduzent dazu ein Gegengewicht bilden, ebensowenig. Ein Ausblick auf die Lage am Erdölmarkt muss die beiden Player beleuchten.

Mittels Festlegung von Höchstfördermengen versucht die OPEC, den Ölpreis in gewisser Weise zu steuern. Ein hoher Preis sichert hohe Einnahmen. Allerdings nutzen dies die OPEC-unabhängigen Förderländer auch, weiten ihr Angebot aus und bilden eine Gegenkraft auf dem Weltmarkt – nicht zuletzt die US-Produzenten. Russland ist kein OPEC-Mitglied, allerdings agieren beide Player abgestimmt. So lehnt die Organisation aktuell eine Erhöhung der Förderquoten ab und fixiert den Preis auf seinem hohen Niveau – was Russland als immerhin drittgrößtem Erdölförderstaat der Welt den Rücken frei hält. Die russischen Öl- und Gaseinnahmen machten in den zurückliegenden Jahren nicht weniger als zwischen 15 und 20 Prozent des BIP aus.

Die aktuelle Lagebeschreibung verheißt zunächst also nichts Gutes für die Kraftstoff- und Energiepreise hierzulande und damit für die wirtschaftliche Erholung. Der Preis für ein Barrel der Nordseeölsorte Brent liegt bei rund 115 US-Dollar. Wählt man zum Vergleich den Preis im Dezember 2019, also kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, so ergibt sich nahezu eine Verdoppelung. Vom Tiefpunkt im April 2020 aus gerechnet, als man für ein Barrel um die 25 US-Dollar zahlte, sind es mehr als viermal so viel. Die OPEC hat keinen Grund, an eine Anhebung der Förderquoten zu denken.

Allerdings gibt es wie gesagt weitere Akteure am Weltmarkt, unter anderem die Nachfolger jener US-Ölbarone, die für die alten TV-Charaktere Vorbild waren. Die Ölförderung in den USA hat sich technologisch tiefgreifend gewandelt. Die großen, einfach zugänglichen und mit überschaubarem Aufwand auszubeutenden Vorkommen gibt es nicht mehr. Anfang der 2000er Jahre fand allerdings in den USA die Fracking-Revolution statt. Diese Technologie, genauer das hydraulic fracturing, ermöglicht die Nutzung von Lagerstätten in schwierigen geologischen Formationen, die zu früheren Zeitpunkten als unzugänglich galten. Mittels horizontaler Bohrungen und dem Einpressen von Flüssigkeiten und Sand unter hohem Druck werden diese Erdöl- und Erdgaslager „aufgeknackt“ und können gefördert werden. Rund 70 Prozent der US-Fördermenge wird auf diesem Weg gewonnen.

Fracking ist jedoch sehr preissensibel, denn verglichen mit der herkömmlichen Technologie liegen seine Kosten deutlich höher, bedingt durch technischen Aufwand und dem notwendigen häufigen Wechsel des Förderortes. Die OPEC wollte sich den Kostenhebel vor rund acht Jahren zunutze machen und mit auf Preisverfall angelegten Förderquoten die Fracking Konkurrenz schwächen. Da der Ölpreis sich in kurzer Zeit halbierte, wurde Fracking vielerorts unrentabel.

Beim aktuellen Ölpreis ist dies nun genau umgekehrt und frakturiert gewonnenes Öl und Gas bringen eine gute Rendite. So könnte sich durch Angebotsausweitung binnen mittlerer Frist der Weltmarktpreis rasch wieder zurück auf das Niveau vor dem Kriegsbeginn bewegen. Leider steht das im Konjunktiv, denn es gibt ein KO-Kriterium: Die Fracking-Unternehmen haben in den zurückliegenden Jahren ihre Investitionen zurückgefahren. Debatten zu Umweltschäden infolge von Fracking und Corona-Konjunktureinbruch hielten sie vom Erschließen neuer Förderstätten sowie der Modernisierung des Equipments ab. Nur ganz wenige Akteure können aktuell ihre Förderkapazität hochfahren. Hinzu kommen noch die auch für Rohstoffe geltenden Logistikengpässe.

Das unangenehme Fazit lautet: Betrachtet man das Öl- und Gasmarkt-Setting, so sitzt die preistreibende Seite momentan am längeren Hebel. Bleiben Deeskalationsschritte zwischen Russland und der Ukraine aus, treiben die Energiepreise weiterhin die Inflation – und bremsen die Konjunktur. Die Wirtschaftsweisen dürften dann wohl nicht zum letzten Mal ihre Prognose nach unten korrigiert haben.

Autor: Dr. Alexander Schumann, Leiter Politik und Konjunktur, Sonderprojekte

Veröffentlichung: 31. März 2022

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