Skip links

Catherine Loclair, Senior Vice President Corporate & Legal Affairs
ORAFOL Europe GmbH

#ErfolgeOst

Aus dem Kombinat zum Global Player

Orafol ist das größte familiengeführte Industrieunternehmen im Osten und Hidden Champion für Spezialfolien und Industrieklebebänder. Inzwischen strebt der Konzern die erste Umsatzmilliarde an – und kritisierte nebenbei die aktuelle Wirtschaftspolitik. Auslöser war ein Schlüsselerlebnis am Stammsitz in Brandenburg. 

Oranienburg – beschauliche Kleinstadt vor den Toren Berlins, 50.000 Einwohner, ein Barockschloss an der Havel, zu seinen Füßen eine belebte Einkaufsstraße. Nicht weit vom historischen Kern entfernt erstreckt sich das riesige Orafol-Gelände: ein Dutzend moderne Hallen mit automatisierten Produktionsstraßen auf 280.000 Quadratmetern. 1300 Menschen arbeiten hier, weitere 1700 sind es an 30 Standorten auf allen Kontinenten. Orafol ist ein globaler Meister für selbstklebende Spezialfolien, denen man überall auf der Welt begegnet: auf Verkehrszeichen, Hinweisschildern und Bahnhöfen, Flugzeugen, Taxis und Polizeiwagen, in E-Autos und auf Kreditkarten. Einst herausgelöst aus dem ehemaligen DDR-Kombinat Lacke und Farben hat sich Orafol zum weltweit führenden Folienspezialisten und größten industriellen Familienunternehmen in Ostdeutschland entwickelt. Umsatz voriges Jahr: 883 Millionen Euro. 

Im zweiten Stock des Hauptgebäudes, das die Stararchitekten Gerkan, Marg und Partner entworfen haben, sitzt Catherine Loclair an einem langen Konferenztisch und erklärt, wie diese Erfolgsgeschichte möglich wurde: „Ehrgeiz, Führungsstärke, Selbstdisziplin und der Wille, ganz vorn zu stehen – immer“, sagt die 47-Jährige. Die Juristin und Tochter des Firmengründers Holger Loclair verantwortet die Bereiche Personal, Arbeitsschutz, Recht und Nachhaltigkeit, und sie weiß, wieviel Entschlossenheit und Durchhaltevermögen in diesem Weltmarktführer stecken. „Wir ruhen uns nicht auf Erfolgen aus“, betont sie. „Der Blick ist immer nach vorn gerichtet.“ Eine Haltung, der man viel unterordnen muss. 

Zur DNA des Unternehmens gehört die Legende des Gründers, der seit fast 50 Jahren das Unternehmen führt: Ein promovierter Chemiker, seit 1977 beim VEB Spezialfarben Oranienburg, seit 1987 Direktor des volkseigenen Vorgängerbetriebs. Und seit 1990 Geschäftsführer von Orafol. Doch kurz vor Weihnachten 1990 drohte die Zahlungsunfähigkeit trotz guter Aufträge aus dem Westen und voller Konten bei der Außenhandelsbank. Holger Loclair fürchtet damals, die Gehälter der 60 Beschäftigten nicht mehr bezahlen zu können, fährt zur frisch gegründeten Deutschen Kreditbank nach Berlin und erklärt den Empfangsdamen, er bleibe so lange im Foyer sitzen, bis er den Präsidenten sprechen kann. Man müsse schon die Polizei holen, um ihn loszuwerden. Stunden später bekommt Loclair sein Gespräch – und am nächsten Tag zwei Millionen Mark Überbrückungskredit. Es ist die zweite Geburtsstunde von Orafol. „Bei dieser Weihnachtsfeier haben die Wände gewackelt“, erzählt seine Tochter. Danach nehmen Aufbau und Aufstieg des Unternehmens Fahrt auf. 

Orafol-Hauptverwaltung in Oranienburg (Copyright Reinhard & Sommer)

ORAFOL Werkgelände in Oranienburg (Copyright Reinhard & Sommer)

Zum Geheimnis des Erfolgs gehört auch die Breite der Anwendungen: Folien, Klebebänder, Klebstoffe, Dichtungen und andere Kunststoffprodukte. Kunden sind die Autoindustrie, Haushaltsgerätehersteller, Solar- und Energieunternehmen, die Teppichindustrie, Schilder- und Display-Lieferanten sowie die Papier- und Druckindustrie. „Gewinne werden bei uns grundsätzlich reinvestiert“, sagt Catherine Loclair. „Fast 720 Millionen flossen allein in Oranienburg in Hallen und Produktionstechnik.“ Zudem kauft Orafol bisweilen Unternehmen, die das Produktportfolio und die eigenen Technologien erweitern. „Ohne den Mut, uns in neue Bereiche zu entwickeln, wären wir heute nicht mehr da“, sagt Catherine Loclair. 

Seit vorigen Herbst beteiligt sich Orafol beispielsweise am Spezialfolienhersteller Group M.A.M., einem belgischen Familienunternehmen mit gut 60 Mitarbeitern. Mit dessen innovativer Technologie sollen ab dem Frühjahr 2025 – neben anderen Innovationen – Sonnenschutzfolien für Autos und Gebäude produziert werden. Die mit Metallpartikeln beschichteten Folien reflektieren Sonnenstrahlen und reduzieren so den Wärmeeintrag, aber nicht den Lichteinfall. Der Bau der neuen Hightech-Halle 10 – mit 160 Millionen Euro die größte Einzelinvestition in der Firmengeschichte – entwickelte sich allerdings zu einem Schlüsselerlebnis für Orafol: In der gleichen Zeit, in der die Tesla-Fabrik in Windeseile entstand, zogen sich die Genehmigungsverfahren in Oranienburg vier Jahre lang hin. Erst jetzt beginnt der Probebetrieb. 

Holger Loclair hat in dieser Zeit die Politik auch öffentlich scharf kritisiert: Das Misstrauen gegen Unternehmer sei schwer zu ertragen, so der Firmenlenker. Als energieintensives Unternehmen fühle man sich nicht mehr vorbehaltlos in Deutschland willkommen. „Man treibt den industriellen Mittelstand aus dem Land“, sagt Loclair. Auch Catherine Loclair, die das Genehmigungsverfahren verantwortete, bezog Stellung. Gesetzlagen und Genehmigungsprozesse könne man wesentlich effizienter und wohlwollender gestalten nach dem Motto: Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Orafol selbst zog Schlüsse, stellte Genehmigungsmanager ein, die sich ausschließlich mit den Herausforderungen um den Neubau befassten und beauftragte eine renommierte Kanzlei nebst Umweltberatung. „Wir sind nicht nur zu langsam“, sagt Catherine Loclair. „Es fehlte an den Schnittstellen im Genehmigungsverfahren immer wieder der Mut, Verantwortung zu tragen.“ 

Orafol Außenansicht

Blick auf die neue Halle 10 am ORAFOL Stammsitz in Oranienburg (Copyright Reinhard & Sommer)

 

Neue Hallen werden in Oranienburg vorerst nicht entstehen. Doch die Investitionsbereitschaft bei Orafol bleibt hoch. 60 Millionen Euro sind bis 2027 allein am brandenburgischen Stammsitz geplant. Parallel dazu stellt sich Orafol breit auf: Die internationale Produktion wird weiter gestärkt, damit die Standorte unabhängig voneinander agieren können. 

Für das weitere Wachstum in Deutschland benötigt das Unternehmen vor allem ausreichend Fachkräfte: rund 1000 Menschen arbeiten in Oranienburg in der Produktion, 300 in den Bereichen Technik, Forschung und Entwicklung sowie Verwaltung. „Das beste Recruiting ist Mitarbeiterbindung“, sagt Catherine Loclair. Und die Fluktuation sei sehr gering, die Loyalität gegenüber Orafol groß: Viele Mitarbeiter sind schon in zweiter Generation bei Orafol, sie waren einst Schulkameraden und spielen zusammen Fußball, bilden Fahrgemeinschaften und Produktionsteams. Das Familienunternehmen trägt dem Rechnung und bietet Sicherheit selbst in Krisenzeiten – plus eine übertarifliche Bezahlung. „Wer zu uns kommt erwartet genau das. Wir wissen, dass sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf uns verlassen können müssen. Viele von Ihnen bauen Häuser in unserer Region und tragen Verantwortung für eine Familie“, sagt die Managerin und Juristin. 

Dazu gibt es flexible Schichtmodelle, individuelle Lösungen bei familiären Anforderungen und offene Wege, sich im Unternehmen weiterzuentwickeln. „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ehrgeizig und behalten unsere Ziele im Blick“, sagt Loclair. „Vom Leistungsgedanken haben wir uns nie verabschiedet, auch nicht, als es modern wurde, Tischtennisplatten und Kicker in Unternehmen aufzustellen.“ Um Spezialisten für einzelne Bereiche zu gewinnen, kooperiert Orafol zudem mit Hochschulen der Region oder einer Personalagentur, die Fachleute aus dem Iran nach Deutschland vermittelt. 

Für Ostdeutschland wünscht sie sich indes mehr große mittelständische Unternehmen als Mitstreiter für gemeinsame Interessen – und eine große Portion mehr Zuversicht. Während allerorten über Veränderungen geklagt werde, solle der Osten sich bewusst machen: „Wir können Transformation. Und zwar erfolgreich.“

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Profilbild: Martin Tervoort; Beitragsbilder: Orafol / Reinhard & Sommer )

Veröffentlicht: 31. Januar 2025

Bleiben Sie informiert! Jetzt haben Sie die Möglichkeit, sich in unseren Verteiler eintragen zu lassen. Somit sind Sie immer auf dem Laufenden, was Ostdeutschland bewegt.