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Die Kraft der Ameise

In Borna bei Leipzig ist ein neuer Hersteller für Elektroautos entstanden: Kleine fleißige Arbeitstiere für große Unternehmen, Mittelständler und Kommunen – und für wenig Geld. Mehrere Hundert Fahrzeuge sind schon im Einsatz. Die Autoregion Leipzig wird um einen Produktionsstandort reicher.

In einer Seitenstraße in Borna bei Leipzig liegt zwischen schmucklosen Betrieben ein umzäunter Gewerbehof, alle Flächen sind zugeparkt mit auffällig kleinen weißen Autos. Am Straßenrand liefert ein Fahrzeugtransporter gerade acht weitere Flitzer aus. Über dem Zaun steht in grünen Lettern: „Ari MOTORS“. Doch der schlichte Schein trügt: Das Unternehmen ist ein neuer Name auf dem wachsenden Markt der Elektroautos. Das junge Unternehmen baut in erster Linie Nutzfahrzeuge zum geringen Preis. Vor allem Kleintransporter, die für jede/n Kunden/in eigens konfiguriert und mit verschiedenen Aufbauten ausgerüstet werden – mit Pritschen, Koffern oder Kühlboxen, Laubgittern, Planen oder Kippen, als Wäschewagen oder Food-Truck.

In einem Besprechungsraum sitzt Co-Gründer Thomas Kuwatsch, wirft Folien an die Wand und erzählt die Geschichte seiner Firma. „Wir bauen aktuell die kleinsten Elektrotransporter mit Straßenzulassung in Deutschland“, sagt er. „Und wir haben bereits 42 Variationen im Sortiment.“ Denn die Marke ARI ist Programm: Ari ist das japanische Wort für Ameise. „Wir haben uns nach ihr benannt, weil sie ein Mehrfaches ihres Körpergewichts tragen kann“, erzählt Kuwatsch. 2019 hat die kleine Elektroameise aus Sachsen den deutschen Markt erobert. Der Renner ist der Kleintransporter „458“, das Kürzel steht für 450 Kilo Leermasse und Tempo 80. Schönere Namen wollen die Autobauer ihren Modellen bewusst nicht geben – weil es eben Nutzfahrzeuge sind.

Die ARI Modelle 145, 458 und 901. Schönere Namen gibt es bewusst nicht für die Nutzfahrzeuge.
Der Innenraum des Modells 458. Der Kleintransporter ist der Renner im Verkauf.

Nach 80 verkauften Autos im ersten Jahr und 145 Neuwagen 2020 werden dieses Jahr bereits 250 Fahrzeuge ausgeliefert, sagt der CFO. Nächstes Jahr sollen es mindestens doppelt so viele werden. Die Kunden/innen sind vielfältig: Weltkonzerne sind darunter wie Coca-Cola, Mercedes-Benz und die Bayer AG, die die Last-Wagen auf ihrem Werksgelände einsetzen. Firmen wie Zalando, TIER und Arvato-Bertelsmann sind dabei, aber auch viele Handwerkerinnen, Hausmeister und Gärtnerinnen, fliegende Kaffeeverkäufer, Hotel-Resorts, Kliniken und Lieferdienste, Stadtwerke und Wertstoffhöfe. Im Büro der Gründer hängt eine Deutschlandkarte, auf der die Kunden/innen mit Nadeln markiert sind: Sie reichen vom Emil-Nolde-Museum nahe der dänischen Grenze bis an den Bodensee, nach Österreich und in die Schweiz. Auch in Spanien, Frankreich, Italien, Benelux und Skandinavien ist ARI schon präsent.

Zur Fahrzeugpalette gehören neben dem „458“ ein größeres Transporter-Modell sowie Lastenmopeds und kleine Elektroautos mit Tempo 25, 45 oder 80. Und die Nachfrage wächst: Nach gut 1,5 Millionen Euro Umsatz 2020 und knapp vier Millionen Euro in diesem Jahr sollen es nächstes Jahr schon mehr als sechs Millionen Euro werden. Angetrieben werden die Autos wahlweise mit robusten, preisgünstigen, aber 200 Kilo schweren Blei-Gel-Batterien oder mit leistungsstärkeren Lithium-Ionen-Batterien. Die Blei-Batterien schaffen laut Kuwatsch eine Reichweite von 120 Kilometern, die leichteren und langlebigeren Lithium-Ionen-Akkus bis zu 495 Kilometer. Zum Laden reichen fünf bis sechs Stunden Zeit und eine einfache Haushaltssteckdose. Zusätzlich können die Fahrzeuge mit einem Solarpanel auf dem Dach ausgerüstet werden, die weitere 30 bis 50 Kilometer Reichweite bringen. Wer keine langen Strecken zurücklegen muss, kann viel im Solarbetrieb fahren.

Zum ARI-Erfolgskonzept gehören hohe Funktionalität und ein geringer Preis: Das Basismodell des „458“ mit Koffer kostet 14.100 Euro, mit Pritsche 13.700 Euro. „Unser Gründer Daniel Jacob wollte sich nicht damit abfinden, dass der Streetscooter aus Aachen 45.000 Euro kosten soll“, erzählt Kuwatsch. Zusammen reisten sie nach China, besuchten mehrere Hersteller, absolvierten Probefahrten und entschieden sich schließlich für Jiayuan EV in Nanjing. „Das Modell hat uns mit seiner Leistung und Qualität, geringem Gewicht und hoher Wendigkeit überzeugt“, sag Kuwatsch. Jiayuan baue jedes Jahr mehr als 50.000 Elektroautos, überwiegend für den asiatischen Markt. Nun liefern sie ihre Chassis auch in eine Manufaktur in Říčany südöstlich von Prag – denn der dritte Gründer im ARI-Bunde ist Pavel Pilous, ein Ingenieur und Konstrukteur aus Tschechien. In Říčany werden einzelne Komponenten ausgetauscht, die Fahrzeuge auf die Bestellungen der Kunden/innen angepasst und danach ausgeliefert. Wartezeit: drei bis vier Monate.

ARI plant für zwei Millionen Euro eine neue Zentrale samt Produktionsstandort in Borna. Ende 2022 soll der Standort fertig sein, 2023 die Produktion starten.
Das Modell ARI 345: Lastentrike Pritsche mit Europapalette.

Um mehr Kapazitäten zu schaffen, will das eigenfinanzierte Unternehmen weiterwachsen. ARI plant für zwei Millionen Euro eine neue Zentrale samt Produktionsstandort in Borna. Die Pläne stehen, das Grundstück an der Autobahn ist ausgesucht, Gespräche mit Banken laufen. Ende 2022 soll der Standort fertig sein, 2023 die Produktion starten. „Unsere Hausbanken betrachten das Projekt wohlwollend und nehmen uns als Partner durchaus ernst“, sagt Kuwatsch. „Das Umdenken der Gesellschaft verleiht uns einen Rückenwind, den wir bei der Gründung 2016 nicht erwartet haben.“ Viele Kunden/innen – egal ob Kommunen oder Unternehmen – verspürten einen politischen Druck, auf Elektrofahrzeuge umzusteigen. „Manche Kunden/innen finden es wichtig, sagen zu können, dass ihr Gärtner jetzt elektrisch fährt.“

Statt auf Autohäuser setzt ARI dabei auf Direktvertrieb und Servicepartner vor Ort. Wer auf der Webseite ein Fahrzeug konfiguriert, bekomme binnen zehn Minuten ein Angebot geschickt. Servicemitarbeiter/innen vor Ort bringen auf Wunsch ein Modell zum Probefahren vorbei. Zum Team zählen heute 30 Kolleginnen und Kollegen, nur ein Drittel von ihnen sitzt in Borna. Dazu gibt es ein bundesweites Netzwerk von 600 Vertragswerkstätten. Das dezentrale Konzept passt zur Vita der Gründer: Der gebürtige Rostocker Kuwatsch und der Leipziger Jacob haben bereits verschiedene Start-ups gegründet und waren führende Manager bei der Verkaufsplattform auto.de. „Wir kommen ausschließlich aus der Onlinewelt“, sagt der Co-Geschäftsführer.

Nur ein Manko müssen die autobegeisterten Gründer noch beheben: Ihre Fahrzeuge der elektrischen Leichtbauklasse L7e fallen bisher nicht in die Förderung der Bundesregierung in Höhe von mehreren Tausend Euro. Allerdings zahlen einzelne Regionen in Deutschland wie Berlin, München und Baden-Württemberg sowie mehrere europäische Länder Unterstützungen für den ARI. Ab nächstem Frühjahr soll es auch Gelder vom Bund für ARI-Autos geben, geplant sind 4000 bis 6000 Euro. Verhandlungen mit dem Bundeswirtschaftsministerium seien erfolgreich verlaufen. „Die Eingabemaske für die Förderanträge“, sagt Kuwatsch, „haben wir schon programmiert.“

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: ARI Motors GmbH / Eingangsbild – Fotojournalist Ralph Kunz )

Veröffentlicht: 21. Oktober 2021

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