MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSSTANDORT

Eigenkapital stabilisieren – sonst droht nach Corona Investitionsschwäche

Der Advent ist angebrochen, die Vorweihnachtszeit. Mancher findet gerade jetzt den Weg in eine Kirche, zu einer musikalischen Andacht oder etwas anderem Besinnlichen. In alten Kirchengebäuden kann man sehr gut die architektonische Kunstfertigkeit früherer Generationen bestaunen. Ein faszinierendes Detail sind die großartigen Gewölbe, die so manches Kirchenschiff überspannen.

Bei einem Gewölbe gibt es ein unerlässliches Bauteil: den Scheitelstein, oder auch Schlussstein genannt. Erst dieser Stein versetzt den Gewölbebogen in die Lage, sich selbst zu tragen. Mit anderen Worten: Fehlt er, stürzt die Decke ein. Dieser Scheitelstein ist eine hervorragende Metapher für das, worüber es in diesem Text gehen soll: Eigenkapital.

In einem Unternehmen gibt es einige wichtige Elemente: Geschäftsidee, Kreativität, Führungsstärke und Finanzierungspartner kann man beispielsweise nennen. Von unerlässlicher Bedeutung allerdings ist Eigenkapital (EK). Fehlt es, nützen auch das beste Produkt oder die gefragteste Dienstleistung nichts, ebenso wenig Charakterfestigkeit und Überzeugungskraft des Unternehmers. Nicht zuletzt hängt die Bonität und damit die Fähigkeit zum Erschließen von Fremdkapitalquellen vom eingebrachten eigenen Vermögen ab. Mit anderen Worten: Eigenkapital sichert die Tragfähigkeit des Unternehmens.

Zudem gewinnt die Firma mit zunehmender Eigenkapitalausstattung an Krisenfestigkeit, was im aktuellen Kontext der Corona-Herausforderungen eminent wichtig ist. Erfreulicherweise haben sich die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in dieser Hinsicht über die vergangenen Jahre hinweg eine ordentliche Robustheit zugelegt. Die Eigenkapitalquote im Mittelstand stieg seit Mitte der Nuller-Jahre kontinuierlich an, von rund 20% auf aktuell knapp über 30%. Größere Firmen sind hier besser aufgestellt mit fast 40%.

Die Betriebe haben die Lektion einer anderen Krise, der Bankenkrise 2008/2009, gelernt, als Fremdkapital plötzlich schwer bis gar nicht aufzutreiben war. Also wurde aus eigener Kraft vorgesorgt. Die Niedrigzinsphase seitdem und damit der Mangel an anderen attraktiven Anlageformen hat natürlich seinen Teil dazu beigetragen, dass so mancher Gesellschafter seine Gewinne thesaurierte.

Allerdings setzt Corona dem EK-Aufwärtstrend in einer Vielzahl von Unternehmen ein Ende. Bereits im Sommer hatte eine Sonderauswertung des Mittelstandspanels der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gezeigt, dass aufgrund des wirtschaftlichen Corona-Dämpfers nahezu ein Drittel der befragten KMU mit sinkendem Eigenkapital rechnete. Dieser Anteil dürfte jetzt im zweiten Lockdown sicher nicht gesunken sein. Denn vor allem jene Firmen, die bereits im Mai Umsatzeinbußen zu verkraften hatten, befürchteten ein Schrumpfen des Eigenkapitals. Zieht man jetzt  ergänzend heran, dass die EK-Quote gerade kleinerer Unternehmen (bis zu zehn Beschäftigte) in den letzten Jahren lediglich auf rund 20% gestiegen ist und sich viele der aktuell leidtragenden Gastronomen und Dienstleister in diesem Größensegment bewegen, liegt der Schluss einer zunehmend angespannten Eigenkapitalentwicklung in nicht unerheblichen Teilen des Mittelstands nahe

Über den Einflusskanal Eigenkapital kann sich die Coronakrise überdies mittel- bis längerfristig negativ auf die deutsche Wirtschaft auswirken. Die Erneuerung und Erweiterung des Sachkapitalstocks fielen bereits in den vergangenen Jahren eher mau aus. Investitionen sind immer auf die Zukunft ausgerichtet. Ein unsicheres Umfeld lässt Unternehmer da ohnehin zurückhaltend agieren. Erschwerend tritt hinzu, dass die Vergabe der für Investitionen benötigten Kredite immer an die Eigenkapitalausstattung eines Unternehmens geknüpft ist, Stichwort Bonität. Der hierzulande notwendige Strukturwandel entlang der Leitplanken Digitalisierung, Ressourcenschonung und Demografie wird eher behindert, wenn die Eigenkapitalprüfung schwach ausfällt.

Nimmt man diese Faktoren zusammen, so machen die von vielen Bundesländern bereits aufgelegten Instrumente zur Eigenkapitalstabilisierung und -stärkung ganz klar Sinn. Als strategischer Hebel ergänzen sie die eher kurzfristigen Liquiditätshilfen von politischer Seite (deren fortgesetzte stabile Finanzierungsmöglichkeit aktuell zudem debattiert wird). Da alle Theorie bekanntlich grau ist und die Zukunft immer ungewiss, dürften vorfestgelegte und damit unflexible Hilfsstrukturen eher wenig bringen, wenn die Corona-Krise dereinst ausgestanden ist. Die Politik, gerade auf Ebene der Länder, sollte daher überlegen, die Eigenkapitalinstrumente um eine Art „Task Force Wirtschaftsstabilisierung“ zu ergänzen. In dieser Art Gremium bzw. Prozess könnten Politik und Interessenvertreter der Wirtschaft wie Kammern und Verbände gemeinsam einen im Zeitablauf flexiblen Einsatz der EK-Hilfen koordinieren, dabei die jeweilige Branchen- und Strukturwandelsituation im Blick behalten. Denn der „Scheitelstein Eigenkapital“ verdient besonderes Augenmerk, soll das Wirtschaftsgebäude nicht ins Wanken geraten.

Dr. Alexander Schumann

Alexander Schumann ist Volkswirt und Journalist und war zuletzt Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Er berät den Ostdeutschen Bankenverband in volkswirtschaftlichen Themen.

Veröffentlichung: 3. Dezember 2020

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