Deutschland im internationalen Spannungsfeld

In unserer Reihe KLARTEXT lesen Sie persönliche Meinungen und Denkanstöße.

Heute von:

Harald Eisenach
Stellvertretender Vorsitzender OstBV &
Sprecher der Regionalen Geschäftsleitung Ost
Leiter Unternehmensbank Ost
Deutsche Bank AG

Deutschland ist nach den USA und China der drittgrößte Warenexporteur und -importeur der Welt. Deutsche Produkte, Dienstleistungen und Know-how sind weltweit gefragt – deutsche Unternehmen weltweit tätig. Ein erheblicher Teil unseres Wohlstands beruht auf genau dieser Tatsache. Unsere offene Volkswirtschaft ist dementsprechend besonders anfällig für Veränderungen in der globalen Handelsarchitektur. Bereits in Zeiten vor Corona stiegen die Unsicherheiten im internationalen Geschäft. Handelsstreitigkeiten, Beschränkungen und zunehmender Protektionismus bestimmten zunehmend das Tagegeschäft.

In diesem Umfeld sah man verstärkt einen einsetzenden De-Globalisierungstrend. Diese Debatte gewann während des letzten Jahres nochmal an Fahrt, denn die Pandemie hat die bestehenden Probleme verschärft und Deutschlands Abhängigkeit von der Außenwirtschaft weiter offengelegt.

Wie geht es weiter in den nächsten Jahren?

Es gibt Lichtblicke: Die Inzidenzen sinken in vielen Staaten, der Impffortschritt (zumindest in der Mehrheit der Industriestaaten) ist spürbar, Lieferketten haben sich rasch stabilisiert und im Weißen Haus sitzt ein neuer, Europa eher zugewandter, Präsident.

Dennoch: Auch für die Zeit nach der Pandemie ist unklar, wie vorteilhaft sich die Weltwirtschaft für Deutschland entwickeln wird. Zwar wollen die EU und US-Präsident Biden bestehende Konflikte über Sonderzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte bis zum Ende des Jahres beilegen und erst jüngst verzichtete die USA auf Sanktionen gegen Unternehmen hinter der Nord Stream 2-Gaspipeline, aber es ist deutlich: das goldene Zeitalter der Transatlantischen Beziehungen scheint vorbei zu sein. Auf der anderen Seite steht außerdem China, ein Land, welches längst nicht mehr die verlängerte Werkbank der Welt ist, sondern zunehmend als strategischer Rivale wahrgenommen wird. Gleichzeitig ist China aber ein zu wichtiger Absatzmarkt für Europa und Deutschland, als dass man sich ihm entziehen könnte. So besteht das Risiko für die EU, in einer Sandwich-Position im sich zuspitzenden Handels- und Technologiestreit zwischen den USA und China festzustecken.

Bei all den skizzierten Herausforderungen kann Deutschland auf ein solides makro-ökonomisches Rahmenwerk aufbauen, so u.a. auf eine starke, innovative industrielle Basis, einen stabilen, öffentlichen Finanzhaushalt mit solider Finanzpolitik sowie einem beträchtlichen Vertrauen von Anlegern/innen in die Bonität des Landes. Dieses Rahmenwerk hat sich auch in dieser Krise unter Beweis gestellt. Ebenso zeigten sich – trotz schwieriger weltwirtschaftlicher Lage und einer Verschärfung durch eine Pandemie – keine Tendenzen zur Renationalisierung bzw. Rückverlagerung bei den Unternehmen. Dies ist ein gutes Signal! Andernfalls wären Einkommensverluste und ein Rückgang des Realeinkommens für Deutschland und seine Handelspartner zu befürchten. Vielmehr ist man sich den Vorteilen internationaler Arbeitsteilung bewusst. Die Unternehmen tendieren bei Schwierigkeiten zur Diversifikation von Lieferketten. Die Antwort muss also nicht unbedingt weniger Globalisierung sein. Außerdem wurde deutlich, dass viele Unternehmen, selbst wenn sie ihre Strukturen ändern wöllten, zurzeit nicht die Mittel für eine große Umstrukturierung hätten. Und nicht zuletzt zeigte sich, dass Robustheit der Lieferketten nicht primär auf regionale Nähe beruht: Der Güterimport aus Vietnam im März 2020 war verlässlicher als derjenige aus der Lombardei.

Deutschlands Stärken und Trends

Zukunft sichern

Um aber unseren Platz als „High-Tech Made in Germany“ auch in Zukunft sichern zu können, müssen Politik und Unternehmen umfangreiche Reformanstrengungen unternehmen. Wir als Banken stehen bereit, um die Anstrengungen der Wirtschaft gemeinsam mit unseren Kunden zu begleiten.

Angesichts des skizzierten herausfordernden globalen Umfelds braucht es auf Landes- und Bundesebene eine Wirtschaftspolitik, die bewusst Deutschlands Stärken ausbaut und Schwächen minimiert. Das heißt konkret: eine Vertiefung des europäischen digitalen Binnenmarktes, die kluge Nutzung des vorhandenen fiskalischen Spielraums, die Wahrung des Wettbewerbsvorteils in der modernen Fertigung aber auch die Wahrung des sozialen Friedens. Es bedeutet auch, die digitale Infrastruktur zu verbessern, das Wachstumspotenzial durch eine bessere Durchdringung branchenübergreifender Technologien zu steigern und die Risikokapitalmärkte weiterzuentwickeln.

Noch konkreter: Erforderlich ist eine sinnvolle Allokation privater und öffentlicher Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, eine bessere Qualifizierung der Erwerbsbevölkerung (MINT-Fächer stärken, Programmierkenntnisse ausbauen), das aktive Nutzen von Industriedaten im Fertigungsprozess und eine beschleunigte Durchdringung von branchenübergreifenden Technologien wie KI in den Unternehmen.

Weiter muss Deutschland über seine Außenwirtschaftsförderung eine strategische Antwort, auf die sich verändernden internationalen Rahmenbedingungen finden, z.B. durch ein Update und die Weiterentwicklung der Industriestrategie 2030. Die Banken sind die wichtigsten Partner des deutschen Außenhandels und unterstützen die Unternehmen bei ihren Veränderungsprozessen und als starke Partner im Ausland.

Nicht zuletzt wird die künftige politische und wirtschaftliche Rolle Deutschlands im hohen Maße von der globalen Rolle der Europäischen Union abhängen. Das Streben nach größerer strategischer Autonomie zwischen den USA und China bleibt dabei ein Balance-Act für die EU. Unter den gegebenen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist die EU für die kommenden Jahre darauf angewiesen, vermehrt bilaterale und regionale Handelsvereinbarungen zu schließen. Auch wenn diese sicherlich nur die zweitbeste Lösung sind, stärken auch solche Abkommen langfristig die multilaterale Wirtschaftsordnung und können zur Wiederbelebung ebendieser beisteuern. Unabdingbar bleibt aber das geeinte und geschlossene Auftreten aller 27 EU-Mitgliedsstaaten und die internationale Partnerschaft mit den USA, um sich dem Systemwettbewerb mit China stellen zu können. Daher muss die EU durch Deutschland aktiv mitgestaltet werden.

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„Die künftige politische Rolle des Landes wird in hohem Maße von der globalen Rolle der EU abhängen, die Deutschland wiederum aktiv mitgestalten wird. Trotz ihres Strebens nach größerer strategischer Autonomie könnte der Balanceakt der EU in der Auseinandersetzung zwischen China und den USA unhaltbar werden. Dennoch: Die Mehrheit der Europäerinnen und Europäer sprechen sich dafür aus, eine neutrale Haltung einzunehmen.“

Harald Eisenach

Veröffentlichung: 04. Juni 2021

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