Stefan Schönert, Standortleiter von EW Biotech.
MITTELSTAND / BRANCHEN

Biotech-Labor für Kalifornien

In der Region Leuna etablieren sich inzwischen innovative Hightech-Firmen: „EW Biotech“ zum Beispiel verhilft angesagten Startups aus den USA und Europa, ihre Schöpfungen aus dem Labor zur Marktreife zu bringen. Und sie sind nicht die einzigen. Ein Ortsbesuch.

Am Chemiestandort Leuna herrscht bis heute ein dichtes Gewimmel von endlosen Rohren, Industriestraßen und riesigen Stahlanlagen. Sie gehören unter anderem zur Total-Raffinerie und den Produktionsstätten internationaler Konzerne wie Linde und Domo. Mittendrin, an der schlichten Adresse „Am Haupttor 3668“, liegt versteckt ein unscheinbares Bürogebäude mit oranger Fassade. Doch die schmucklose Anschrift ist in der halben Welt bekannt: Die Firma EW Biotech, die hier ihren Sitz hat, ist ein Geheimtipp bei Biotech-Startups und -Unternehmen in den USA und Europa.

Biotechnologische Neukreationen, die irgendwo auf der Welt im kleinen Labormaßstab gemacht werden, können von dem ostdeutschen Auftragsfertiger dank seiner Mehrzweck-Biotechanlage und dem speziellen Knowhow seiner Mitarbeiter in größerem Stil skaliert und produziert werden. Mit diesem Schritt schaffen die internationalen Kunden den Sprung vom Labor zur industriellen Produktion und zur Marktreife. Weltweit gibt es nur etwa eine Handvoll Unternehmen, die diese Dienstleistung anbieten“, sagt EW Biotech-Standortleiter Stefan Schönert.

Und solche Beispiele mehren sich: Gleich neben EW Biotech baut der finnische Papierkonzern UPM zurzeit für rund 1,2 Milliarden Euro die nach eigenen Angaben weltweit erste Bioraffinerie ihrer Art. Mehr als 100 Mitarbeiter sollen dort aus Buchenholz aus nachhaltiger deutscher Forstwirtschaft erneuerbare Stoffe für die Gummi-Industrie sowie Biokunststoffe herstellen. Die Fertigstellung des Investitionsprojekts wird für Ende 2024 erwartet. Die eigentlichen Bauarbeiten soll Ende 2023 abgeschlossen sein und die Inbetriebnahme im Anschluss erfolgen. „Wir haben erfolgreich Kooperationen und Partnerschaften mit Händlern, Kunden und globalen Marken aufgebaut“, sagt, der Präsident und CEO von UPM Jussi Pesonen. „Das Interesse an unseren erneuerbaren Produkten, die fossile Materialien ersetzen, ist nachweislich groß.“

Eher unscheinbar – der Standort von EW Biotech GmbH.
Die Großbaustelle der Bioraffinerie von UPM (Fotocredits UPM).

Auch zu den Kunden von EW Biotech zählen unter anderem Firmen wie Provivi und Genomatica aus Kalifornien und DMC Biotechnologies aus Colorado, außerdem Auftraggeber in halb Europa. Oft geht es dabei um neue Zusatzstoffe für die industrielle Biotechnologie, die Lebensmittelindustrie, für Futtermittel oder Kosmetika. Dafür werden Säuren auf nachhaltiger Basis etwa von Zucker als Kohlenstoffquelle für Mikroorganismen hergestellt. „Welche Säure es ist, hängt vom jeweiligen Start-up und dem Produkt ab“, sagt Schönert.

In der Produktionshalle des Betriebs stehen zwei 13 Meter hohe Edelstahlsilos mit fünf Metern Durchmesser. Sie sind das Herzstück des Unternehmens. In den Bioreaktoren – auch Fermenter genannt – können Mikroorganismen in unterschiedlichsten Zusammensetzungen und unter verschiedenen Bedingungen kultiviert werden. Temperaturen, Luftzufuhr und Zusatzstoffe werden von außen reguliert.

Produziert wird in zwei Zwölf-Stunden-Schichten, sieben Tage die Woche. Die Hälfte des etwa 30-köpfigen Teams kümmert sich um die Fertigungsabläufe, die anderen Kolleginnen und Kollegen sind Biotechnologen und Bioingenieure oder in der Administration tätig. Mit ihrer interdisziplinären Zusammenarbeit helfen die Expert/innen den Kunden, die biochemischen Baupläne aus dem Labor für die Massenfertigung umzusetzen. „Dieser Entwicklungsschritt ist meist nicht trivial“, sagt der promovierte Biologe Schönert. „Im Tonnen-Maßstab mit bis zu 85.000 Litern herrschen ganz andere Bedingungen als im Reagenzglas.“ Manche Partner brächten dafür schon fertige Baupläne mit. Andere Kunden hätten nur einfache Rezepturen im Gepäck, die erst für die industrielle Herstellung weiterentwickelt werden müssen. Dafür seien häufig einige zeitaufwändige Testläufe mit kleineren Mengen notwendig.

Von oben betrachtet - der Kopf des Fermenters für die Produktion:

Am Standort der Firma hatte der Thyssen-Krupp-Konzern 2013 eine Referenzanlage zur Herstellung von Bernsteinsäure und Milchsäure aus organischen Rohstoffen aufgebaut. Zuvor war dort dem Vernehmen nach eine Forschungsanlage für die Weinsäureproduktion von einem regionalen Unternehmen betrieben worden. EW Biotech – gegründet im Jahr 2016 – übernahm die Fermentationsanlage schließlich 2017.

Das Unternehmen gehört zum EW-Nutrition-Konzern, einem globalen Anbieter in der Tierernährung aus der EW-Firmengruppe. Das Kürzel „EW“ steht dabei für Erich Wesjohann, der als einflussreicher Manager deutscher Familienunternehmen gilt und bei Statista in den Top25 der reichsten Deutschen gelistet ist. Offen ist, ob das Unternehmen künftig stärker auf die Produktion von Enzymen für die Lebens- und Futtermittelproduktion statt auf Säuren einsteigt. Doch das, so bestätigt Schönert, sei erstmal noch Zukunftsmusik.

Der Standort in Leuna bietet für das Unternehmen eine hervorragende Infrastruktur und ein Netzwerk mit Partnern, das man anderswo nicht findet. Zudem bildet die Region viele Fachkräfte aus, die EW Biotech benötigt.Stefan Schönert Standortleiter | EW Biotech

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: EW Biotech GmbH sowie UPM)

Veröffentlicht: 16. August 2023

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