KLARTEXT

Aus Fehlern soll man lernen – nicht sie wiederholen

In unserer Reihe KLARTEXT lesen Sie persönliche Meinungen und Denkanstöße.

Heute von:
Dr. Alexander Schumann
Leiter Politik und Konjunktur, Sonderprojekte
Ostdeutscher Bankenverband e.V.

Bereits vor Corona, aber seit der Pandemie in noch viel stärkerem Maße erleben wir hierzulande eine Art wirtschaftshistorischen Gedächtnisverlust. Dieser speziellen Amnesie fällt der jahrzehntelange Grundkonsens der Sozialen Marktwirtschaft, nämlich dass der Staat nicht Akteur, sondern Schiedsrichter des ökonomischen Geschehens sein soll, immer mehr zum Opfer. Die Folgen sind in der neu entstandenen geopolitischen Phase – gekennzeichnet durch weiter zunehmende Fragilität – ein wachsendes Risiko für Stabilität und Wohlstand.

„Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.“ Diesen Satz gebrauchte Erich Honecker, letzter Staatschef der DDR, mehrfach bei öffentlichen Auftritten im Sommer und Herbst 1989. Wir wissen, dass es sich um eine dramatische Fehleinschätzung handelte. Denn nur kurze Zeit nach den Honecker-Reden war es vorbei mit der DDR, dem sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden. Abgedankt hatten damit auch Volkseigentum und Planwirtschaft. Deren offensichtliche Minderleistung gegenüber Markt und Wettbewerb bei der Schaffung von Wohlstand war es vor allem – neben fehlender Freiheit –, was die Menschen einen Schlussstrich unter die Sozialismus-Episode DDR ziehen ließ. 1989 lag das BIP pro Kopf in der DDR fast 60% unter dem Westdeutschlands und mit dem Fall der Mauer wurde diese Diskrepanz urplötzlich sichtbar und erlebbar.

Genauso als Fehlurteil hat sich allerdings herausgestellt, die Richtungsentscheidung zwischen Staat und Markt sei ein für alle Mal zu Gunsten des Letzteren gefallen. 30 Jahre nach dem Planwirtschaftszusammenbruch feiern zentrale Bausteine politischer Wirtschaftslenkung fröhliche Urständ. Entwicklungen auf Feldern wie Energie, Mobilität oder Beschäftigung belegen dies. Besonders ideologisch umkämpft ist die Wohnungsbaupolitik. In Berlin wird 2019 die Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“ ins Leben gerufen und drängt auf einen Volksentscheid zur Vergemeinschaftung (also Umwandlung in Volkseigentum) der Bestände großer Wohnungsunternehmen. Im September 2021 erfolgt die Abstimmung und die Befürworter/innen gewinnen. Seitdem hat die Berliner Landesspolitik ein Problem, denn die ca. eine Million Ja-Stimmen kann man nicht einfach übergehen. Wie im Politikbetrieb immer stärker üblich, wird das Ungemach nach extern ausgelagert: Unlängst hat sich die sogenannte Berliner Enteignungskommission konstituiert. Sie soll nach dem Willen des Senats bis Mitte 2023 ein Urteil darüber fällen, ob überhaupt enteignet werden darf oder nicht.

Zentraler Legitimationspunkt der Vergemeinschaftungsinitiative ist Artikel 15 des Grundgesetzes. Der trägt interessanterweise den inoffiziellen Zusatztitel „Sozialismus-Artikel“. Er lautet: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.“ Bei der Frage, wie die Idee der Enteignung Eingang ins Grundgesetz finden konnte, muss man sich vor Augen führen, dass die schwache ökonomische Leistungskurve des Sozialismus zur Zeit des Verfassungskonvents noch keine historische Erfahrung war. Zudem sprechen Verfassungsrechtler/innen davon, dass Artikel 15 in den großen Schatten des Artikels 14 gestellt wurde, welcher das private Eigentum schützt.

Dieser Schatten ist in letzter Zeit allerdings kleiner geworden. Selbst dass bei der mit einer Enteignung untrennbar verbundenen Notwendigkeit der Entschädigung im Fall der Berliner Wohnungen Milliarden-Beträge genannt werden, scheint keine Rolle zu spielen. Zahlen in dieser Höhe entziehen sich leider dem menschlichen Vorstellungsvermögen. In den letzten beiden Jahren überschritt die Staatsquote Deutschlands die 50-Prozent-Grenze, was rund 1,8 Billionen Euro entspricht. Der Anteil des Bundeshaushaltes am BIP wuchs von knapp 10% 2019 auf nahezu 16% 2021. Die Bundesregierung gibt demgemäß eine halbe Billion Euro aus. Die darin enthaltenen Corona-Hilfen waren sicher notwendig. Aber jetzt bedürfte es einer klaren Ansage, dass der Rückwärtsgang eingelegt wird.

Leider erkennt man auf Seiten der Ampel-Koalition keine Anstrengungen in dieser Richtung. Die Tatsache, dass der Staat kein eigenes Geld besitzt, sondern mit dem Geld der Bürger/innen arbeitet, gerät immer mehr aus dem Blick. Während bspw. Österreich die Kalte Progression abschafft und damit die ungerechtfertigten fiskalischen Zusatzlasten aufgrund der Inflation, fordert hierzulande Kanzler Olaf Scholz die Arbeitgeber/innen zu Einmalzahlungen an ihre Beschäftigten auf.

Die Beispielliste lässt sich fortsetzen. Unter anderem mit der Energiepolitik, die sich aktuell zur Achillesferse unserer Volkswirtschaft entwickelt. In den Zeiten einer marktbasierten Energiewirtschaft kamen Kraftwerke gemäß ihrer Grenzkosten nacheinander zum Einsatz. Mit dem Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG) wurde Erzeugern von Wind-, Solar- und Bio-Strom per Verordnung Vorrang gegeben. Konventionelle Kraftwerke mussten (und müssen) den Aufwand für CO2-Zertifikate stemmen und Atom- und Kohlestrom wurde zum Auslaufmodell gemacht. Deutsche Stromkunden zahlen die höchsten Preise in Europa: fast 31 Ct/kWh (über die Hälfte davon Steuern und Abgaben). In Frankreich sind es 18 Ct. Die Folgen der energiewirtschaftlichen Regulierungen sind für alle momentan erahnbar – im Winter werden sie wohl spürbar werden.

Schaut man auf die Leistungsfähigkeit der Systeme, so war es eben der Markt, der gerade nach dem Zweiten Weltkrieg im globalen Maßstab das Leben vieler Menschen verbessert hat – nicht der Staat. Auch aus mikroskopischer Perspektive wird dies deutlich: Das Berliner Wohnungsproblem gibt es tatsächlich. Aber es ist nicht vermeintlicher Gier großer Unternehmen geschuldet, sondern Politikversagen. In kaum einem Land sind Auflagen und Bürokratie für den Bau neuer Wohnungen so hoch wie in Deutschland. Mit dem Geld, das vor zehn Jahren zum Bau von 100 Wohnungsneubauten reichte, kann man heutzutage nur noch knapp über 70 bauen.

Richtigerweise hat Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey der Enteignungsinitiative ein Bündnis für Wohnungsbau entgegengestellt. Dieses Umdenken in Richtung Kooperation zwischen Politik und Unternehmen anstatt Bevormundung sollte Schule machen. Denn zeitgleich zu dem eingangs zitierten Honecker-Satz, hatte Michail Gorbatschow, das damalige Staatsoberhaupt der Sowjetunion, die historisch gewordenen Ermahnung parat: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Die Politik hierzulande sollte aufpassen, dass ihr Glaube an die Überlegenheit staatlicher Lenkung nicht genau dieses Bein stellt. Besser gesagt, sollten dies die Bürger/innen tun, denn sie sind es, die die Kosten politischer Fehlurteilen tragen.

Veröffentlichung: 29. Juni 2022

OSTBV VERTEILER

Bleiben Sie informiert!

Jetzt haben Sie die Möglichkeit, sich in unseren Verteiler eintragen zu lassen. Somit sind Sie immer auf dem Laufenden, was Ostdeutschland bewegt.