MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Industrie 4.0: Die Transformation im Osten

Mit dem Sammelbegriff „Industrie 4.0“ sind mittlerweile auch in Deutschland zahlreiche Technologien – von Big Data bis zur Künstliche Intelligenz – in der öffentlichen Debatte angekommen. Fakt ist auch: Die Digitalisierung hat eine massive Marktveränderung bewirkt. Wenn die Unternehmen auch künftig erfolgreich im Wettbewerb bestehen wollen, müssen sie sich auf dieses veränderte Umfeld einstellen. Dabei wird die Digitalisierung hierzulande jedoch noch zu häufig auf ihr Potential für die Prozessoptimierung reduziert (siehe Grafik). Es geht aber letztlich viel mehr um die massive Veränderung der Kundenbedürfnisse. Die zentrale Frage ist daher, wie die Unternehmen ihre Geschäftsmodelle mit Hilfe von Technologien auf diesen Wandel einstellen können.

Technologische Schlüsseltrends

Dass Daten der Rohstoff der digitalen Transformation sind, ist heutzutage zum geflügelten Sprichwort geworden. Im industriellen Bereich ist die massenhafte Datenerhebung jedoch nicht ganz so einfach umsetzbar, wie beispielsweise bei sozialen Netzwerken (z.B. Facebook) oder Marktplattformen wie Amazon. Mittlerweile eröffnen sich aber grundlegend neue Optionen durch die rasant steigende Verfügbarkeit von integrierten Sensoren. Diese können direkt in einzelne Bauteile oder Produkte integriert werden und liefern eine Vielzahl von Daten beispielsweise über Temperatur oder Schwingungen. Diese Entwicklung ermöglicht es nun auch der Industriebranche in ihrem Kerngeschäft Daten im großen Stil zu sammeln.

Die eigentliche Herausforderung besteht jedoch nicht in der Datenerhebung selbst, sondern in der Auswertung und Nutzbarmachung. Die von den integrierten Sensoren gelieferten Daten sind gerade im industriellen Kontext von äußerst komplexer Natur. Um einen Nutzen aus den riesigen Datenmengen zu ziehen, müssen Methoden des maschinellen Lernens verwendet werden. Hierbei handelt es sich um eine Form der Datenanalyse, bei der man mit Hilfe eines Algorithmus ein Modell abbildet, dass die erhobenen Daten in einen sinnvollen Kontext einbettet. Der Algorithmus wird durch wiederholte Anwendung  trainiert und damit stetig besser. Hierdurch können Informationen und Muster identifiziert werden, die z.B. Antworten darauf geben, warum ein Produktionsfehler aufgetreten ist. So könnten in eine Fräsungsmaschine integrierte Sensoren aufschlussreiche Daten über den gesamten Fräsungsprozess einer Teilkomponente liefern. Treten beispielsweise Unregelmäßigkeiten durch Schwingungen auf, kann die Ursache aus den gelieferten Daten identifiziert werden. Auf diese Weise wird Big Data zu Smart Data.

Richtig interessant wird es jedoch erst, wenn durch maschinelles Lernen zukünftige Ereignisse berechnet werden können. Aus den zuvor erhobenen Daten kann man mit Hilfe maschinellen Lernens potentielle Unregelmäßigkeiten in der Produktion vorhersagen und auf dieser Basis eingreifen. Die Produktionsfehler fallen somit nicht erst deutlich später in der Qualitätskontrolle auf, was eine drastische Kostenreduzierung bedeuten würde. Technisch wäre es durch Methoden des maschinellen Lernens zukünftig sogar denkbar, dass die Maschine autonom den Produktionsprozess an die gewonnenen Erkenntnisse anpasst.

Auch Blockchains werden in Zukunft zur digitalen Transformation im Bereich der Industrie 4.0 beitragen. Bislang werden diese in der breiten Öffentlichkeit vor allem im Kontext der Kryptowährungen (z.B. Bitcoin) wahrgenommen. Das stellt jedoch nur einen Anwendungsfall für diese Technologie dar. Als verteilte Datenbanken können Blockchains beispielsweise auch wichtige Schnittstellen zwischen allen an einer Wertschöpfungskette beteiligten Unternehmen einnehmen. Sollen etwa einzelne Komponenten oder Produkte über den gesamten Produktionsverlauf verfolgt werden, dann muss das einzelne Unternehmen davon ausgehen können, dass die Einträge in der Datenbank nicht nachträglich durch andere verändert bzw. manipuliert wurden. Zentrale Datenbanken erweisen sich in diesem Kontext als äußerst fragil. Blockchains hingegen haben die nützliche Eigenschaft, dass einmal in sie eingetragene Daten nicht mehr abänderbar sind. Sämtliche Einträge bleiben somit stets rückwirkend nachvollziehbar. Sie sorgen daher für Vertrauen und ermöglichen die Vernetzung in bislang wenig digitalisierten Bereichen. Sollen in Zukunft bestimmte Entscheidungen in den logistischen Abläufen durch die Systeme gar autonom getroffen werden, dann ist Vertrauen in den erhobenen Datenbestand eine der wichtigsten Voraussetzungen.

Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle

Durch diese Entwicklungen ergibt sich die Chance bestehende Geschäftsmodelle zu optimieren, auch werden grundlegend neue Ansätze denkbar. Denn erst wenn die Digitalisierung sich in den Geschäftsmodellen niederschlägt, kann man tatsächlich von einer Transformation sprechen. Ein solches wäre zum Beispiel, statt ein Produkt zu verkaufen dessen Verfügbarkeit zu garantieren. Der Betrieb und der Unterhalt blieben damit in der Verantwortung des Herstellers. Die Bezahlung dieser Dienstleistung könnte flexibilisiert und etwa je nach Nutzung erfolgen. In der IT-Branche ist dies bereits ein etabliertes Model. Hier wird oftmals eine Dienstleistungsvereinbarung verkauft, die eine Betreuung und die Verfügbarkeit einer Leistung garantiert. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist Amazon Web Services, bei dem Kunden flexibel IT-Infrastruktur auf Abruf mieten und dynamisch an ihre Bedürfnisse anpassen können. Die Übertragung dieses Models auf die Industriebranche steht allerdings momentan noch am Anfang. Eine der Voraussetzungen ist die Befähigung des Unternehmens die tatsächliche Verfügbarkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen zu können. Die im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Technologien bilden hierfür die Grundlage.

Die Unternehmen können allerdings nicht einfach von heute auf morgen ihr Geschäftsmodell umstellen, gerade im Hinblick auf die derzeitige Konjunkturlage, die bei vielen mittelständischen Unternehmen für volle Auftragsbücher sorgt. Dadurch besteht die große Herausforderung, die Weichen langfristig auf die digitalen Entwicklungen einstellen zu müssen, ohne das etablierte Geschäft zu beeinträchtigen.

Folgerichtig gehen mittelständische Vorreiter ihre Digitalisierung bereits frühzeitig, aber in vielen kleinen Schritten an. So könnte im obigen Beispiel ein erster Schritt lauten, die Produkte für eine Übertragung von Fehlermeldungen und ggf. Fernwartungen vorzubereiten. Hierdurch würde einerseits die grundlegende Infrastruktur für die weitere Vernetzung innerhalb des Unternehmens geschaffen. Außerdem könnten bereits erste begleitende Dienstleistungen, wie die Zustandsüberwachung, um das Kernprodukt herum angeboten werden. Auf dieser Basis würde im nächsten Schritt eine deutlich erweiterte Datenerhebung durch integrierte Sensoren und hierdurch Vorhersagen durch Modelle des maschinellen Lernens möglich. Letztendlich könnte durch die schrittweise Abbildung der Digitalisierung im gesamten Produktions- und Instandhaltungsprozess völlig neue Vergütungsformen, wie die Bezahlung je nach Nutzung, eingeführt werden.

Ein Großteil der Herausforderungen in einem solchen Transformationsprozess ist jedoch nicht von technischer Natur. Neben dem hohen Kapitalbedarf und den teils beträchtlichen Investitionszeiträumen im Industriesektor, erweisen sich meist kulturelle und organisatorische Gründe als größere Hindernisse. Je größer das Unternehmen, desto komplexer wird dabei typischerweise der Koordinationsaufwand zwischen den verschiedenen Abteilungen und Geschäftseinheiten. Wie die eigenen Mitarbeiter auf einen solchen Weg mitgenommen werden können, ist zudem eine der zentralen Problemstellungen, der sich die Unternehmer annehmen müssen. So werden die sich verändernden Anforderungen an die Mitarbeiter u.a. umfangreiche Weiterbildungen notwendig machen.

Digitale Infrastruktur

Das Grundgerüst der Industrie 4.0 ist eine flächendeckende digitale Infrastruktur. Ohne leistungsfähige Glasfaser- und Mobilfunkversorgung wird die weitere Vernetzung der Industrie nicht umgesetzt werden können. Eine wichtige Funktion nimmt hierbei der neue Mobilfunkstandard 5G ein. Ende November hat die Bundesnetzagentur den Fahrplan für die Versteigerung zahlreicher Frequenzen für den 5G-Ausbau festgelegt, der ab 2020 schrittweise erfolgen soll.

Die für den Ausbau vorgesehenen Frequenzen haben dabei einen direkten Einfluss auf die zukünftige Versorgung des ländlichen Raumes. Denn je höher die verwendete Frequenz, desto höher ist zwar die erreichbare Geschwindigkeit. Gleichzeitig sinkt allerdings die Reichweite des Signals. Für eine flächendeckende Versorgung des ländlichen Raumes kommen daher vor allem Frequenzen im niedrigeren Bereich in Frage. Diese werden jedoch keine Gigabit-Geschwindigkeiten ermöglichen. Dennoch bringt der 5G-Ausbau auch in den niedrigeren Frequenzen entscheidende Vorteile gegenüber der Vorgängergeneration 4G mit: Die Verzögerungszeit der Übertragung wird auf ein Minimum reduziert, der Energieverbrauch der vernetzten Geräte sinkt und die Kapazitäten der Netze werden drastisch erhöht. Für viele digitale Geschäftsmodelle sind diese Vorteile der 5G-Netze entscheidende Bausteine.

Um die Mobilfunkdaten auch verarbeiten zu können, müssen die Basisstationen der Mobilfunknetze zudem mit Glasfaser erschlossen werden. Hier ergeben sich große Synergien mit dem Breitbandausbau. In den vergangenen Jahren wurden immer mehr Verteilerkästen am Straßenrand von den DSL- und Kabelnetzbetreibern mit Glasfaser erschlossen, was Geschwindigkeiten von mindestens 50 Mbit/s ermöglicht. So lässt sich im ländlichen Raum Ostdeutschlands in den vergangen fünf Jahren eine deutliche Zunahme solcher Anschlüsse feststellen (siehe Grafik). Die erstmalige Verlegung von Glasfaser in vielen dieser Gemeinden macht eine Erschließung der örtlichen Basisstationen deutlich einfacher. Im ländlichen Bereich hat sich in den letzten fünf Jahren somit zwar einiges getan, doch ist man immer noch weit von einer vollständigen Erschließung mit mindestens 50 Mbit/s, d.h. mindestens Glasfaser bis an die Verteilerkästen, entfernt.

Wo eine starke digitale Infrastruktur vorhanden ist, finden sich auch deutlich mehr Mittelständler auf dem Weg zu digitalen Geschäftsmodellen. Der Ausbau von 5G und der Glasfasernetze im ländlichen Raum stärkt damit die dezentrale Wirtschaftsstruktur, wie sie auch die ostdeutschen Bundesländer prägt. Ein zügiger Ausbau der digitalen Infrastruktur ist dementsprechend eine wichtige Voraussetzung für die weitere wirtschaftlichen Entwicklung.

Der Blick der privaten Banken zur digitalen Transformation

  • Digitale Transformation muss bedeuten, das Geschäftsmodell stärker in den Blick zu nehmen. Viele Unternehmen verbinden Digitalisierung noch zu stark mit Prozessoptimierungen. Nur ein kleinerer Teil des ostdeutschen Mittelstands gibt an, bereits Anpassungen am eigenen Geschäftsmodell vornehmen zu wollen.
  • Für Industrie 4.0 bedeutet der 5G-Ausbau auch im ländlichen Raum eine kritische Weichenstellung. Hierfür ist der schnellstmögliche Glasfaserausbau die wichtigste Voraussetzung. Der Anschluss der lokalen Verteilerkästen an das Glasfasernetz erreicht in keinem der ostdeutschen Flächenländer die 50%-Marke. Ein schneller Glasfaserausbau in die Fläche ist daher dringend geboten!