MITTELSTAND / BRANCHEN

Chefin über Nacht

Mit nur 33 Jahren leitet Milen Volkmar das Erfurter Familienunternehmen Q-SOFT. Ihr Vater hatte den Software-Spezialisten für Abfallwirtschaft und IT-Sicherheit 1990 gegründet und groß gemacht. Doch als er schwer krank wurde, musste die Tochter über Nacht die Führung übernehmen. Seither ist manches anders geworden – nicht nur für die junge Chefin.

Am 25. August 2018 sitzt Milen Volkmar mit Freunden auf dem Balkon ihres Urlaubsquartiers in Santorini. Es ist ein warmer Samstagabend, sie sind gerade erst angekommen, als das Telefon klingelt. Ihre Mutter ist dran, der Vater hat einen schweren Schlaganfall erlitten, er liegt in Erfurt im Krankenhaus. Am nächsten Morgen fliegt Milen Volkmar wieder nach Hause. Sie ist wenige Tage zuvor 28 Jahre alt geworden, doch am Montagmorgen wird sie die Chefin des renommierten IT-Dienstleisters Q-SOFT mit 50 Mitarbeitern, eine Firma, die ihr Vater seit 1990 in Erfurt aufgebaut hat. Seit bald sechs Jahren hält sie das Unternehmen nun auf Erfolgskurs.

Q-SOFT hat sich bundesweit einen Namen gemacht. Die hauseigene Software für die kommunale und private Abfallwirtschaft kann die gesamte Entsorgungskette abbilden, vom Kunden-, Vertrags- und Auftragsmanagement, über Logistik, Tourenplanung und Fahrerorganisation bis hin zu Gebührenabrechnung – egal ob gelbe, blaue oder schwarze Tonne. Zu den großen Kunden von Q-SOFT gehören etwa die Stadt Hamburg und das ganze Saarland, daneben viele Kommunen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Schwaben. „20 Prozent der Müllgebühren in Deutschland werden allein von uns abgerechnet“, sagt Milen Volkmar. Q-SOFT sei damit einer der Marktführer. Und nicht nur das.

Ihr Team bietet daneben individuelle Lösungen und Beratung zu Fragen der IT-Sicherheit. So werden Kommunen und Unternehmen von den Erfurter Experten in die Lage versetzt, sich vor einem Hackerangriff zu schützen. „Die Software-Lösungen sind von großen Anbietern längst vorhanden“, sagt Volkmar. „In unseren Beratungen geht es vor allem um die richtige Anwendung, um die Sensibilisierung von Mitarbeitenden und den verlässlichen Umgang mit Passwörtern.“ Zudem müssten in vielen Organisationen immer noch Notfallpläne entwickelt werden, um bei einem Angriff schnell reagieren zu können. „Bei einer Cyberattacke zählt jede Sekunde“, sagt Volkmar.

Ab April stellt Q-SOFT darüber hinaus Rechner-Ressourcen für Supercomputing bereit, etwa für Unternehmen, die KI-Anwendungen anbieten. Die Verträge mit einem Rechenzentrum in Norwegen sind geschlossen, nun sollen mit dem neuen Geschäftsbereich neue Märkte erschlossen werden. „Q-SOFT wird damit in den kommenden Jahren um eine Handvoll neuer Kolleginnen und Kollegen weiter wachsen“, erzählt die agile Unternehmerin.

Entstanden ist das Unternehmen gleich nach der Wende. Peter Volkmar war zu DDR-Zeiten in der Erfurter Stadtwirtschaft beschäftigt. 1990 tat sich der damals 32-Jährige mit seinem Kollegen Uwe Sengteller zusammen und gründete das Unternehmen, um die seinerzeit noch sehr neuen IT-Lösungen für die Entsorgungswirtschaft und andere Branchen anzubieten. Sie vernetzen unter anderem den Erfurter Landtag und wickeln andere Großaufträge ab.

Tochter Milen legt derweil nach dem Abitur ein ehrgeiziges Studium hin: Sie studiert unter anderem drei Semester in Shanghai, macht zwei Bachelorabschlüsse an der European Business School und der Tongji University in Shanghai sowie einen Master an der WHU – Otto Beisheim School of Management, sie absolviert Auslandsaufenthalte unter anderem in den USA und arbeitet fünf Monate in einem IT-Unternehmen im indischen Bangalore. „Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mir diese Ausbildung ermöglicht haben“, sagt Milen Volkmar. 2015 – mit gerade mal 25 Jahren – steigt sie ins Unternehmen ein und übernimmt die Vertriebsleitung. Zwei Jahre später erteilt ihr der Vater Gesamtprokura. „Es war immer sein Wunsch, dass ich die Firma irgendwann übernehme“, erzählt sie. „Aber so früh und auf diese Weise – damit hat natürlich niemand gerechnet.“

Das Geschäftsmodell hat die junge Chefin seither an moderne Erfordernisse angepasst, und auch in den hausinternen Abläufen hat sie seit ihrer Übernahme manches verändert: Sie bricht alte Hierarchien auf und verteilt Verantwortung auf mehrere Schultern. Während der Vater die Firma quasi im Alleingang geführt hatte, baut sie eine mittlere Führungsebene aus zehn Teamleitern auf und engagiert für ein halbes Jahr einen Management-Coach. „Unsere Mitarbeitenden sollten mehr Eigenverantwortung übernehmen“, erzählt Volkmar. „Entscheidung treffen wir seither gemeinschaftlich.“ Durch größere Eigenverantwortung und engere Einbindung in die Firmenprozesse will sie die Kolleginnen und Kollegen motivieren, sich selbst zu verwirklichen. Sie allein könne ohnehin nicht zu allen Fragen die richtigen Antworten geben. „Es ist wichtig, um Hilfe zu bitten und Kritik zuzulassen“, sagt Volkmar.

Q-SOFT pflege heute eine Kultur der offenen Türen. Regelmäßige Feedbackgespräche, Bewertungen der Führungsebene sowie Chat-, Video- und Prozessmanagementtools verbessern überdies die schnelle Kommunikation im Haus und im Homeoffice. Im Herbst 2022 wird die agile Netzwerkerin mit dem Emily-Roebling-Preis als Thüringer Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet. Sie zeige mit großem Mut, kooperativem Führungsstil, gesellschaftlichem Engagement und innovativen Ideen, was Unternehmerinnen leisten könnten, sagt Modedesignerin und Unternehmerin Katrin Sergejew in ihrer Laudatio. Das Familienunternehmen sei mit ihr noch familiärer geworden. „Ohne mein Team“, sagt Milen Volkmar, „hätte ich die Übernahme der Firma nie geschafft.“ Der abendliche Anruf auf Santorini hat offenkundig nicht nur ihr Leben verändert.

„Als jemand, der im August 1990 geboren ist, spielen für mich Ost und West keine Rolle – ich sehe mich als Deutsche mit einem Unternehmen in Erfurt. Die Stadt bildet eine wunderbare Symbiose aus Landeshauptstadt, Universitätsstadt und wachsendem Wirtschaftsstandort, und sie ist dabei sehr überschaubar: Man kennt sich in Erfurt, man kann sich aktiv im gesellschaftlichen Leben einbringen. Dabei hat der Standort noch großes Potential, sich zu einer wahren Metropole mit Strahlkraft weit über Thüringen hinaus zu entwickeln.“

Milen Volkmar | CEO von Q-Soft GmbH

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: Q-Soft)

Veröffentlicht: 13.  März 2024

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