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OstBV-Forum 2025:
„Wir müssen den Weg frei machen für Innovation“

Ein halbes Jahr, das sind rund 180 Tage. Und es ist die klassische Probezeit für ein Arbeitsverhältnis. In dieser Job-Start-Phase dürfen beide Vertragsseiten ohne Nennung von Gründen und ohne Frist der jeweils anderen kündigen.

Gestern, am 6. November, war es auf den Tag genau ein halbes Jahr her, dass Friedrich Merz seinen Dienst als 10. Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen hat. Der Ostdeutsche Bankenverband (OstBV) hatte just am 6. November nach Berlin eingeladen und zwar zu seinem traditionellen Top-Jahresevent, dem OstBV-Forum. In den Vorträgen und Diskussionen mit Gästen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft ging es um die Frage: „180 Tage Regierung – ist der Neustart für Ostdeutschland gelungen?“ Neben der thüringischen Wirtschaftsministerin Colette Boos-John sprachen und diskutierten auf dem Forum unter der Moderation von Sascha Hingst vom RBB Prof. Jörg Rocholl, Präsident der European School of Management and Technology, Alexander Jakschik, Präsident des VDMA-Ost, Kerstin Stork, Geschäftsführerin der STORK Umweltdienste GmbH, Sabrina Kensy als Vorstandsvorsitzende des Ostdeutschen Bankenverbandes und ihre Vorstandskollegen Fritz Ritzmann und Harald Eisenach.

Um es vorwegzunehmen: Das Arbeitszeugnis fiel gemischt aus. Kein Wunder, sieht man sich die weiterhin schleppende Konjunkturentwicklung, die ungelösten Strukturprobleme und die kontinuierlich drohenden geopolitischen Unsicherheiten an. In allen Jahren seit dem Ende der Corona-Pandemie sollte stets das Kommende den erhofften Aufbruch bringen. In den Berichten des Statistischen Bundesamtes allerdings reiht sich ein Negativ- oder bestenfalls Null-Wachstum an das nächste. 2025 bildet keine Ausnahme. Die in der vergangenen Woche veröffentlichte Schnellmeldung zum BIP-Wachstum im dritten Quartal liefert 0,0 Prozent. Blickt man auf die Zahlenreihen von Destatis, meint man, ein Déjà-vu zu erleben. Auch vor einem Jahr stand in Q3 eine Null – nach einem negativen Q2. Das Risiko für eine eher maue Vorweihnachtskonjunktur ist hoch, fiel beispielsweise das Konsumbarometer des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels (HDE) auf den tiefsten Stand seit Anfang des Jahres. Wenig überraschend liegt der aktuelle Median aller namhaften Konjunkturprognosen für das 2025er Wachstum bei 0,1 Prozent. Für 2026 sollen es 1,1 Prozent werden. Doch ehrlicherweise ist auch dies ein bereits nach unten korrigierter Wert.

Das Dahinschleppen resultiert nicht zuletzt aus fehlendem politischem Willen, die seit langem bekannten Probleme anzupacken. Leider lautete auch beim OstBV-Forum der Tenor der Praktiker aus den Unternehmen und Banken in Bezug auf die seit Mai verfolgte schwarz-rote Wirtschaftspolitik: richtige Ansätze in der Theorie, aber viel zu wenig echtes Machen in der Praxis.

Als Kronzeuge lässt sich niemand Geringeres als Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche anführen. Auf dem Außenwirtschaftstag des eigenen Hauses in der vergangenen Woche zählte Reiche jenen Dreiklang auf, der sich seit kaum noch erinnerbarer Zeit in wirklich jeder Analyse zur Problembeschreibung der deutschen Wirtschaft findet: überbordende Bürokratie, Energiepreise jenseits wettbewerbsfähiger Höhe und die Belastung mit Steuern und Sozialabgaben.

Bezeichnenderweise ließ Reiche der Lagebeschreibung in Moll keine kraftvolle Wir-machen-es-jetzt-anders-Agenda folgen. Sie lobte verabschiedete Maßnahmen wie den Investitionsbooster als in die richtige Richtung weisend. Aber wie ein echter – und vor allem notwendiger – Turnaround der schwarz-roten Wirtschaftspolitik aussehen soll, ist weiter nicht erkennbar.

Impulse erwartet man von der deutlich expansiveren Finanzpolitik der Großen Koalition. Nicht zuletzt Rüstungsaufträge sollen die Konjunktur stimulieren. Für Ostdeutschland, das klang beim OstBV-Forum an, dürften diese Faktoren nicht in gleicher Stärke wirken wie im Westen. Zudem fallen Abwärtsrisiken höher aus, da es weniger industrielle Ankerzentren gibt und etliche der existierenden von den besonders hart getroffenen Branchen wie Chemie und Automobil abhängig sind. Die Hoffnung liegt auf den ostdeutschen Standortstärken wie dem tatkräftigen Mittelstand, dem Maschinenbau und der Halbleiterbranche sowie der exzellenten Forschungslandschaft.

Die Rückkehr zu echter wirtschaftlicher Dynamik hängt vom Lösen der strukturellen Hausaufgaben ab. Sabrina Kensy mahnte daher auf dem Panel des OstBV-Forums an: Wir müssen den Weg frei machen für Innovation. Unisono schätzten die Experten ein, Deutschland habe kein Erkenntnis-, sondern vielmehr ein Umsetzungsproblem. Gipfel und Spitzentreffen seien ein wichtiger erster Schritt. Doch dem Miteinander-Reden müssten nun endlich politische Taten folgen.

Die „Probezeit-Bilanz“ fällt also eher gemischt aus. Entlassen kann man die Regierung zwar nicht. Aber solange die Koalition immer wieder um andere Themen als die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland kreist, sorgt sie fortgesetzt für argumentative Angriffsflächen. Dass das auf Dauer nicht gut tut, hat die Vorgänger-Koalition vor Augen geführt.

Fotos: Jens Schicke/Ostdeutscher Bankenverband e.V.

Veröffentlicht: 7. November 2025

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