Frank Orschler | Geschäftsführer, Königsee Implantate

#ErfolgeOst
Vom Holzbein zur Titanplatte
Nach einer wechselvollen Geschichte hat Königsee Implantate einen festen Platz im deutschen Medizinmarkt. Inhaber Frank Orschler steuert das Unternehmen im Thüringer Hinterland mutig – und nachhaltig.
Man muss schon aufpassen, dass man nicht an Aschau vorbeifährt: Nur eine Asphaltpiste ohne Markierungen führt in den kleinen Ort im Thüringer Wald: 100 Einwohner, Fachwerkhäuser, Pferdewiesen, eine Agrargenossenschaft. Ungefähr dort, wo der Milchberg auf Am Sand trifft, entsteht jedoch Medizin-Hightech für die halbe Welt: Das renommierte Unternehmen Königsee Implantate produziert hier Radiusplatten für Handgelenke, Humerusplatten für Schultern und andere Implantate für die Unfallchirurgie und Orthopädie. Sie kommen meist zum Einsatz, wenn jemand mit Brüchen in eine Klinik eingeliefert wird – vom Schlüsselbein bis zum Fuß.
Königsee Implantate hat mehr als 1000 Kunden in Deutschland und liefert in über 40 Länder auf allen Kontinenten – ist aber benannt nach dem Hauptort, der nur zwei Kilometer entfernt liegt. Frank Orschler, Eigentümer und Geschäftsführer des Unternehmens mit 150 Beschäftigten und 16 bis 20 Millionen Euro Jahresumsatz, führt seine Besucher gern durch das Produktionsgebäude. Im Erdgeschoss zischt und rauscht und röhrt es. Roboter, vollautomatische Dreh- und Fräsmaschinen und Hochdruckpressen verarbeiten Titan und Stahl zu gewölbten Platten und Schrauben für beinah alle Knochenabschnitte.
Alle Produkte werden hier in Thüringen hergestellt und weltweit vertrieben. „Es gibt in Deutschland kaum eine Handvoll vergleichbarer Unternehmen mit einem solchen Portfolio“, sagt Orschler. Die Abgeschiedenheit habe dabei ihre Vorteile: Die Mitarbeitenden aus der Region sind bodenständig und loyal, die Fluktuation gering, Fachkräfte ausreichend vorhanden. „Wir bilden jedes Jahr neu aus – und die Leute bleiben“, sagt Orschler. Der erste Azubi von einst sei heute sein Ausbildungsleiter.

Aufgereiht für kaputte Hände – Radiusplatten aus Königsee

Aber warum gerade hier am Ende der Welt? Die Erklärung ist einfach und kurios: Als 1919 viele Soldaten versehrt von der Front des Ersten Weltkriegs zurückkehrten, begann der Orthopädiemechaniker Otto Bock in Berlin-Kreuzberg, Prothesen industriell herzustellen. Allein mit handwerklichen Mitteln konnten die vielen Weltkriegsopfer nicht ausreichend versorgt werden. Angesichts der unruhigen Weimarer Zeiten verließ Bock jedoch Berlin und siedelte seine Orthopädische Industrie GmbH in seiner kleinen Heimatstadt an: in Königsee in Thüringen. Das Örtchen versprach mehr Ruhe, Stabilität und Beschäftigte, die die Firma nicht gleich wieder verlassen.
1947 kommt es jedoch zur nächsten Zäsur: Das Unternehmen wird von der SED verstaatlicht und Otto Bock enteignet. Die Eigentümerfamilie zieht ins Nahe Duderstadt im südöstlichen Niedersachsen um und fängt neu an. Die Ottobock-Gruppe ist heute ein Milliarden-Konzern. Doch Königsee machte zu DDR-Zeiten auch in Thüringen weiter und wurde nach dem Mauerfall von der Treuhand an einen französischen Investor verkauft, der aber bald darauf Insolvenz anmeldete.
Im November 1993 stieg Erich Orschler ein, ein ehemaliger Hoechst-Manager im Vorruhestand. Mit 58 Jahren und 90 Prozent seiner alten Bezüge wollte der Vorruheständler und Vertriebsprofi mit Medizinerfahrung es noch einmal wissen und gründete die Firma neu. Sein Sohn, der zunächst Karriere im Bankgeschäft und im Marketing macht, stieg 2004 in die Geschäftsführung mit ein. Zuvor hatte der Vater ein Softwaresystem für Produktion und Vertrieb installiert und dabei den Sohn mit angeheuert. Allerdings bekam auch er ein halbes Jahr Probezeit aufgebrummt.
2010 kauft Frank Orschler dem Vater das Unternehmen für 20 Millionen Euro ab. „Ich habe nichts geschenkt bekommen“, betont der heutige Inhaber, der seine eigenen Wege geht: 2015 wird er als Macher des Ostens, 2018 mit dem Deutschen Exzellenz-Preis und 2019 mit dem Ernst-Abbe-Preis für innovatives Unternehmertum ausgezeichnet. Der gebürtige Aschaffenburger, der in Gießen Betriebswirtschaft studiert und in Frankfurt, Düsseldorf, Köln und Hamburg gearbeitet hat, fühlt sich seither in Thüringen wohl.

TIS-Implantatschraube in verschiedenen Längen

Humerusplatte für die Stabilisierung nach Oberarmbrüchen
Produktion und Umsatz laufen seither stabil. Zu schaffen machen dem Firmenlenker neben dem wachsenden Preisdruck aus Asien vor allem steigende regulatorische Anforderungen an die Medizintechnik. Bestes Beispiel: Nach dem Skandal um minderwertige Brust-Implantate aus Industriesilikon vor mehr als zehn Jahren hatte die Europäische Union schärfere Regeln für Medizinprodukte-Hersteller erlassen. Die neue Medical Device Regulation verlangte, dass sogar lang erprobte Produkte neu und streng zertifiziert werden mussten. Kunden wie Hersteller räumten im Zuge dessen ihre Bestände auf. Auch Königsee strich ein paar nicht rentable Produkte aus dem Sortiment – muss seither aber auch mit geringeren Umsätzen und weniger Beschäftigten arbeiten. „Zu viel Bürokratie, zu viel Personalaufwand, zu hohe Zulassungskosten“, sagt Orschler. „Die EU ist weit über das Ziel hinausgeschossen.“
Den leidenschaftlichen Tesla-Fahrer hält all das nicht davon ab, sein Unternehmen nachhaltig aufzubauen. Vor der Haustür steht eine Reihe Ladesäulen, Angestellte mit E-Autos dürfen hier kostenlos Solarstrom vom Dach tanken. Bei der Expansion verzichtet Orschler auf Neubauten und integriert ausrangierte Gebäude der Umgebung ins Unternehmen: Eine ehemalige Fleischerei ließ er zur Galvanik umwandeln, eine ehemalige Lidl-Filiale zum Logistikzentrum und ein früheres Kinderferienlager zur Lehrwerkstatt.
Der mehrfach ausgezeichnete Betrieb produziert dabei mit geringem CO2-Ausstoß: Das Ausbildungszentrum läuft bereits klimaneutral, die Produktion nutzt eigenen Solarstrom und Wärmetauscher und bereitet Wasser, Öle und andere Rohstoffe wieder auf. Weil es ihn schmerzte, dass jedes Jahr kistenweise Reststücke von Titanstäben im Müll landeten, ließ Orschler einen italienischen Zulieferer eine Maschine entwickeln, die das Material verwerten kann. Die Verpackungen der Produkte bestehen aus recyceltem Karton und verzichten auf unnötige Verbundstoffe und Umhüllungen. Doch der bürokratische Aufwand, den Banken für Bonitätsunterlagen verlangen, sei viel zu hoch und bremse manche innovativen Projekte, bemängelt Orschler.
Wann der 64-Jährige sein Unternehmen abgeben will, steht indes in den Sternen. „Ich mache weiter, solange es mir Spaß macht.“ Wer Frank Orschler im Betrieb erlebt, merkt schnell: Das kann noch einige Jahre so weitergehen. Der Vater hat sich mit 75 aus dem Geschäft zurückgezogen.
„Der entlegene historische Standort in Thüringen macht mich zugleich unabhängig: Die Beschäftigten sind bodenständig, loyal und bleiben bei uns. Auch neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind gut zu finden. Ich bin in der Region und in Erfurt sehr gut vernetzt und fühle mich sehr wohl. Für die Kunden spielt es keine Rolle, ob die hochwertigen Produkte aus der Provinz kommen oder aus Berlin, solange die Qualität stimmt.“
Frank Orschler
Geschäftführer
Königsee Implantate

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: Königsee)
Veröffentlicht: 2. April 2024
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