MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

US-Präsidentschaftswahl 2020: Die Spaltung bleibt

Wie wir alle erlebt haben, ist das knappste aller Szenarien eingetreten. Die Auszählung der US- Präsidentschaftswahl gestaltete sich als Hängepartie und die Ergebnisse in einigen Swing States waren äußerst knapp. Doch auch wenn seit dem Wochenende die Wahlsieger Joe Biden und Kamala Harris feststehen, könnte die Unsicherheit noch etwas länger dauern. Donald Trump bemüht die Gerichte. Er klagt in drei Bundesstaaten und führt dafür Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung an.

Zumindest in einer Hinsicht liefern die US-Präsidentschaftswahlen 2020 allerdings bereits jetzt ein klares Ergebnis: Das mächtigste Land der Welt ist tief gespalten. Nun ist das keine überraschende Neuigkeit. Bereits die sich ihrem Ende entgegen neigende erste Amtszeit des 45. Präsidenten der USA lieferte genug Belege für diese Tatsache. Doch angesichts des knappen Rennens der beiden Präsidentschaftsbewerber werden die zwei Gesichter des Landes allen noch deutlicher vor Augen geführt. Auch wenn der Wahlsieger am Ende Biden heißt, dieser Widerspruch in der US-Gesellschaft bleibt.

Wer vor vier Jahren mit Menschen aus den USA sprach, die man in Deutschland als bürgerliche Mitte verorten würde und die Donald Trump wählten, dann hörte man als Grund: Er sei – bei allen charakterlichen Eigenheiten –  die bessere von zwei schlechten Alternativen. Warum? Weil er nicht zum Establishment gehöre, also keiner derjenigen Berufspolitiker sei, die man sonst in Washington vorfinde. Ich lasse das hier so stehen, denn was sich hinter dieser Haltung verbirgt, ist ein gegenwärtiges Charakteristikum vieler westlicher Gesellschaften: ein Misstrauen gegenüber politischen Eliten. Diesen Punkt weiterzuverfolgen, würde vorerst den Rahmen sprengen.

Man muss dieses Misstrauen aber im Hinterkopf behalten, will man ein paar Ausblicke auf die ökonomischen Konsequenzen der US-Wahl werfen. Zunächst aber ein paar Worte zum Status quo der Vernetzung zwischen deutscher und US-amerikanischer Wirtschaft. Die USA sind seit langer Zeit Hauptabnehmer deutscher Exporte. 2019 gingen Waren im Wert von fast 119 Mrd. Euro über den Atlantik Richtung Westen. Seit 2017 sind die Ausfuhren Deutschlands in die USA um 6% gestiegen. Allein bei den Maschinenbauern gingen 2019 über 11 Prozent der Exporte ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Gerade in der Corona-Krise hing und hängt damit viel von dieser Partnerschaft ab. Umso erfreulicher war für deutsche Exporteure das kräftige Wachstum der US-Wirtschaft mit (nach deutscher Rechenweise) über 8% im dritten Quartal. Die enge Verflechtung beider Volkswirtschaften lässt sich umgekehrt unter anderem daran ablesen, dass sich hierzulande ca. 10% der Unternehmen mehrheitlich im Besitz von US-Gesellschaftern befinden.

Das Gewicht des US-Marktes für die deutsche Wirtschaft bildet natürlich auch den Hintergrund für die Missstimmung über die handelspolitische Neuausrichtung durch die Trump-Administration unter dem Slogan „America first!“. Die wiederholten Drohungen mit Strafzöllen für die europäische und damit deutsche Automobilindustrie und die tatsächlich in Kraft gesetzten Zollschranken für andere Branchen sind ein Puzzleteil in diesem Streit. Wie grotesk es bei dem Handelskonflikt zugeht, sieht man etwa daran, dass die USA in der Auseinandersetzung um Subventionen für den europäischen Flugzeugbauer Airbus mit Strafzöllen auf Lebensmittel antworteten, und zwar für Waren im Gesamtwert von 7,5 Mrd. US-Dollar. Betroffen sind davon bspw. deutsche Marmelade oder Kekse.

Hier wird verständlich, weshalb sich die deutsche Wirtschaft vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA eine Abkehr von konfrontativer Handelspolitik erhofft. Dies sollte sich einreihen in eine wieder größer werdende Berechenbarkeit und Anerkennung, wie wichtig der jeweils andere Partner ist. Allerdings, und hier schlagen wir den Bogen zurück zum Stichwort Misstrauen, dürfte sich auch unter einem Präsidenten Joe Biden nicht viel in Sachen Handelspolitik ändern. Dass Donald Trump entgegen aller Voraussagen in dem erlebten Ausmaß Wähler mobilisieren konnte, bedeutet: „America first!“ hat weiterhin einen hohen Stellenwert für viele US-Bürger. Ein Präsident Biden wird, wenn er die Spaltung des Landes überwinden will, nicht umhin können, den Fokus auch auf diese Befindlichkeiten im Inneren zu richten. Und vergessen wir nicht: Dass die USA international eine Führungsrolle ausfüllen, ist eine relative junge historische Episode. Weite Phasen der US-amerikanischen Geschichte waren von globaler Abkehr und Selbstgenügsamkeit geprägt.

Die angeführten tieferen gesellschaftlichen Verwerfungen werden eher auf lange Frist und auch eher unmerklich Spuren in der wirtschaftlichen Vernetzung zwischen den USA und Deutschland hinterlassen. Doch dank ihrer Dynamik und Größe bietet die größte Volkswirtschaft der Welt weiterhin enorme Chancen. Deutsche Unternehmen werden Wege finden, sie zu nutzen. Wenn nicht durch Exporte, dann beispielsweise durch Direktinvestitionen.

Die Finanzmärkte als früher Indikator über die Auswirkungen politischer Ereignisse scheinen jedenfalls die Hängepartie schon hinter sich gelassen zu haben: Dow Jones und Dax legten seit Mittwoch deutlich zu.

Dr. Alexander Schumann

Alexander Schumann ist Volkswirt und Journalist und war zuletzt Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Er berät den Ostdeutschen Bankenverband in volkswirtschaftlichen Themen.

Veröffentlichung: 6. November 2020

OSTBV VERTEILER

Bleiben Sie informiert!

Jetzt haben Sie die Möglichkeit, sich in unseren Verteiler eintragen zu lassen. Somit sind Sie immer auf dem Laufenden, was Ostdeutschland bewegt.