Inflationsentwicklung zwingt zu Perspektivwechsel

In unserer Reihe KLARTEXT lesen Sie persönliche Meinungen und Denkanstöße.

Heute von:

Achim Oelgarth
Geschäftsführender Vorstand, Ostdeutscher Bankenverband e.V.

Der Spätherbst ist normaler Weise eher eine ruhige Zeit. Die Natur geht in den Stand by-Modus. Geschäftliche oder private Projekte biegen auf die Zielgerade ein und Planungen für das neue Jahr laufen erst langsam an. Wer geglaubt hat, dass sich im Zusammenspiel mit einer gewissen Corona-Routine auch die wirtschaftliche Entwicklung ruhiger gestaltet, der sieht sich getäuscht – ganz abgesehen von dem hierzulande existierenden Sonderfaktor „Koalitionsverhandlungen“ und dem damit einhergehenden wirtschafts- und finanzpolitischen Ideen-Gewusel. In allen Industrieländern erwacht ein lang vergessenes Phänomen zu neuem Leben und durchzieht die Erwartungsbildung der ökonomischen Akteure auf vielen Ebenen: die Inflationssorgen. Ich möchte auf den kommenden Zeilen eine energiepolitische (und damit konjunkturelle) Seite sowie einen bankenpolitischen Aspekt der Preisentwicklung beleuchten.

Dass es 2021 mit den Preisen rauf gehen würde, war klare Sache. Der Corona-Wirtschaftseinbruch hatte 2020 zu negativen Inflationsraten geführt, so dass allein der Basiseffekt bei Wiederanziehen der Geschäftstätigkeit die Preise deutlich steigen lassen würde, so Ökonomen und Notenbanker. Hinzu kam in Deutschland das Auslaufen der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung. Die Auguren hielten ein Überschreiten der Zwei-Prozent-Inflationszielmarke der EZB und ein Ansteigen bis zu 3% für möglich.

Die Drei wurde bereits im Juli überschritten, ganz aktuell verzeichnet Deutschland einen Anstieg der Verbraucherpreise von 4,5% yoy. Preistreiber sind vor allem die Energiekosten, also Heizung und Kraftstoffe. Diese Preiskomponente wächst seit Juli 2021 im Jahresvergleich deutlich zweistellig und kommt im Oktober auf einen Anstieg von fast 19%.

Diese letzte Zahl macht deutlich, dass bei der Preisentwicklung Mechanismen eine Rolle spielen, die wir gerade erst kennen lernen – denn sie haben mit dem Zusammenspiel von konjunktureller Normalisierung und Energiewende zu tun und damit, mit welcher Komplexität sich Anpassungsprozesse in den Volkswirtschaften gestalten: Während der Pandemie haben zahlreiche Staaten Kohlekraftwerke vom Netz genommen, etwa Spanien und die Niederlande, was angesichts der gedämpften Energienachfrage nicht ins Gewicht fiel. Nun, da die Wirtschaft die Drehzahl wieder hochfährt, muss Gas einspringen, welches teurer als Kohle ist und eigentlich nur für die Abfederung von Spitzen genutzt wird. Zu dieser gestiegenen Nachfragekomponente tritt hinzu, dass China vermehrt Gas benötigt, weil es aufgrund geopolitischer Unstimmigkeiten australische Kohle boykottiert. Damit nicht genug, haben hiesige Gasimporteure mit fallenden Preisen im Zusammenhang mit dem durch Nord Stream 2 wachsenden Angebot gerechnet und Gasspeicher vor dem Winter nicht gefüllt. Diese Lücke wird jetzt gleichfalls nachfragewirksam. Und schließlich wurden die CO2-Zertifikate verteuert. Sie liegen bei 60 Euro je Tonne – überwälzt auf den Gaspreis je kWh macht das ein Plus von 3 bis 4 Cent aus.

Energiekosten machen sich aber nicht nur im Geldbeutel der Endverbraucher bemerkbar, sondern auch in den Kalkulationen der Hersteller. Werden diese Energiekosten der Fertigung an die Kunden weitergegeben, erhält die Inflation weitere Nahrung. Kommen all die Preissteigerungen in den Lohnrunden 2022 an, entsteht ein Kreislauf, der den deutlichen Preisauftrieb verstetigen wird. Das wird momentan noch als das unwahrscheinlichere Szenario gehandelt, könnte sich aber (wie bei der Inflationshöhe) als Fehleinschätzung herausstellen. Für die Konjunktur eine erneute Belastung.

Belastet wird auch die (gerade für uns als alternde Gesellschaft enorm wichtige) private Vermögensbildung – und das ist der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte. Einer anziehenden Inflation stellen sich traditionsgemäß die Notenbanken mit steigenden Zinsen entgegen. In den USA (wo bei der Inflationsrate eine Fünf vor dem Komma steht) beginnt diese Rückkehr zur Zinsnormalität langsam mit einem Abschmelzen der Anleihekäufe. Für die Eurozone will die verantwortliche EZB von solchem Tapering, also einem sanften Ausstieg aus der Politik billigen Geldes, nichts wissen. Fast 3 Billionen Euro liegen aktuell auf den Giro- und Tagesgeld-Konten bei deutschen Banken und Sparkassen. Angesichts von Minizinsen und Verwahrentgelten ein gigantisches Minusgeschäft. Das hat der Ostdeutsche Bankenverband zuletzt im Mitteldeutschen Rundfunk klar gemacht.

Der Schwarze Peter dafür wird schnell den Kreditinstituten zugeschoben. Dabei sind sie nur die „Überbringer der schlechten Nachricht“ bzw. der enttäuschenden Renditeaussichten. Und auch als Auslöser der Niedrigzinspolitik werden die Banken unzutreffender Weise herangezogen. Richtig ist, die EZB antwortete auf die Bankenkrise 2008 mit Zinssenkungen. Doch erst angesichts der Euroschuldenkrise und der andauernden Wachstumsschwäche in der Eurozone ab dem Jahr 2010 legte die EZB bei den Zinsen dauerhaft den Rückwärtsgang ein – und nutzt zudem Anleihekaufprogramme und negative Einlagenzinsen.

Diese Notenbankpolitik führt zu Marktverzerrungen. Wie es ihre Aufgabe ist, suchen die Banken diesen Widrigkeiten zum Trotz natürlich weiterhin für ihre Kunden nach Renditechancen bei der Alterssicherung oder anderen privaten Anlagen. In Ostdeutschland wird dies erschwert, da die Wertpapierskepsis beim Spargroschen stärker ausgeprägt ist als in Westdeutschland. Die Institute verstehen sich aber als starker Partner, der schwierige Phasen gemeinsam mit den Kunden zu deren Wohl meistert. Die demografische Entwicklung überall in der Eurozone zwingt mehr und mehr zum privaten Vermögensaufbau. Daher wäre es angebracht, auf Notenbankseite einen Perspektivwechsel einzuleiten: weg von der konjunkturellen und haushaltspolitischen Flankierung, hin zur Stabilisierung der Inflationserwartungen.

Diese Analyse sollte auf der politischen Bühne ihren Niederschlag finden. Das bedeutet für Deutschland: in den Koalitionsverhandlungen. Anstelle des bislang geübten Zurücklehnens und Beobachtens braucht es ein klares Signal, dass die Lageänderung bei den eventuellen Ampel-Akteuren angekommen ist. Sonst bleibt es auch nach dem Herbst unruhig.

Veröffentlichung: 04. November 2021

OSTBV VERTEILER

Bleiben Sie informiert!

Jetzt haben Sie die Möglichkeit, sich in unseren Verteiler eintragen zu lassen. Somit sind Sie immer auf dem Laufenden, was Ostdeutschland bewegt.