MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Europas Wirtschaft helfen! Aber wie?

Alexander Schumann ist Volkswirt sowie Journalist und war zuletzt Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Er berät den Ostdeutschen Bankenverband in volkswirtschaftlichen Themen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben in einer gemeinsamen Initiative einen 500 Mrd. Euro-Fonds zum, wie es heißt, Wiederaufbau nach der Corona-Krise vorgeschlagen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den Fonds auch gleich in ihre Anti-Corona-Initiative eingebaut und noch zusätzliche Mittel von 250 Mrd. Euro ausgelobt. Was halten Sie generell von der Idee?

Dass es neben der ideellen Solidarität in der EU, wie sie sich z.B. in der Behandlung von Corona-Patienten aus Frankreich oder Italien auf deutschen Intensivstationen ausgedrückt hat, auch eine finanzielle Solidarität geben muss, steht außer Frage. Im Übrigen ist es ja nicht so, dass es der EU an solch einer Solidarität mangelt. Die gesamte Strukturpolitik ist genau von diesem Solidaritätsgedanken getragen.

Die Corona-Krise ist natürlich eine noch nie dagewesene Herausforderung. Zwar ein symmetrischer Schock, aber er trifft die EU-Mitglieder in unterschiedlichen Ausgangslagen – für die die unterschiedlichen Länder zu einem gewissen Maß natürlich selbst Verantwortung tragen.

Deutschlands Staatsfinanzen sind dank der starken wirtschaftlichen Jahre seit der Finanzkrise 2008/2009 solide aufgestellt. Man kann es nicht oft genug sagen: Das ist das Ergebnis von Strukturreformen. Die letzten hierzulande liegen allerdings auch schon wieder fast 20 Jahre zurück. Andere Länder stecken noch mittendrin oder stehen größtenteils sogar ganz und gar vor einem solchen Fitness-Programm.

Ich spüre aktuell sehr deutlich, dass das öffentliche Bewusstsein für grundlegende ökonomische Zusammenhänge nicht unbedingt fehlt aber doch verbesserungsbedürftig ist. Wir können die Augen vor einer grundlegenden Tatsache nicht verschließen: Wohlstand kommt aus Wettbewerbsfähigkeit. Und die fällt nicht vom Himmel, sondern muss in der Wirtschaft, aber eben auch in der Politik „hergestellt“ werden. Sie ist das Fundament von gesunden Staatsfinanzen, die im Fall einer Krise Spielräume zum Gegensteuern von politischer Seite geben.

Um finanziellen Spielraum geht es auch bei der Idee des Corona-Wiederaufbau-Fonds. Ganz neu ist der Ansatz, die Hilfsmittel nicht etwa als Kredite, sondern als Zuschüsse zu gewähren. Man kann auch Geldgeschenk dazu sagen. Begründet wird das damit, dass die Corona-Probleme unverschuldet sind. Kritiker allerdings meinen, hier werde unter dem Vorwand der Pandemiefolgen-Bekämpfung Haushaltssanierung betrieben – auf Kosten fremder Steuerzahler. Welcher Seite neigen Sie zu?

Ich will die Frage grundsätzlicher beantworten: Bislang darf die EU keine eigenen Schulden machen. Denn es fehlt die direkte demokratische Rechtfertigung und Kontrolle dafür. Für viele ist das eine Binsenweisheit, ich will es trotzdem anführen: Das Demokratieprinzip verlangt für staatliches Handeln die Kontrolle durch den Souverän, das Volk. Dieser Mechanismus greift nicht auf EU-Ebene, nur auf Ebene der Mitgliedstaaten. Ursula von der Leyen will, dass die EU die Schulden aufnimmt, aus denen der Corona-Fonds finanziert wird. Das ist der erste Knackpunkt in dieser Hinsicht.

Dann kommt noch eins oben drauf: Sie sagt, die EU brauche für die Rückzahlung eigene Einnahmen. Von einer Digitalsteuer oder von einer Abgabe für nicht-recyclebare Plastik ist die Rede. Dazu sollen Einnahmen aus dem Handel mit CO2-Zertifikaten und eine Verschmutzungsabgabe im Handel mit Drittstaaten kommen. Das sind alles Bereiche, wo derjenige, der zahlen soll, nicht demokratisch mitbestimmen kann.

Die nächste spannende Frage ist: Wie würden diese Zuschüsse verteilt? Was sind die Kriterien? Fließt das Geld in nationale Haushalte, dann gibt es keine Zweckbindung, das ist ein Haushaltsgrundsatz, das Nonaffektationsprinzip. Das wäre höchstproblematisch aus meiner Sicht.

Oder die Mittel fließen direkt in Projekte zum Wiederaufbau – wobei dieser Begriff nicht passend ist. Wer setzt dann aber die Prioritäten? Denn 500 Mrd. Euro sind zwar eine stattliche Summe. Aber im Gesamtmaßstab auch nicht so reichlich, dass alle alles finanziert bekommen können, um es mal überspitzt zu formulieren. Es muss ausgewählt werden, welches Land für welchen Wiederaufbauzweck Geld bekommt und wieviel.

Noch einmal anders gefragt: Trägt die Idee der direkten Zuschüsse nicht dem Fakt Rechnung, dass die Volkswirtschaften in der EU so stark verwoben und untereinander abhängig sind, dass die Hilfe in einem Land gleichzeitig auch den anderen, also den Wirtschaftspartnern zugute kommt?

Ja, die Wirtschaftsbeziehungen in der EU sind komplex und von gegenseitiger Abhängigkeit geprägt. Der Hauptteil unserer Exporte geht zusammengenommen in Länder, die unsere EU-Partner sind.

Die Kritik an der Initiative setzt auch nicht an der Hilfe an sich an. Sondern an der Form. Kredite haben den großen Vorzug, dass sie einen ökonomischen Anreiz schaffen, das Geld so zu investieren, damit ein ordentlicher Return, ein Ertrag herauskommt. Denn der schafft die Voraussetzung für die Rückzahlung des Kredits. Zuschüsse bergen hingegen das Risiko einer Beggar-My-Neighbour-Politik, also die eigenen nationalen Probleme auf Rechnung anderer Länder zu lösen. Genau in die Richtung geht z.B. die Kritik der Regierungen aus Österreich, Dänemark, den Niederlanden oder Schwedens am deutsch-französischen Vorschlag. Sie wollen eben Hilfen als Kredite zahlen, damit das Sparsamkeitskalkül gewahrt bleibt.

Die EU-Kommission rechnet mit einer Rückzahlung über 30 Jahre. Das ergibt im Schnitt 25 Mrd. Euro pro Jahr und das bei einem momentanen jährlichen EU-Haushalt von rund 145 Mrd. Euro. Ohne zusätzliche Einnahmen würde der Schuldendienst also 17 Prozent des Jahresbudgets verschlingen.

Ich bin gespannt, wie der Europäische Rat jetzt über die Aufhebung des Verschuldungsverbots und über die Eigeneinnahmen der EU diskutieren und abstimmen wird. Das sind ganz heiße Eisen. Und eigentlich müsste auch hierzulande darüber mehr gestritten werden, denn den finanziellen Hauptteil an der Initiative wird Deutschland tragen.

Veröffentlichung: 28. Mai 2020

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