Die Visegrád-Staaten nach der Pandemie – Chancen für den ostdeutschen Mittelstand?

(Ost-)Deutschland verbindet mit seinen östlichen Nachbarn nicht nur eine gemeinsame Transformationsgeschichte nach der Wende 1989/90 und Partnerschaft innerhalb der EU, die Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei = V4) ist auch zunehmend von Bedeutung für den hiesigen Wirtschaftsstandort.

Einer von vielen Gründen, einen Blick in die Region zu werfen. In unserem FokusTalk sprachen wir daher mit den beiden Experten Marek Mora (CNB – Czech National Bank / Nationalbank Tschechiens) und Adrian Stadnicki (Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V.) über den Umgang der Länder mit der Corona-Pandemie, aber auch die Chancen und Herausforderungen, die die Staaten für die ostdeutsche Wirtschaft bieten.

Mittlerweile sind Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei zusammengefasst der wichtigste Außenhandelspartner der Bundesrepublik. Allein im Jahr 2020 erreichte der Außenhandel mit den Staaten mit 286 Milliarden Euro einen Anteil von 12,8% [1] am gesamten deutschen Handel. Umgekehrt ist Deutschland selbst mit Abstand der wichtigste Außenhandelspartner für die V4-Länder. Dies setzt sich mit Blick auf die ostdeutschen Bundesländer fort: 2020 gingen 15,5% Prozent der hiesigen Exporte in die V4 und 22,7% der Importe kamen von dort.

Die Corona-Pandemie setzt auch den Visegrád-Staaten gesellschaftlich wie wirtschaftlich schwer zu. Die Inzidenzen sind in allen vier Ländern hoch und es gelten vielerorts wieder strenge Lockdown-Maßnahmen. Wirtschaftlich hat das Pandemiegeschehen somit deutliche Spuren hinterlassen: Das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes im vergangenen Jahr sank in Polen um 3,5%, in Ungarn um 5,0%, in Tschechien um 6,2% und in der Slowakei gar um 7,0%.

Dennoch begegnen die V4 der Krise aus einer Position der relativen Stärke hinaus. Insbesondere Polen bewies sich, wie bereits zur Finanzkrise, als crisis performer und Zugpferd mit herausgehobener Stellung. Trotz Grenzschließungen, Unterbrechung von Lieferketten und zeitweiligen Einbrüchen von Export und Import, zeigte sich der deutsche Außenhandel mit dem Land stabil; ab Jahreshälfte lag er sogar wieder über dem Vorjahresniveau. Die kurz- und mittelfristige konjunkturelle Entwicklung hängt umso mehr vom weiteren Pandemieverlauf ab.

Gerade die geringe Staatsverschuldung vor allem in Polen, Tschechien und der Slowakei ermöglichten zudem viele wirtschaftspolitischen Spielräume, um die Bürger/innen und Unternehmen in der Pandemie zu unterstützen. So hat Polen das größte Krisenpaket in den mittelosteuropäischen Ländern geschürt. Im Fokus der Länder liegen, ähnlich wie in Deutschland, arbeitserhaltende Maßnahmen. In Tschechien wurden u.a. die Regeln zur Bereitstellung von Liquidität für den Bankensektor von der CNB gelockert und die Regierung hatte ein weitgehendes Schuldenmoratorium auf Bankkredite initiiert. Insgesamt gute Voraussetzungen, um nach dem Überwinden der akuten Pandemiephase wieder wirtschaftlich durchzustarten.

Des Weiteren können alle vier Länder weiterhin im hohen Maße von EU-Geldern profitieren. Im neuen mehrjährigen Finanzrahmen der EU werden aus dem Kohäsionsfond (insgesamt ca. 373 Millionen Euro) um die 132 Millionen Euro in die V4-Gruppe fließen. Dies sollte ebenfalls zur raschen Erholung beitragen.

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschlands östlichen Nachbarstaaten ist eine Erfolgsgeschichte der EU. Das macht sie schon lange nicht mehr einzig und allein zu einer verlängerten Werkbank, sondern zu attraktiven und strategisch wichtigen Absatzmärkten. Die Ergebnisse der Umfrage „TrendOst 2020“ des OstBV spiegeln dies wider, denn 55% der befragten Teilnehmer/innen sehen auch in Zukunft die Region als wichtigen Handelspartner.

Verstärkend kommt hinzu: Zwar hat COVID die Fragilität internationaler Wertschöpfungsketten verdeutlicht und auch der Handel mit den östlichen Nachbarn war davon betroffen. Zugleich sollten diese vom Trend zum Nearshoring profitieren. Nicht zuletzt dürfte auch der Brexit diese Entwicklung verstärken. Die Vorteile der Länder liegen auf der Hand: Ihre zentrale Lage in Europa sowie ihre Nähe zu Deutschland, die gute Infrastruktur und hoch qualifizierte Fachkräfte vor Ort. Damit eröffnen sich auch für den (ost-)deutschen Mittelstand große Wachstumspotentiale – sowohl in Hinblick auf den Aufbau von Produktionskapazitäten als auch beim Absatz von Produkten und Dienstleistungen in den wachsenden Märkten.

Herausfordernd bleiben allerdings die anhaltenden politischen Spannungen in Ungarn und Polen, der sich verschärfende Fachkräftemangel und die Angst, dass die Länder im sogenannten middle-income-trap gefangen bleiben. Ihre Wachstumsdynamik büßt eventuell an Fahrt ein und sie laufen der Gefahr auf dem jetzigen Niveau zu stagnieren, insofern sie nicht weiter in eine innovationsgetriebene Wirtschaft investieren. Nichtsdestotrotz: Auch wenn die politischen Entwicklungen allen voran in Polen und Ungarn mit Sorge zu betrachten sind, zeichnen sich die Länder durch eine konsistente und unternehmerfreundliche Wirtschaftspolitik aus.

Es gilt den vier Staaten aus deutscher Sicht mehr Aufmerksamkeit zu widmen und sie wirtschaftspolitisch stärker als strategische Außenhandelspartner wahrzunehmen. So sind Polen und Tschechien zwar bereits jetzt Top-3 Handelspartner für Brandenburg und Sachsen, doch für Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern gibt es noch großes Potential, um die Handelsbeziehungen zu intensivieren. Die Visegrád-Staaten bieten dabei gerade für den kleinteiligen Mittelstand in Ostdeutschland beste Bedingungen, um erfolgreich (erste) Exportvorhaben wahrzunehmen.

Daher heißt es: Innovationen vorantreiben, wirtschaftliche Beziehungen verstärken und in Zukunftsfeldern der Digitalisierung, wie der Industry 4.0, und beim Thema Nachhaltigkeit verstärkt zusammenarbeiten, denn hier ergeben sich enorme Investitionspotentiale für die Unternehmen in beiden Wirtschaftsregionen. Die V4 sind längst keine Showstopper mehr, sondern Turbobooster.

WEITERE DATEN ZUM AUSSENHANDEL DER OSTDEUTSCHEN BUNDESLÄNDER FINDEN SIE HIER AUF UNSERER WEBSITE.

[1] Während des Vortrags sprach der Referent von einem Anteil von 7,8%. Tatsächlich handelt es sich aber um 12,8%. Wir haben dies korrigiert und bitten den Fehler zu entschuldigen.

Autorin: Katja Einecke

Veröffentlichung: 30. März 2021

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