Dr. Alexander Schumann
Mittelstand / Wirtschaftsentwicklung

Konstellation 2020 – ein Blick durchs Konjunkturfernrohr

Vor zehn Tagen sind wir zur nächsten Runde einer circa 940 Mio. Kilometer langen Reise aufgebrochen. Mit der atemberaubenden Geschwindigkeit von fast 108.000 km/h rast die Erde wieder um die Sonne – und sieben Milliarden Menschen sind mit dabei. Das Faszinierende daran ist: Wir merken es nicht. Kein tornadogleicher Fahrtwind weht uns um die Ohren und wir werden beim Fernsehabend nicht mit einem X-fachen unseres Körpergewichts ins Sofa gedrückt. Das Unmerkliche dieses astronomischen Vorgangs erinnert mich an das, was wir gemeinhin Wirtschaft nennen. Unablässig schaffen Menschen in Fabriken oder Büros, in Werkstätten oder Krankenhäusern, auf Feldern und in Ställen Produkte und Dienstleistungen, deren Wert sich für die ganze Welt auf zuletzt annähernd 75 Billionen Euro belief. Trotz dieser horrenden Zahl bekommt jeder von uns allerdings nur einen weniger als klitzekleinen Ausschnitt dieses grandiosen Schaffensprozesses mit.

2019: Der Rezession entkommen

So existenziell der ungestörte Umlauf unseres Planeten um die Sonne ist, so neugierig sind wir darauf, ob die Wirtschaft oder besser die Konjunktur schwungvoll und ungestört ihre Bahn zieht, hängen doch Arbeitsplätze und Einkommen davon ab. Schauen wir also, ob wirtschaftlich gesehen die Sonne 2020 heller strahlt als zuvor – oder eben nicht. Dafür zunächst ein kurzer Blick zurück: Ab dem zweiten Quartal 2019 flaute die Konjunktur in Deutschland ab, das Bruttoinlandsprodukt ging zurück und legte in Q3 auch nur äußerst schwach zu. Plötzlich machte ein Wort die Runde, welches lange Zeit nicht mehr zum Sprachgebrauch der Analysten gehörte: Rezession.

So schlimm kam es nicht. Die meisten Konjunkturbeobachter gehen für den Rest des gerade abgelaufenen Jahres von einem leichten Plus oder wenigstens einer Stagnation aus. 2019 wird dann mit einem Wachstum des BIP von ca. einem halben Prozent in die Bücher des Statistischen Bundesamtes eingehen.

Für 2020 lautet der Ausblick: „langsame Fahrt voraus“

Für 2020 lautet der Ausblick auf „langsame Fahrt voraus“. Die Wachstumsprognosen liegen auf Jahressicht alle erneut um ein halbes Prozent, d.h. die deutsche Wirtschaft behält das 2019er Tempo bei. Dazu kommt aber ein ordentlicher Kalendereffekt (es gibt 2020 mehr Arbeitstage), der laut Bundesbank die Jahreszuwachsrate des BIP auf um die ein Prozent heben wird. Für Ostdeutschland, dessen Konjunktur bereits 2019 weniger einknickte, sehen die Volkswirte 2020 gar ein Plus von anderthalb Prozent für möglich (kalenderbereinigt wären das ca. ein Prozent).

Die Wirtschaftsakteure werden heuer das Geschäfts-Gaspedal also wieder etwas stärker treten. Nicht gleich zu Beginn, aber im weiteren Jahresverlauf zieht die Wirtschaftsaktivität an. Die Bundesbank sieht eine Fortsetzung der besseren Konjunkturdynamik für 2021 und 2022 mit BIP-Zuwächsen von jeweils ca. anderthalb Prozent.

Soweit die Zahlen. Aber worauf stützt sich die aufkeimende Zuversicht? In wenigen Worten: Die Stabilisatoren Dienstleistungen und Bau bleiben stabil und die angeschlagene Industrie fängt sich, die Binnennachfrage entwickelt sich weiter positiv und die Exporte ziehen (leicht) an. Bei der Beschäftigung wird mit einem neuen Rekord gerechnet und auch die Einkommenskurve zeigt leicht nach oben. Für die Baubranche stehen die Zeichen weiter auf Boom, denn mit den anhaltenden Niedrigstzinsen bleibt das wichtigste Rahmendatum für diesen Wirtschaftsbereich unverändert.

Trotz geopolitischer Unsicherheiten Grund zu vorsichtigem Optimismus

Die exportlastige Industrie litt 2019 einmal mehr unter Handelskonflikten und geopolitischen Unsicherheiten. Die Ausfuhren gerieten in Mitleidenschaft, weil sie stark von der Investitionsgüterseite getrieben sind, Geschäftspartner sich aber angesichts der genannten Unwägbarkeiten mit Kapazitätsausbau oder Modernisierung zurückhielten. 2020 ist das schon eingepreist, positive Signale kann man erhoffen. Um die drei wichtigsten Handelspartner zu nennen: In den USA will Präsident Trump eine zweite Amtszeit erreichen und braucht dafür wirtschaftliche Erfolge. Im Euroraum stehen die Zeichen auf Wachstum leicht unter der Potenzialrate, der Störfaktor Brexit ist ausgestanden. Und China ist, wenn auch mit geringeren Raten als einst gewohnt, auf Wachstum programmiert, denn noch wollen dort sehr viele Menschen ihren Lebensstandard verbessern. Geopolitische Krisen sind nicht ausgeschlossen, wie die aktuelle Lage zeigt, aber hier muss man immer das wirtschaftliche Gewicht der betroffenen Region betrachten: Beispielsweise gehen in den Nahen Osten nur zwei Prozent der deutschen Ausfuhren. Der Iran liegt auf Platz 51 der Exportziele Deutschlands. Der Ölpreis zeigte sich zuletzt sehr robust gegenüber Konflikten in Förderländern. In den neuen Bundesländern, mit dem stärkeren Fokus auf den heimischen Markt oder auf Osteuropa, kann man zudem gelassener auf die Geopolitik schauen.

5.400 Kilometer haben Sie gerade während der Drei-Minuten-Lektüre dieses Artikels im Universum zurückgelegt. Für die verbleibende Zeit in 2020 läßt sich alles in allem sagen: Die deutsche Wirtschaft greift zwar nicht nach den Sternen, aber eine Sonnenfinsternis bleibt nach jetzigem Stand auch aus.

Im Überblick

  • Nach verhaltenem Start zieht die Konjunktur im Jahresverlauf an.
  • Ostdeutschland mit etwas stärkerer Dynamik.
  • Dienstleistungen und Bauchbranche als Treiber – Industrie erholt sich.

Veröffentlichung: 9. Januar 2020

Alexander Schumann ist Volkswirt und Journalist und war zuletzt Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Weitere Berufsstationen waren u.a. die Bundesagentur für Arbeit, die Bertelsmann Stiftung, die portugiesische Banco Espírito Santo sowie der Mitteldeutsche Rundfunk. Er berät den Ostdeutschen Bankenverband in volkswirtschaftlichen Themen. Alexander Schumann lebt mit seiner Familie in Leipzig.

 

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