MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Konjunktur: Nach dem Corona-Tal gute Chancen für eine Aufholjagd – wenn auch mit Geduld

„Alles neu macht der Mai!“ Der Liedvers kommt mir in den Sinn, wenn ich auf die letzten Tage schaue. Als wir Ende April beim Ostdeutschen Bankenverband bei einer Videokonferenz zusammensaßen – unter anderem um den FokusOst zu besprechen –, da steckte Deutschland noch ziemlich fest im Lockdown. Nur langsame Schritte in Richtung Nach-Corona-Normalität waren gegangen. Und laut offiziellen Verlautbarungen sah es danach aus, dass dieses Tempo beibehalten werden sollte. Kaum bricht der neue Monat an, haben sich etliche Landesregierungen jedoch die Sieben-Meilen-Stiefel angezogen was Lockerungen der Corona-Beschränkungen und das Wideranfahren der Wirtschaft anbelangt. Die Covid-19-Infektionen gehen weiter zurück. Einige Forscher sagen sogar, dass sie dies schon seit längerer Zeit tun als offiziell vermeldet. Sie haben die Statistik um Störfaktoren wie den parallelen Anstieg der Anzahl der Virus-Tests sowie die zeitliche Verzögerung zwischen Ansteckung und offizieller Meldung bereinigt. Heraus kommt ein deutlich früherer Beginn der Infektionsabnahme. Nicht zuletzt solche Betrachtungen dürften die Verantwortlichen in den Bundesländern veranlasst haben, das Gaspedal stärker anzutippen und die Lockerungen zu beschleunigen. An dieser Stelle sei angemerkt: Der Zeitverzug bei den Infektionsmeldungen besteht weiter. Auch einen Wiederanstieg der Neuinfektionen würde man erst in zehn bis 14 Tagen in den Daten des Robert-Koch-Instituts sehen.

Nichtsdestoweniger rückt der wirtschaftliche Neustart auf der politischen Agenda nach oben. Bereits die letztlich überschaubaren acht bis zehn Lockdown-Wochen haben europaweit eine deutliche Bremsspur hinterlassen. Laut Schnellschätzung ging das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der Eurozone im ersten Quartal 2020 gegenüber dem Vorquartal um 3,8% zurück. In Spanien betrug das Minus bis März 5,2%, in Frankreich 5,8% und in Italien 4,7%. Hierzulande meldet das Statistische Bundesamt die Daten für Q1 Ende kommender Woche. Angesichts der vorliegenden EWU-Zahlen kann man aber für den Jahresstart von einem Minus um die 3% ausgehen. Die in dieser Woche gemeldeten Auftragsdaten im Verarbeitenden Gewerbe aus dem März weisen einen Rückgang von 15,6% aus. Bei der Industrieproduktion ist ein Einbruch zwischen 10 und 15% wahrscheinlich.

Diese Rückgänge werden sich definitiv im zweiten Quartal fortsetzen, denn der Lockdown wurde erst im April richtig wirksam. Zudem braucht das Wiederanfahren der Wirtschaft Zeit. In etlichen Dienstleistungsbranchen wie Gastronomie, Hotellerie und Tourismus darf der Betrieb erst Ende des Monats aufgenommen werden. Abstandsregelungen und andere Hygienemaßnahmen sind zudem ein Kostenfaktor. Bis zum Ende von Q2 dürfte allerdings der Normalzustand in Liefer-, Herstellungs- und Angebotsprozessen wiederhergestellt sein. Das unter der Voraussetzung, dass es von Seiten der Infektionen keinen Rückschlag gibt. Damit richtet sich das Interesse auf die Frage, wie rasch die wirtschaftliche Erholung vonstatten geht bzw. welche Form die BIP-Kurve 2020 haben wird: V, U oder L.

Vieles spricht für das V. Die Bundesregierung hat den finanziellen Rettungsschirm auf mehr als eine Billion Euro erweitert und so den Zusammenbruch von Unternehmen durch die Covid-19-Pandemie verhindert. Politik, Förderinstitute und Kreditwirtschaft haben hier im Schulterschluss Hervorragendes geleistet – präzise, kontrolliert und gezielt für jene Betriebe, die durch die Pandemie unverschuldet in Schwierigkeiten geraten sind. Liquidität wurde mit Zuschüssen und Krediten aufrechterhalten. So viel Beschäftigte wie noch nie, noch nicht einmal während der Finanzkrise, nämlich zehn Millionen sind in Kurzarbeit „geparkt“. Dieser Begriff ist nicht negativ gemeint. Denn die Erfahrungen aus der Lehman-Krise haben gezeigt, dass Kurzarbeit eine hervorragende Brücke über das Rezessionstal bildet. Personal bleibt sozusagen in Bereitschaft. Springt die Wirtschaft wieder an, wird die Beschäftigung sukzessive hoch- und die Kurzarbeit vice versa zurückgefahren – ohne Zeitverlust für Wiedereinstellungen und ohne das bei nur langsam verbesserter Auftragslage die Personalkosten sofort voll durchschlagen.

Gute Voraussetzungen für ein steiles Aufwärts beim Bruttoinlandsprodukt sind also geschaffen. Jetzt kommt es auf die Nachfrageimpulse an. Für die seit 2018 vor allem durch Handelskonflikte gebeutelte deutsche Industrie gibt es ein durchmischtes Bild. Ein starker Handelspartner wie China (Platz 3 bei in der Rangliste unserer Exporte) findet nach starkem Einbruch (minus 6,8% in Q1) auf den Wachstumspfad zurück. Die USA allerdings (Exportzielland Nummer eins) stecken noch in der Corona-Rezession. Die Arbeitslosenrate wird bei ca. 15% erwartet. Der BIP-Einbruch für Q2 dürfte sich zwischen 6 und 7% abspielen (die in den Medien genannten Zahlen von etwa minus 25% folgen der US-Praxis, das Quartal auf das Jahr hochzurechnen). Durch den späteren Ausbruch von Covid-19 in den USA dürften von dort frühestens gegen Ende von Q3 wieder Impulse für die deutsche Exportwirtschaft kommen.

Nimmt man die bekannten Daten zusammen, dann ergibt sich für die V-Prognose der Wachstumserholung hierzulande eine Einschränkung: Der Aufwärtsschenkel dürfte weniger steil sein als der Abwärtsteil. Das V ist also nach rechts geneigt. Das Erreichen des Normalpfades dauert länger als etwa aus der Finanzkrise 2008/2009 bekannt.

Umso wichtiger ist es, dass die Politik mit den Rettungsmaßnahmen am Ball bleibt. In der jetzt anstehenden Erholungsrunde sind Liquiditätshilfen weiter wichtig, um das operative Geschäft gesunder Unternehmen zu stabilisieren. Das gilt vor allem in den Dienstleistungsbereichen, wo Nachholeffekte gewöhnlich ausfallen. Investitionsentscheidungen können erleichtert werden, indem man stärker auf Eigenkapitalhilfen setzt. Die hierfür vorhandenen Förderinstrumente müssen gegebenenfalls in Konditionen und zeitlicher Ausgestaltung angepasst werden. Gebrauchsgüterproduzenten profitieren umso eher von nachgeholtem Konsum, wenn der seitens der Politik mit Anreizen flankiert wird.

Hält man an der Solidarität der Lockdown-Wochen zwischen Politik und Wirtschaft fest, bleiben Pragmatismus und Reaktionsschnelligkeit erhalten, dann stehen die Chancen gut, rasch eine Corona-Rezession hinter sich zu lassen.

 

Veröffentlichung: 6. Mai 2020

Dr. Alexander Schumann

Alexander Schumann ist Volkswirt und Journalist und war zuletzt Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Er berät den Ostdeutschen Bankenverband in volkswirtschaftlichen Themen.

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