Florian Breipohl, CEO von EnerKite
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Drachenwind für die Energiewende

EnerKite aus Brandenburg setzt auf Flugdrachen für eine kostengünstige, flexible und dezentrale Energieversorgung. Schon die kleinste Anlage mit 100 Kilowatt könnte ein ganzes Dorf mit Strom versorgen. Nach mehr als 10 Jahren Entwicklungszeit baut das Team jetzt eine neue Fertigungsstätte in Eberswalde auf. Sie markiert einen weiteren Meilenstein.

Auf einem Flugplatz im Havelland steht ein ausrangiertes Feuerwehrauto und erntet Strom aus der Luft. Auf dem Dach des alten, blau umgespritzten Magirus-Löschfahrzeugs rotiert ein Teleskoparm, an dem ein großer Fesseldrachen an Kunststoffseilen seine achtförmigen Bahnen zieht. Bei jeder seiner Bewegungen zurren die Seile an der Trommel eines Generators, der Strom erzeugt, in einer Batterie speichert und konstant an Verbraucher/innen weitergibt. Geräuscharm, nachhaltig und hocheffizient.

Der Feldversuch am Rande des Sportflugplatzes Stölln-Rhinow ist das Vorzeigeprojekt des brandenburgischen Unternehmens EnerKite, das eine ganz neue Art der Stromerzeugung für die Energiewende vorantreibt: mit Flugwindkraftanlagen als Ergänzung und Alternative zu den immer größer werdenden Windrädern. Allein die kleinste Drachen-Anlage mit 100 Kilowatt Leistung könnte ein ganzes Dorf mit 200 Haushalten vollautomatisch mit Energie versorgen, sagt Florian Breipohl, Architekt und Industriedesigner, der seit sieben Jahren zum EnerKite-Team gehört und seit Oktober die Geschäfte führt. „Das kompakte Design erlaubt einen einfachen Transport unserer Anlagen auch in entlegene, schwer erreichbare Gebiete und eine rasche und unkomplizierte Inbetriebnahme“, betont der CEO. „Zudem stören unsere Kites das Landschaftsbild kaum.“ Künftig seien auch größere Anlagen mit 500 KW und sogar zwei Megawatt geplant, die den Strom für weniger als drei Cent pro Kilowattstunden erzeugen sollen.

Arbeit im Windkanal – das EnerKite-Team am neuen Standort in Eberswalde.
Auf einem Feld in Brandenburg macht EnerKite seine Versuche.

Die EnerKite-Drachen bestehen aus ultraleichten Carbonflügeln und können in bis zu 300 Meter Höhe aufsteigen – dorthin, wo die Winde kräftiger und beständiger wehen als in niedrigeren Lagen. Eine mobile Station am Boden lässt die Drachen vollautomatisch starten und landen. Die starken Zugkräfte selbst bei schwachem Wind sorgen für eine deutlich größere Stromausbeute als bisherige Solarstromanlagen, rechnet Breipohl vor. Und das, ohne viel Stahl, Beton oder Silizium zu verbauen.

Nach dem Proof of Concept Ende 2021 und erfolgreichen Dauertests von bis zu 72 Stunden bauen die Windfänger nun einen neuen Fertigungs- und Entwicklungsstandort für ihr erstes Serienprodukt aus: den „EK200“. Das neue Domizil befindet sich in einer 1500 Quadratmeter großen, ehemaligen Industriehalle im Technopark Eberswalde – einst Standort des VEB Kranbau Eberswalde. Dort wird der Prototyp weiterentwickelt, werden Bodenstationen und Flügel montiert und Tests in einem eigenen Windkanal unternommen. Bis Anfang 2024 soll der „EK200“ marktreif sein und in die Serienproduktion übergehen. Vier Millionen Euro Investitionen sind dafür laut Breipohl noch einmal veranschlagt.

Tüfteln an Flügeln mit Carbonfasern.
Feldversuch – ein ausrangiertes Feuerwehrauto erntet mit Drachenwind Strom.

Der Rückenwind für das Wachstum kam nicht zuletzt aus einer neuen Finanzierungsrunde. So hat die Investitionsbank Brandenburg EnerKite im Rahmen des Förderprogramms „ProFIT“ 3,4 Millionen Euro zugesichert. Außerdem läuft zurzeit die dritte Crowdfunding-Runde auf der Startup-Finanzierungsplattform FunderNation, mit der weitere 1,5 Millionen Euro eingespielt werden sollen. Auch andere Unternehmen wie SkySails aus Hamburg und KiteKraft aus Weßling bei München tüfteln an vergleichbaren Flugwindkraftanlagen – doch das einzigartige Konzept von EnerKite erlaube besonders hohe Erträge, sagt Breipohl.

Das liegt auch an der langjährigen Entwicklungszeit: Bereits 2010 ging der Mitbegründer, Luftfahrtingenieur und Unternehmer Alexander Bormann auf der WindEnergy-Messe in Husum auf Investorensuche. Damals hatte er schon vier Jahre lang mit einem Expertenteam aus Brandenburg und Berlin an der Vision von automatisierten Drachensystemen zur Stromproduktion gearbeitet. Noch im selben Jahr gründeten sie gemeinsam die EnerKite GmbH. Zum Team gehört auch der Industriedesigner und Flügelkonstrukteur Christian Gebhardt, Weltrekordhalter im Speed-Kiting. Der Sportler kennt die Kräfte des Windes bestens und leitet heute die technische Entwicklung. Die erste mobile Flugwindkraftanlage mit 30 kW Leistung und 50 kWh Speicher wurde schon 2012 realisiert. 2014 haben die Tüftler dann mit einem automatisierten Langzeitflug von 72 Stunden neue Maßstäbe gesetzt. Mittlerweile haben sie auf ihrem Weg 44 Patente angemeldet.

Ein Dutzend der 16 EnerKite-Mitarbeiter/innen arbeiten zurzeit in Eberswalde an der Entwicklung der Flugkraftwerke, die übrigen Kolleginnen und Kollegen sitzen in einem Office in Berlin und kümmern sich um Finanzierungs- und Vermarktungsfragen und neue Pilotprojekte. Unter anderem planen sie mit einem großen Automobilhersteller ein Projekt zum Betrieb von E-Auto-Ladesäulen: Autofahren mit Drachenwind. Auch Landwirte in windschwachen Regionen Bayerns hätten großes Interesse an den Anlagen signalisiert, erzählt Breipohl. Es gehe ihnen vor allem um eine größere Eigenversorgung ihrer Betriebe.

Dass Kritiker/innen die Technologie derzeit noch für zu teuer halten, um markttauglich und rentabel zu sein, bestreitet Breipohl: „Unsere Flugdrachen sind in allen Skalierungsstufen wirtschaftlich.“ Zudem gehe es vielen Interessenten weniger um den Stromgestehungspreis, sondern vielmehr um eine größere Unabhängigkeit vom Strommarkt. Auch Windräder hätten schließlich 40 Jahre gebraucht, um die heutige, preisgünstige Effizienz zu erreichen, sagt Breipohl. Insofern stünden Flugwindkraftanlagen vor einer großen Zukunft.

Brandenburg bietet uns viel Raum für unsere Pilotvorhaben und für unsere weitere Entwicklung – und das Interesse von Unternehmen und Landwirten in der Region ist groß. Der Wandel des Braunkohlereviers in der Lausitz bildet dabei eine wichtige Kulisse für den weiteren Wandel hin zu einer nachhaltigen, dezentralen Energieversorgung und bietet viele geeignete Flächen für unsere Anlagen. Zugleich profitieren wir von der engen Zusammenarbeit mit der BTU Cottbus-Senftenberg, die viele Forschungsarbeiten zu erneuerbaren Energien vorantreibt. Die Nähe zu Berlin verschafft uns darüber hinaus einen direkten Zugang zu weiteren Partnern, potentiellen Investoren und Nutzern.Florian BreipohlCEO | EnerKite

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: EnerKite)

Veröffentlicht: 03. Januar 2023

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