Institutsdirektor für CO2-arme Industrieprozesse Uwe Riedel.
Experte für elektrifizierte Flugzeuge - Institutsleiter Lars Enghardt
MITTELSTAND / BRANCHEN

Cottbuser Energiebündel

Vor dem Ausstieg aus der Braunkohle kommt der Einstieg in die alternativen Energien. In Cottbus entsteht ein Campus für neue Technologie mit Hunderten Wissenschaftler/innen. Die renommierten Institute nationaler Forschungseinrichtungen haben schon mit dem Aufbau begonnen. Sie hoffen auf einen nachhaltigen Effekt für die Lausitz.

In Cottbus gilt das Prinzip Hoffnung: Während in den Lausitzer Tagebauen voraussichtlich noch bis 2038 zig Millionen Tonnen Braunkohle gefördert und in Kraftwerken verfeuert werden, beginnt bereits der Aufbau für ein neues Zeitalter. Im Umfeld der Brandenburgisch Technischen Universität (BTU) schießen mit Strukturfördermitteln zum Kohleausstieg hoch angebundene Forschungsinstitute für neue Energien ohne fossile Brennstoffe aus dem Boden. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) eröffnete im Frühjahr das Institut für elektrifizierte Luftfahrtantriebe und betreibt bereits ein Institut für CO2-arme Industrieprozesse. Im Mai gab die Bundesregierung den Startschuss für das „PtX-Lab Lausitz“ für synthetische Treibstoffe. Auch drei Fraunhofer-Institute sind schon in der Universitätsstadt präsent.

„Gemeinsam können wir mehr bewegen als allein“, betont Professor Uwe Riedel, der seit zwei Jahren das Institut für CO2-arme Industrieprozesse in Cottbus und Zittau aufbaut. Die Grundidee der Neuansiedlungen: Die Forschungseinrichtungen beschäftigen Hunderte Wissenschaftler/innen, die Kaufkraft in die Region bringen und Investitionen tätigen, die Ausgründungen und Spin-offs auf den Weg bringen und für weitere Ansiedlungen sorgen. Bis 2038 ist Zeit, um Ersatz für jene bis zu 8000 Arbeitsplätze zu schaffen, die noch an der Braunkohle-Industrie hängen. „Wir möchten den Gedanken in der Region verankern, dass die Energiewende mehr Arbeitsplätze schafft, als sie abschafft“, sagt der kommissarische und künftige Institutsdirektor Uwe Riedel.

Das Forschungszentrum für Leichtbauwerkstoffe Panta Rhei gGmbH auf dem Campus der BTU in Cottbus. Die räumliche Struktur des Gebäudes soll offene Prozesse von Forschung und Kommunikation befördern.
Hingucker am Rande des Cottbuser Campus - das IKMZ dient als Bibliothek, Multimediazentrum und unterstützt die Datenverarbeitung der Universität.

Das Institut für CO2-arme Industrieprozesse war 2019 als Wegbereiter für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt nach Cottbus gekommen. „Unser Ziel ist, eine grüne, nachhaltige Wärmeversorgung für die Industrie zu schaffen und alternative Prozesse für die Vermeidung von Kohlendioxid aus der stofflichen Kohlenstoff-Nutzung zu entwickeln“, so Riedel. Das Institut treibt unter anderem neuartige Hochtemperatur-Wärmepumpen voran, die aus Strom industriell-nutzbare Wärme von 150 bis 650 Grad erzeugen. Sie werden unter anderem in der Lebensmittel-, Papier-, Metall- und Gummiwaren-Industrie benötigt. Zurzeit bauen die Forscher für zwei Millionen Euro eine erste Pilotanlage in Cottbus auf. Ein Drittel der Investitionsausgaben fließt an Firmen in der Region, betont Riedel. Am zweiten Institutsstandort in Zittau soll 2022 ein zweiter Demonstrator auf Basis von Wasserdampf aufgebaut werden.

Personell will das Institut von heute 50 bald auf 60 Wissenschaftler/innen wachsen. Bis 2025 sollen es bis zu 120 Wissenschaftler/innen werden. Die Sorge, dass es schwierig sei, Expert/innen in die entlegene Lausitz zu locken, haben sich dabei nicht bewahrheitet, erzählt Riedel. „Etwa 30 Prozent unserer Mitarbeiter sind Lausitzer, die in die Heimat zurückgekehrt sind, 20 Prozent kommen aus dem Ausland und die weitere Hälfte der Belegschaft aus dem ganzen Bundesgebiet.“ Riedel erzählt von einem Kollegen aus Korea, der für das Institut während der Pandemie mit seiner Familie nach Dresden zog und nun in Zittau arbeitet. „Es herrscht Aufbruchstimmung und der Wille zur engen Zusammenarbeit der neuen Forschungseinrichtungen“, sagt Riedel.

Im Aufbau ist auch das zukunftsträchtige DLR-Institut für elektrifizierte Luftfahrtantriebe. Was zunächst nach Nischentechnologie klingt, könnte in einigen Jahren die Luftfahrt revolutionieren: Flugzeuge, die dank Gasturbinen, Brennstoffzellen oder Brennkammern an Bord ihre benötigte Energie etwa aus Wasserstoff oder synthetischem Kerosin erzeugen und sich damit fortbewegen. „Wir wollen die Luftfahrt von morgen elektrifizieren und klimafreundlich gestalten“, sagt der kommissarische Institutsdirektor Professor Lars Enghardt, der das Institut aus dem Nichts aufbaut. „Viele Entwicklungen stecken noch in den Kinderschuhen und viele Sicherheitsfragen sind noch nicht beantwortet. Aber bis 2030 könnte es Lösungen mit Elektromotoren für die kommerzielle Luftfahrt geben.“ Geplant werden die E-Technologien zunächst für Regionalflugzeuge mittlerer Größe mit bis zu 70 Passagieren.

Gründungsdirektor des PtX-Lab Lausitz - Harry Lehmann
Zukunftsperspektive - Modell eines Flugzeugs des DLR mit neuem Antriebstrang.

Das neue Institut will eng mit dem Lehrstuhl für Flug-Triebwerksdesign der BTU kooperieren, der an emissionsärmeren Transportflugzeugen forscht, und mit dem Zentrum zur Erforschung Hybid-Elektrischer Antriebe (CHESCO) zusammenarbeiten, das die BTU selbst auf die Beine stellt. Die Forscher/innen bauen auch auf eine Kooperation mit der Triebwerkssparte von Rolls Royce im brandenburgischen Dahlewitz südlich von Berlin. Bis Ende des Jahres soll das Institut auf etwa 25 Expert/innen aus Wissenschaft und Ingenieurswesen wachsen, bis Ende 2022 dann auf rund 50.

Die Fachkräfteakquise laufe besser als gedacht, sagt Enghardt. „Wir profitieren von drei Faktoren: Das attraktive Thema, die Gelegenheit zur Rückkehr für Lausitzer, die zwischenzeitlich nach Nordrhein-Westfalen oder München gezogen waren, und die Chance auf eine sehr gute Ausbildung oder Promotion mit einer engen, persönlichen Betreuung.“ Vorübergehend kommen die neuen Institute in vorhandenen Bürogebäuden unter. Doch der neue Standort soll auf dem Zentralcampus der BTU in Cottbus liegen. Künftig sollen mehrere Neubauten für Institute mit bis zu 500 Wissenschaftler/innen für Luftfahrt, Energie und Fertigungstechnologien entstehen. Es könnte ein neuer Leuchtturm für Energielösungen und die zivile Luftfahrt werden.

Um die Vermarktung neuer Ideen kümmert sich derweil das „PtX-Lab Lausitz“, das die Bundesregierung im März aus der Taufe gehoben hat. Es soll sich vor allem um die Kommerzialisierung synthetischer Treib- und Kraftstoffe für Flugzeuge und Schiffe kümmern, die aus grünem Wasserstoff entstehen und fossile Energien ablösen können. „Wir sind keine Forschungseinrichtung. Wir verstehen uns als Kompetenzzentrum, Denkfabrik und Startrampe, um den Markthochlauf innovativer, nachhaltiger Produkte aus dem Labor in die Praxis zu organisieren“, sagt Gründungsdirektor Harry Lehmann.

Der Physiker und Umweltwissenschaftler kennt sich in der Materie aus: Er hat das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie mit aufgebaut, war Unit-Director bei Greenpeace und zuletzt Leiter für Umweltplanung und Nachhaltigkeitsstrategien beim Umweltbundesamt in Dessau. In Cottbus will er bis 2023 rund 60 Mitarbeiter/innen um sich scharen und unter anderem eine Demonstrationsanlage für alternative Kraftstoffe aufbauen. Dafür stehen bis 2024 bis zu 180 Millionen Euro bereit. „Der Demonstrator“, sagt Lehmann, „soll einen Goldstandard für Nachhaltigkeit und Klimaschutz abbilden.“ Er könnte eine große Chance für die Lausitz sein.

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: Brandenburgisch Technische Universität Cottbus und Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt)

Veröffentlicht: 27. Juli 2021

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