Larissa Zeichardt, Geschäftsführerin der LAT-Gruppe
MITTELSTAND / BRANCHEN

Die Tochter-Gesellschaft

Larissa Zeichhardt und ihre Schwester Arabelle Laternser übernehmen das Berliner Unternehmen LAT für Elektromontagen rund ums Gleis von ihrem Vater, als er unvermittelt stirbt. In der jungen Schwesternwirtschaft hat sich seither vieles geändert – und ist doch vieles gleich geblieben.

Larissa Zeichhardt strahlt ihren Gast an und führt durch ihren Firmensitz in Friedrichshain, der auch im schrägen Berlin seinesgleichen sucht. Die Zentrale der Firma LAT – ein Spezialist für Bahnstrom-, Sicherheits- und Netzwerktechnik – besteht lediglich aus Baustellencontainern, die mit einer Holzfassade verkleidet sind. Um die Ecke steht ein ausrangierter S-Bahn-Wagen voller Graffitis, im Hof parken reihenweise Baufahrzeuge, vor dem Seiteneingang werden E-Autos geladen. Schon nach wenigen Schritten über das Bauhofgelände wird klar, dass man mit der 42-Jährigen keine traditionelle, konservative Unternehmenschefin vor sich hat, sondern eine junge Frau die anders tickt: offen, mutig, erfindungsreich, unkonventionell.

Sie und ihre Schwester Arabelle Laternser haben den Hauptsitz ihrer Firmengruppe Anfang 2015 – fast 50 Jahre nach der Gründung – von Spandau im äußeren Westen Berlins mitten ins Herz der Stadt verlegt. Der Umzug war ein Signal nach außen an die Kunden und ein Zeichen nach innen an die rund 130 Mitarbeiter: für bessere Erreichbarkeit, mehr Nähe und Vernetzung. „Wir wollen mit dem Umzug Synergien innerhalb der Firmengruppe schaffen und unsere Innovationskultur fördern“, sagt Larissa Zeichhardt. Doch weil es auf dem Areal an der Modersohnstraße kein Baurecht für ein mehrstöckiges Gebäude gab, haben die Chefinnen eben auf andere Weise Fakten geschaffen – und die Container aufgestellt.

Seit die Schwesternwirtschaft das Familienunternehmen nach dem plötzlichen Tod des Vaters übernommen hat, hat sich vieles geändert, damit vieles so bleiben kann, wie es ist. Agiles Arbeiten und Weiterbildungen für alle Beschäftigten gehören zum Unternehmensalltag, die Führungsebene wurde auf fünf Schultern verteilt, andere Hierarchie-Ebenen abgebaut. Wer heute in der offenen Mitarbeiterküche sitzt, erlebt, wie die Chefinnen und die Teams aus allen Abteilungen offen und auf Augenhöhe miteinander Termine und Themen besprechen.

Schwesternwirtschaft: Arabelle Laternser (li) und Larissa Zeichhardt (re) / (Foto: Bernd Brundert)
Firmensitz im Bauhof: die außergewöhnliche LAT-Zentrale in Berlin-Friedrichshain residiert in Containern mit Holzverkleidung.

„Bei vielen Fragen ist mein Team einfach besser als ich“, sagt Zeichhardt. „Deswegen richten sich unsere Hierarchien nach Fachwissen.“ Zudem ist die LAT-Verwaltung heute papierlos, auf den Baustellen nutzen Poliere und Bauleiter eine spezielle App. Um weiterhin kreativ zu sein, arbeiten die Chefinnen verstärkt mit Fachhochschulen zusammen, setzen sich für mehr Diversität im Unternehmen ein und engagieren sich unter anderem bei der Non-Profit-Organisation für junges Unternehmertum „Startup Teens“. Auch neue Technologien wie einen Roboterhund für die Dokumentationsarbeit am Gleis testen sie aus, um nicht den Anschluss an die Zukunft zu verlieren.

Die beiden Frauen schaffen den Spagat zwischen Traditionsliebe und Fortschrittseuphorie, lobt der Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU). „Sie sind Vorbilder für Frauen in der Branche und haben den Mut, das Thema Führung neu zu denken“, sagt VdU-Präsidentin Stephanie Bschorr. Der Verband hat die Tochter-Gesellschaft für ihre gelungene Nachfolgelösung mit dem „Next Generation Award“ ausgezeichnet. Auch für ihr vorbildliches familienfreundliches Engagement wurden sie schon von der IHK geehrt, ebenso mit dem Ostdeutschen Wirtschaftspreis und der Impact of Diversity Award.

Aber von vorn: 1969 verlässt Fernmeldetechniker Heinz Laternser seinen Arbeitgeber, die Deutsche Bundespost. Mit nur 23 Jahren gründet er sein eigenes Unternehmen, um Telefon- und Fernsehanschlüsse für alle zu verlegen. „Er war rausgeflogen, weil er es gewagt hatte, aus einem Kabel mehrere Anschlüsse zu machen. Aber als selbstständigen Unternehmen hat ihn die Post weiter beschäftigt“, erzählt Zeichhardt. Geboren in Luckenwalde waren seine Eltern mit ihm während des Mauerbaus in den Westen geflohen. 46 Jahre lang baute Laternser in Berlin seine Firmengruppe auf und leitete sie als alleiniger Geschäftsführer, bis er 2015 mit 69 Jahren unerwartet an einem Herzinfarkt starb.

Tochter Arabelle, die lieber im Hintergrund bleibt, arbeitete damals schon im Unternehmen, die Betriebswirtschaftlerin ist die Herrin der Zahlen und leitet ein großes Projekt in Litauen. Larissa Zeichhardt jedoch ging eigene Wege: Sie studierte in London und New York, wurde Elektroingenieurin für Kommunikationstechnik und erwarb einen Master of International Business, gründete zwischendurch ein Startup in Berlin und machte danach Karriere im Management des Konzerns Ball Packaging Europe. Als sie vom Tod ihres Vaters erfährt, ist sie schwanger und lässt sich erstmal freistellen.

Auch ein Roboterhund wird bei LAT für den Einsatz im Gleisbett getestet.
In Eisenhüttenstadt betreibt LAT den Generationen-Campus Hütte.

Von einem Tag auf den anderen greift der geheime Notfallplan der Schwestern: Das Unternehmen 100 Tage gemeinsam weiterführen – allein schon um jene Mitarbeiter willen, die die jungen Frauen von Kindertagen an kennen. Zwar gab es keinen regulären Plan für eine geordnete Nachfolge, aber die vier Schwestern hatten doch über den Fall der Fälle gesprochen. Außerdem nutzen sie ein Familiencoaching, um sich gemeinsam und mit einer Moderation über ein paar grundlegende Entscheidungen zu verständigen: Wer hat welche Wünsche? Wo wollen wir hin?

„Eigentlich war die Firma damals beinah insolvent“, erzählt Zeichhardt. Der Steuerberater habe ihnen sogar abgeraten, weiterzumachen. Aber das kam für die Töchter nicht infrage, es war allein schon eine Frage der Ehre. Bald schaffen die jungen Frauen den Turnaround und Zeichhardt erklärt ihrem bisherigen Arbeitgeber, dass sie nicht zurückkommt. „Ich hatte erlebt, dass ich im eigenen Familienunternehmen alles selbst gestalten kann – anders als in einer Konzernstruktur“, erzählt Zeichhardt. So bleibt sie neben der Schwester an der Spitze des Familienunternehmens, zusammen stellen sie die LAT-Gruppe wirtschaftlich auf gesunde Beine und modernisieren viele Abläufe.

Ost und West spielen indes keine Rolle bei LAT: Als die Mauer fiel, war Zeichhardt neun Jahre alt, sie hat einen Teil ihrer Kindheit in Frankfurt / Oder  verbracht, die Beschäftigten stammen ebenso aus Ost und West. In Eisenhüttenstadt betreibt LAT einen CO2-neutralen Generationen-Campus, auf dem Wirtschaft und Altenpflege vereint sind. In Luckenwalde, wo sie stets enge Kontakte pflegten, sind sie Gesellschafterinnen eines Betonwerks. Wachstum war und ist dabei nie ihr vorrangiges Ziel. Wir wollen da stark bleiben, wo wir sind“, sagt Larissa Zeichhardt. „Das ist Aufgabe genug.“

Bei der Entscheidung für den Hauptsitz in Berlin-Friedrichshain ging es uns um bessere Erreichbarkeit und Vernetzung. Der Standort stärkt unsere Kundenbindung und Mitarbeitergewinnung sowie unsere Innovationskraft. Wir haben Kooperationen mit Fachhochschulen ausgebaut und Synergien in der Firmengruppe gefördert. Gleichzeitig wurden Hierarchien abgebaut und agiles Arbeiten eingeführt. Durch unsere gesamtdeutsche Familiengeschichte spielen Ost oder West bei LAT ohnehin keine große Rolle.

Larissa Zeichardt
Geschäftsführerin |
LAT-Gruppe

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: LAT-Gruppe)

Veröffentlicht: 15. Januar 2024

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