Zwergenmacherin Helma Ortmann
#ErfolgeOst
Die letzte Zwergstatt der Welt
Im thüringischen Gräfenroda übernimmt ein junges Paar die letzte Gartenzwergmanufaktur von der Gründerfamilie. Inzwischen wachsen die Umsätze und die Zahl der Angestellten. Und aus der traditionellen Werkstatt wird eine moderne gläserne Manufaktur.
Helma Ortmann steht in einem besprenkelten blauen T-Shirt an der Werkbank ihrer Thüringer Manufaktur und hebt behutsam eine gegossene Tonfigur aus ihrer Gipsform. Es ist Moppi, der Hund aus dem DDR-Sandmännchen. Ortmann fertigt dieser Tage eine neue Serie für den RBB. Nach dem Brennen im Ofen wird Moppi handbemalt, dann kommt er zum Sender nach Berlin. Helma Ortmann ist dessen exklusive Moppi-Lieferantin. Sie führt seit zwei Jahren die – nach eigenem Bekunden – letzte Gartenzwergmanufaktur der Welt im kleinen Ort Gräfenroda am Rande des Thüringer Walds.
Während der Corona-Zeit haben Helma Ortmann und ihr Mann Rolf die Werkstatt von Reinhard Griebel übernommen, einem Nachfahren des Manufaktur-Gründers und „Thierkopfmodelleurs“ Phillipp Griebel, der 1874 das kleine, feine Unternehmen gegründet hat. Seit Anfang 2021 schaffen nun die Ortmanns in dem verwinkelten, fast 400 Jahre alten Gehöft neue Räume für ihre Besucher und produzieren in den historischen Werkstätten jedes Jahr Tausende Terrakotta-Figuren in Handarbeit. Sie stehen damit auch im Verzeichnis für das immaterielle Unesco-Kulturerbe in Thüringen.
Dabei ist Zwerg nicht gleich Zwerg. Neben Bestsellern wie „Artur“, „Horst“ und „Bert“ und Griebelschen Klassikern wie Korbinian mit Schubkarre, Justus mit Holzkarre oder Gräfin Roda produziert die „Zwergstatt Gräfenroda“ auch deren historische Vorbilder. Dazu gehört ein alter Rennsteigwanderer mit Kiepe, der schon Anfang des 20. Jahrhunderts entstand. Dessen Gussform hatte Helma Ortmann mit ihren Kollegen auf dem Dachboden der Werkstatt wiedergefunden. Mit einem Preis von 2600 Euro gehört er heute zu den teuersten Figuren aus der Manufaktur. „Diese wertvollen Zwerge stehen aber in keinem Schrebergarten“, sagt Helma Ortmann. „Sie gehen zu Sammlern und in Parkanlagen.“
Stück für Stück. Zwerge werden auf der Werkbank zusammengesetzt.
Sven Berrar bemalt Gartenzwerge in der Zwergstatt Gräfenroda
Viele Kunden in ganz Deutschland und im Ausland, darunter in Großbritannien, der Schweiz und den USA, sammeln die Gnome aus Gräfenroda. Täglich gehen mehrere Bestellungen im Onlineshop ein. Auch über Geschäftskunden im Einzelhandel wie etwa Manufactum werde gut verkauft. Außerdem finden jeden Tag Touristen den Weg in den etwas versteckt liegenden Hof. Daneben gehören Serienproduktionen von Sandmann, Pittiplatsch und Moppi zum Geschäft. Kürzlich ließ auch Fußball-Bundesligist Union Berlin eine Serie von Pittiplatsch produzieren. Jeder Wichtel wird wie vor mehr als 100 Jahren von Hand gefertigt – vom Anrühren des Tons bis zum letzten Pinselstrich. „Wir sind eine Manufaktur und werden es bleiben“, betont Ortmann.
Im Grunde sei sie wie die Jungfrau zum Kind in dieses Hobbit-Abenteuer geraten. Als Mädchen, das im Erzgebirge aufwuchs, habe sie Bildhauerin werden wollen, erzählt die heute 46-Jährige. Doch das hätten die ökonomischen Bedingungen Mitte der 90er Jahre nicht zugelassen. Also wurde sie Ergotherapeutin und lernte dabei das Töpfern. Nach ein paar Jahren im Beruf studierte sie Bauingenieurwesen in Leipzig, jobbte als Stuckateurin im Denkmalschutz und sanierte historische Häuser mit.
Die große Wende brachte ein fast märchenhafter Zufall: Ihre Cousine blätterte auf einer Zugreise in einem herrenlosen Bahnmagazin. Die Redaktion berichtete, dass Reinhard Griebel für seine Werkstatt Nachfolger suchte. Sie schickte den Artikel an Helma Ortmann und schrieb dazu: „Wär’ das nicht was für dich?“ Wenige Jahre zuvor hatte die junge Frau das alte Fachwerkhaus ihrer Mutter in Gräfenroda übernommen und begonnen, es zu sanieren. Alles passte. „Der Zeitungsausschnitt lag wochenlang auf unserem Küchentisch“, erzählt Helma Ortmann. Irgendwann im Herbst 2019 gab sie sich einen Ruck und fuhr hin. Danach wurde alles anders.
Ein Blick in den Innenhof der Manufaktur. Auf den Tischen für die Gastronomie liegen Gussformen der Zwerge.
Von außen noch ganz traditionell, im Innern geht es weiter in der Zwergstatt Gräfenroda
Reinhard Griebel zeigte ihr den Hof und die Werkstätten. Der Urenkel des Gründers hatte einen Teil des kollektivierten „VEB Terrakotta“ 1990 wieder übernommen. Doch nun war er 67 und wollte in den Ruhestand. Seine Besucherin aus Leipzig war sofort angetan. Sie arbeitet zwei Monate in der Werkstatt mit. Doch dann kam Corona. Termine machen und mit Banken verhandeln wurde schwieriger, alles zog sich länger hin als gedacht. Doch im November 2020 kaufte sie das Haus, seit Anfang 2021 ist sie die Chefin. Reinhard Griebel hat ihr noch wochenlang alle Bereiche der Werkstatt und des Unternehmens gezeigt. Dann zog er sich aus dem Geschäft zurück. Seine Porzellanmalmeisterin blieb noch zweieinhalb Jahre, erst diesen Sommer verabschiedete auch sie sich in die Rente. Für die geglückte Firmenübernahme wurde Helma Ortmann Ende vorigen Jahres der „ThEx AWARD“ für die beste Nachfolge verliehen.
Die Ortmanns machen dabei nicht einfach weiter wie bisher. Sie lüften durch und räumen auf im fast 150 Jahre alten Familienbetrieb: Die Werkstatt öffneten sie für Besucher und bauten das kleine Museum und den Werksverkauf im Hof um, Gruppenangebote und Töpferkurse bauten sie aus, im Hof und im Vorderhaus entstehen ein Café und Gastronomiebereiche. Der Onlineshop bekam ein neues Design. Und auch den großen Fundus an historischen Gussformen, von denen noch viele in Einzelteilen zerlegt sind, bereiten die Ortmanns Stück für Stück auf. Nur der erhoffte Ausbau eines Nachbarhauses zum angemessenen Museum scheitert bisher an Geldgebern und Fördermitteln.
Inzwischen wachsen Umsatz und Belegschaft der Zwergstatt. Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind oft Quereinsteiger, sie kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Ihr neuer Keramikmaler ist eigentlich Gärtnermeister. Der leidenschaftliche Zwergensammler zog vor einem Jahr eigens für den Job aus dem Saarland nach Thüringen. Eine Erzieherin arbeitet jetzt in der Gießerei und betreut Besuchergruppen, auch zwei ehemalige Verkäuferinnen wollen im Team anfangen. „Wir wollen behutsam und solide wachsen“, sagt Ortmann. „Auch wenn der Gartenzwerg vielen Menschen als kitschig gilt – unsere Arbeit ist bis heute echtes Kunsthandwerk.“
Noch nicht bemalte Zwerge, die noch einiges vor sich haben, stehen in Reih und Glied.
Sven Berrar bemalt eine neue Zwerg-Serie
„Thüringen ist die Heimat des Gartenzwergs, er ist ein Gräfenrodaer Urgestein und er passt in unsere Tourismusregion. Ein anderer Ort kommt damit für unsere traditionelle Herstellung gar nicht in Frage. Außerdem wäre der Bedarf an Flächen für Produktion, Ausstellung, Gruppenangebote und Gastronomie in einer westdeutschen Metropolregion mit unserem Kunsthandwerk gar nicht bezahlbar. Der Standort ist unser Zuhause“
Helma Ortmann
Miteigentümerin | Zwergstatt Gräfenroda
(Bildquellen: Sven Heidkamp, Christiane Würtenberger/CMR, Thüringer Tourismus GmbH sowie privat)
Veröffentlicht: 03. Juli 2023
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