Spiel um die Zukunft: Eins zu Null für den Markt

Kennen Sie Alfred „Adi“ Preißler? Er war in den 1950er Jahren Fußballer bei Borussia Dortmund, führt dort noch immer die clubinterne Torschützenliste an (mit 168 Treffern) und ist Schöpfer eines der bekanntesten Fußballer-Zitate. „Grau is‘ im Leben alle Theorie – aber entscheidend is‘ auf’m Platz.“ 

In unserer Reihe KLARTEXT lesen Sie persönliche Meinungen und Denkanstöße.
Heute von:

Dr. Alexander Schumann,
Leiter Politik und Konjunktur, Sonderprojekte,
Ostdeutscher Bankenverband e.V.

Dr. Alexander Schumann

Dieser Ausspruch kommt mir neuerdings öfter in den Sinn. Wir haben in diesem Jahr Bundestagswahlen, die Parteien formulieren ihre Programme und zeigen uns Wähler/innen, wohin die Reise mit ihnen in der kommenden Legislaturperiode gehen soll. So u.a. für Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Beschäftigung, Soziale Sicherung, öffentliche Investitionen und Besteuerung. Unter den momentan im Bundestag vertretenen Parteien gibt es aktuell Entwürfe von der SPD, Bündnis 90/Die Grünen sowie der Linken. Union, FDP und AfD sind noch in der Bearbeitungsphase.

Schaut man sich das programmatische Angebot an, so müsste jeder Wirtschaftsexperte sofort den Rat geben: „Bitte Adi Preißler lesen!“ Mietendeckel bzw. Mietenmoratorium, Reichen- und Vermögenssteuer, Bürgergeld statt Hartz IV, Rechtsanspruch auf Weiterbildung, Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent, Mindestlohnerhöhungen auf wahlweise 12 Euro (Die Grünen) bzw. 13 Euro (Die Linke), Vetorechte der Beschäftigten bei Standort- und Investitionsentscheidungen, Ausstieg aus Kohle und Verbrennungsmotoren schon 2030 und einiges mehr findet sich dort. Alles geeignet, dass Rot-Rot-Grün sich auf der Tribüne mit wirtschaftspolitischem Theoretisieren für ein Bündnis warmlaufen kann. Sicher aber hilft es nicht denjenigen auf dem Platz, den Unternehmer/innen, freier und flexibler zu agieren und in Sachen Wohlstand und Jobs die Tore zu machen.

Generell bemerkt man in der Politik seit geraumer Zeit ein Misstrauen gegenüber der Marktwirtschaft. Immer öfter erweckt Politik den Eindruck, als sei der Staat der bessere Wirtschaftsstratege. „Transformationen von gigantischem, historischem Ausmaß“ (Angela Merkel) werden dort beschworen. Man findet – schon vor der Coronakrise – Pläne für nationale Industriechampions aus der Werkstatt mit Namen Bundeswirtschaftsministerium. Eine „Agentur für Sprunginnovationen“ wird aus der Taufe gehoben, so als ließen sich diese seltenen, wirklich bahnbrechenden Erfindungen quasi mittels Verwaltungsakt hervorbringen.

„Der Markt regelt nichts, wir müssen den Markt regeln!“, heißt es bei der Linken. Enteignungsfantasien im Immobilienbereich sprießen nur so aus dem Boden, als ob das deutsche Mietrecht nicht eines der mieterfreundlichsten weltweit wäre. Und wer die Knappheit an erschwinglichem Wohnraum kritisiert, sollte sich an die eigene Nase fassen und auf das Regulierungskonvolut sowie die oft sehr überschaubaren Verwaltungskapazitäten im Baubereich schauen.

In der Steuerpolitik wird endlich Fairness eingefordert, obwohl die obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher/innen in Deutschland schon jetzt für die Hälfte aller Steuereinnahmen verantwortlich zeichnen. Einer der vielsagendsten Sätze in Richtung Marktskepsis findet sich im Programmentwurf der Grünen: „Wenn wir Märkte aber nachhaltig und sozial gestalten, können sie mit ihrer Wucht Innovationen entfachen, die wir für die Transformation brauchen.“ Markt ist ok, aber er braucht eben zwingend eine Mega-Prise politischen Regulierungs-Feenstaub, um in die gewollte Richtung zu funktionieren.

„Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.“ lautet ein anderes Zitat, dieses Mal von Kurt Schumacher, dem ersten SPD-Chef nach dem II. Weltkrieg. Und die Zahlen aus der Wirklichkeit sprechen eine klare Sprache: Die Unternehmer/innen legen die Hände nicht in den Schoß. Sie verschlafen nicht die Zukunft: In den Firmen flossen 2019 fast 76 Mrd. Euro in die Entwicklung neuer und die Verbesserung existierender Produkte und Dienstleistungen. Und in den neuen Bundesländern antworteten fast drei Viertel der vom Ostdeutschen Bankenverband befragten Unternehmen (TrendOst Dezember 2019), dass sie ihre Geschäftsstrategie auf den Prüfstand stellen, mit allem was an Nachhaltigkeit oder Digitalisierung dazugehört.

Und Unternehmen haben schon heute ganz ordentlich mit Politikentscheidungen zu kämpfen – besser gesagt mit deren Kosten. So gehen mit dem Kohleausstieg bis 2038 deutschlandweit die Arbeitnehmerentgelte um 4,2 Milliarden Euro zurück. Davon entfallen auf das Rheinische Revier 1,8 Milliarden Euro, auf die Lausitz 750 Millionen Euro und auf Mitteldeutschland 590 Millionen Euro. Im Rest Deutschlands summiert sich das Entgeltminus auf eine Milliarde Euro.

Oder Stichwort: Mobilitätswende. Der Verband der Automobilindustrie schätzt, dass durch den Umstieg auf Elektroantriebe deutschlandweit ungefähr 70.000 Jobs gefährdet sind. Da man von einem Beschäftigungsanteil Ostdeutschlands in der Autobranche von ca. zehn Prozent ausgehen kann, stehen in den neuen Bundesländern bei dieser Transformation nochmals 7000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Politik hält sich bei solch negativen Transformationseffekten gern bedeckt, während in den Werkhallen und an den Fließbändern, in den Büros und den Werkstätten, bei den Logistikprozessen oder den Handelsketten trotz Widrigkeiten Wohlstand gesichert wird.

Im selben Jahr als Adi Preißler dem Ende seiner (Trainer)Karriere entgegensah, 1974, erhielt Friedrich August von Hayek den Ökonomienobelpreis. Seine Dankesrede hatte er überschrieben „Die Anmaßung von Wissen“ („The Pretence of Knowledge“). Der Kern: Politikakteure verfügen niemals über die Menge an relevantem wirtschaftlichem Wissen wie der Markt schafft, indem er relative Preise bildet und sie den Wirtschaftsakteuren für effektive und effiziente Entscheidungen zur Verfügung stellt. Preißler und Hayek können den Parteien, die noch beim Programmformulieren sind, sicher gute Ratgeber sein.

Veröffentlichung: 30. März 2021

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