Die drei Staffbase-Gründer (v.l.): Frank Wolf, Martin Böhringer, Lutz Gerlach.
MITTELSTAND / BRANCHEN

Das erste Einhorn

Staffbase aus Chemnitz begann 2014 als Pionier für eine Mitarbeiter-App. Inzwischen revolutioniert der IT-Shootingstar weltweit die interne Unternehmenskommunikation und gilt mit einem Wert von mehr als einer Milliarde Euro als das erste „Einhorn“ in den ostdeutschen Bundesländern.

 

Die Szene hat etwas von einem klassischen Startup-Film: Martin Böhringer, 36, sitzt im T-Shirt in einer langen, unsanierten Fabriketage vor dem Computer und erzählt von seiner jüngsten Finanzierungsrunde. Im Hintergrund läuft eine junge Frau mit Kaffeebecher durchs Bild. Im Chemnitzer „Wirkbau“, einst Deutschlands größtes Werk für Textilmaschinen, wird 140 Jahre nach dessen Gründung einmal mehr Geschichte geschrieben: Staffbase, eines von mehr als 50 Unternehmen auf dem ehemaligen Fabrikareal, ist seit diesem Frühjahr Ostdeutschlands erstes Einhorn. Nach einer Serie-E-Finanzierungsrunde mit 106 Millionen Euro wird das junge Chemnitzer Unternehmen auf einen Marktwert von mehr als einer Milliarde Euro taxiert – und rückt damit in den exklusiven Olymp deutscher Unicorns auf.

Staffbase will das frische Kapital nun einsetzen, um sein internationales Wachstum weiter voranzutreiben und seine Produkte weiterzuentwickeln, etwa durch die nahtlose System-Integration in die Anwendungen von Microsoft Office 365. Auch Zukäufe anderer Startups sind dabei ein Thema. Staffbase hatte zuletzt auf seinem Weg an die Spitze den kanadischen Marktführer Bananatag mit rund 1000 Großkunden und die finnischen „Valo Solutions“ als führenden Anbieter von Intranets und Digitalarbeitsplätzen zugekauft. Inzwischen zählt der Shootingstar aus Sachsen weltweit mehr als 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 50 Nationen an 14 Standorten – darunter in Büros in New York, Amsterdam, London und Vancouver, in Berlin, Leipzig, München und Dresden.

Die Staffbase-Finanziers sind dabei keine Unbekannten: Zu ihnen gehören General Atlantic, ein global operierender Kapitalgeber für Unternehmen mit hohem Wachstumspotenzial, sowie der bereits bestehende Investor Insight Partners. Und die Geldgeber wissen, worauf sie sich einlassen: Die Chemnitzer Pioniere haben sich zu einem weltweit führenden Anbieter einer digitalen Plattform und App für Mitarbeiterkommunikation entwickelt. Die White-Label-Lösung wird mittlerweile in mehr als 2000 global operierenden Unternehmen eingesetzt. Zu den Kunden gehören unter anderem DHL und T-Systems, Adidas, Aldi und Audi, Ikea und MAN Truck & Bus, Paulaner und Viessmann. Inzwischen nutzen laut Staffbase mehr als 13 Millionen Beschäftigte die Apps. „Das außergewöhnliche Wachstum zeigt, dass das Unternehmen mit seiner Mission einen Nerv der globalen Wirtschaft getroffen hat“, sagt Achim Berg, Operating-Partner bei General Atlantic. „Überall gibt es das starke Bedürfnis nach einer engeren Einbindung der Belegschaft in die Unternehmensziele.“

Im Chemnitzer „Wirkbau“, einst Deutschlands größtes Werk für Textilmaschinen, ist das Unternehmen eines von mehr als 50 Unternehmen auf dem ehemaligen Fabrikareal.
Staffbase versteht sich als intuitive Plattform für Unternehmenskommunikation.

So versteht sich Staffbase als intuitive Plattform für interne Unternehmenskommunikation. Zwei Drittel der Beschäftigten in Konzernen, so geht die Staffbase-Rechnung, sitzen eben nicht am Schreibtisch, sondern sind in der Produktion, im Service, im Außendienst, als Kurierfahrer, Pflegekraft oder Erzieher unterwegs. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen die Konzerne erreichen. Und zwar nicht per Betriebszeitung oder Schwarzem Brett im Pausenraum, sondern in Echtzeit, per App und mit der ganzen Klaviatur der Kanäle. Die Notwendigkeit für den digitalen Flurfunk, sagt Martin Böhringer, sei größer als je zuvor: Fast alle Unternehmen befänden sich in Transformationsprozessen und seien Megatrends unterworfen, sei es durch die Pandemie, den Klimawandel, den Krieg in der Ukraine oder die Digitalisierung. Den Erfolg solcher Prozesse könne ein Konzernvorstand nicht mehr in einer Top-Down-Kommunikation absichern – er müsse Geschichten erzählen. „Es geht darum, ganzheitliche Unternehmensziele eines CEOs in Kampagnen und Prozessen umzusetzen – das ist unsere Mission, und dafür sind wir der strategische Partner.“ Daher biete Staffbase nicht nur Software und Technologien, sondern Rundumberatung für eine bessere Bindung der Beschäftigten. Mit dem frischen Kapital soll daher auch eine eigene Akademie für interne Kommunikation aufgebaut werden.

Martin Böhringers Karriere in der Branche begann vor mehr als zehn Jahren: 2011 promoviert er an der TU Chemnitz in Wirtschaftsinformatik über Awareness durch Mikroinformation und Anwendungsvorteile von Social-Software in der Projektkommunikation. Mit Mitte 20 und drei Mitstreitern gründet er das Startup Hojoki, ein Clouddienstleister, der die Vernetzung der Kreativindustrie vereinfachen soll. Schon damals mit an Bord: Lutz Gerlach, der später auch Staffbase mitbegründet.

Doch ihre Idee geht nicht auf. Die meisten Hojoki-Nutzer bleiben beim Freemium-Modell, statt sich für den zahlungspflichtigen Premium-Account zu entscheiden. Hojoki muss geschlossen werden. Aus der Zeit habe er gerade deshalb viel gelernt, erzählt Böhringer: „Die Erfahrung hat uns geerdet und demütiger gegenüber dem Erfolg gemacht“, sagt er. „Man weiß danach: Man ist nicht allein im Wasserglas.“ Statt einer Idee zu frönen, die nur man selbst und ein paar Tech-Freaks cool finden, erforsche man besser den Markt und achte darauf, was die Kunden wollen.

Das Staffbase-Team in Chemnitz.
Auch als Einhorn: Chemnitz bleibt das Gravitationszentrum der Staffbase. Hier habe man ein Alleinstellungsmerkmal, eine sehr geringe Fluktuation der Kolleginnen und Kollegen und eine große Bereitschaft, etwas Tolles aufzubauen.

Unter diesen Vorzeichen rollt Staffbase auf die Rampe, zunächst als Startup für eine Mitarbeiter-App. Und diesmal ist der Aufstieg steil: Acht Jahre nach der Gründung wird bei Staffbase heute bereits sehr pragmatisch und entspannt ein Börsengang diskutiert. Er könnte unter Umständen nach dem aktuellen Kapital-Booster erfolgen. „Ein Börsengang ist eine attraktive Möglichkeit für hohe Liquidität und weiteren Prestige-Gewinn“, sagt Böhringer. „Aber er bedeutet auch einen immensen Aufwand, der sich erstmal lohnen muss.“ Immerhin könnte Staffbase dann nicht nur das erste Unicorn, sondern auch das erste Dax-Unternehmen im Osten sein. Doch die Entscheidung ist offen.

Fest steht indes: Böhringers Heimatstadt ist das Gravitationszentrum der Staffbase und soll es auch bleiben. „In Internet-Metropolen wie Berlin wären wir nur ein Startup unter vielen“, sagt Böhringer. „In Chemnitz haben wir ein Alleinstellungsmerkmal, die Fluktuation der Kolleginnen und Kollegen ist sehr gering und die Bereitschaft, etwas Tolles aufzubauen, enorm groß“, sagt Böhringer. „Wir arbeiten mit Leuten überall auf der Welt zusammen, die den besten Level unserer Branche liefern wollen.“ 

 

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: Staffbase & Dirk Hanus)

Veröffentlicht: 05. April 2022

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