Henning von der Thüsen
MITTELSTAND / BRANCHEN

Ein Glaser für die Superyachten

Tilse Yacht Glazing fertigt die Scheiben für die größten Luxusyachten der Welt von der digitalen Vermessung bis zum Einbau vor Ort. Der Heimathafen des echten Hidden Champions liegt verborgen im brandenburgischen Havelland. Dennoch ist die Adresse auf den Weltmeeren bestens bekannt. Dahinter steckt auch ein buchstäblicher Wachstumsmarkt – erzählt Geschäftsführer Henning von der Thüsen.

Mitten im beschaulichen Havelland zwischen geschwungenen Alleen und riesigen Maisfeldern ragen im Dörfchen Liepe unvermittelt silbergraue Produktionshallen in den Himmel. Ihr Zentralgebäude ist gestaltet wie eine Schiffsbrücke: mit bodentiefen Fensterfronten, Wendeltreppe und Bullaugen. Hier, im brandenburgischen Nirgendwo, residiert ein Glaser für die Superyachten der Superreichen. Das Familienunternehmen Tilse Yacht Glazing produziert in Liepe seit mehr als 30 Jahren einzigartige Sicherheitsverbundgläser und hochklassige extravagante Glasfronten für die teuersten Luxusschiffe, die über die Weltmeere schippern, und baut sie auf den Werften vor Ort ein. Ein Service, mit dem sich der Glasveredler an die Weltspitze maritimer Exklusivlieferanten gearbeitet hat. Ein wahrer Hidden Champion.

Henning von der Thüsen, der die Firma zusammen mit seiner Frau Frauke von der Thüsen führt, begrüßt seine Gäste auf der Brücke des Produktionsstandortes in Liepe, Nennhausen, und erläutert die Philosophie seines Hauses. „Wir legen Wert darauf, alles aus einer Hand zu liefern“, sagt der Mitinhaber und Geschäftsführer. „Vom digitalen Aufmaß vor Ort, dem Design und der Planung über die Produktion bis zum Einbau überall auf der Welt. Egal ob in Wismar, Monaco, Fort Lauderdale oder Auckland – wir sind überall anzutreffen.“ Der Name Tilse stehe dabei für fehlerfreie, hochwertige Qualität. „Ungewollte Spiegelungen, Verzerrungen oder Irritationen darf es in unserem Yachtglas nicht geben“, sagt von der Thüsen. „Darin sind wir absolute Weltspitze.“

Gebaut wie eine Schiffsbrücke – das Zentralgebäude von Tilse Yacht Glazing

Voriges Jahr machte das Unternehmen mit rund 45 Mitarbeitern etwa sieben Millionen Euro Umsatz und lieferte individuelle Scheiben für 40 bis 50 Yachten. Tendenz weiter steigend. „Wir könnten sogar mehr produzieren – aber wir suchen Monteure“, erzählt der 59-jährige Hanseat. Die Namen der superreichen, privaten Yachtbesitzer darf von der Thüsen nicht preisgeben, obwohl einige bereits öffentlich geworden sind. Darunter ist die 94 Meter lange Luxusyacht „Viva“ eines milliardenschweren amerikanischen Unternehmers aus der Welt der Casinos und Schaukämpfe. Auch die „Bravo Eugenia“ gehört dazu: Die 109 Meter lange Gigayacht gehört dem Besitzer des erfolgreichen American-Football-Teams Dallas Cowboys, Jerry Jones. Zu den Referenzen zählt ebenso die „Archimedes“ des US-Amerikaners James Simons – einer der reichsten Fondsmanager der Welt.

Im Gespräch weist von der Thüsen auf die moderne Produktionshalle, die 2020 auf dem Nachbargrundstück entstanden ist. Hier werden große Rohglastafeln, die aus ausgewählten Glaswerken bezogen werden, auf Maß gebracht, bei 600 Grad gebogen und anschließend in einer speziellen Anlage chemisch bruchsicher gehärtet. Die neue Anlage mit dem speziellen Salzbad, die nun in Liepe steht, sei weltweit die drittgrößte und technisch modernste Anlage ihrer Art, erzählt von der Thüsen. Zuvor hatte die Firma Härtungsaufträge noch an Drittanbieter abgeben müssen.

Feinste Glasfronten sorgen für Durchblick (Segelyacht MYSTERE).
Die Motoryacht Archimedes

Die neue größere Produktionsstrecke, die die älteren Maschinen des Unternehmens weit übertrifft, sei vor allem nötig geworden, weil kleine Fenster für Superyachten schon lange nicht mehr en vogue sind. Die Scheiben werden immer größer und auch die Aufträge wachsen. Die 1600 Quadratmeter große Fertigungshalle hat die Produktionsflächen mehr als verdoppelt – und war zugleich Anlass dafür, dass Tilse dieses Jahr für den Zukunftspreis Brandenburg nominiert wurde. Tilse, so heißt es in der Begründung der Jury, „beeindruckt in vielfältiger Hinsicht und zeigt als Hidden Champion, was mit dem Material Glas möglich ist.“ Am 1. Dezember sollen die Sieger des wichtigsten Wirtschaftspreises des Landes gekürt werden.

Innovation liegt in der DNA des Hauses. Vor fast 50 Jahren, 1974, hatte Gründer Hans-Joachim Tilse in Hamburg die Erfolgsgeschichte als Ein-Mann-Unternehmen begonnen und den Betrieb bis zu seinem Tod 2018 zu einem weltweit agierenden Spezialisten geformt. Ursprünglich gestartet, um ausländische Firmen im deutschen Schiffbaumarkt zu vertreten, erhielt er seit Mitte der 1980er Jahre zunehmend Anfragen nach großen gebogenen Schiffsfenstern aus Sicherheitsverbundglas, die in die Schiffsstruktur eingeklebt werden sollten – ohne vorgefertigte Metallrahmen. Ein Novum auf dem Markt. Fündig wurde Tilse bei einer kleinen Glasbiegerei in Berlin-Spandau.

Bei der Produktion der individuellen Scheiben ist Handarbeit gefragt.
Maßarbeit und Präzision vom Aufmaß bis zum EInbau gehören zum Selbstverständnis von Tilse.

Das Geschäftsfeld wuchs, Anfang der 90er Jahre wurde ein größerer Standort gesucht. Doch in Berlin waren nach der Wiedervereinigung Immobilien nur zu überteuerten Preisen zu haben. Im Havelland aber bekam man von der Treuhand große Flächen und Immobilien für wenig Geld. Gesagt, getan. 1992 ging Tilse mit einem halben Dutzend Mitarbeitern in Liepe vor Anker. Das Yachten-Geschäft und das Unternehmen wuchsen auch dank der Präsenz auf internationalen Yachtmessen im In- und Ausland, Tilse kaufte nach und nach die Glasbiegerei auf. Tilses Tochter Frauke, die eine Banklehre und eine Ausbildung zum International Administration Manager absolviert hat, und ihr Mann Henning, ein studierter Informatiker aus der IT-Branche, stiegen 1991 und 2005 in das Unternehmen mit ein. Nach dem Tod des Gründers vor fünf Jahren übernahmen sie das Ruder. In Hamburg geblieben ist bis heute ein kleines Büro mit fünf Leuten für den Vertrieb.

„Wir wollen an vielen Stellen innovativ sein“, sagt von der Thüsen. Dazu gehörten neben der Einführung neuer Maschinen auch eine große Solaranlage auf dem Dach, moderne Recyclingmethoden und eine zeitgemäße Mitarbeitergewinnung. Um junge Leute aus der Region dafür zu gewinnen, in Liepe eine Lehre zu machen, setzt von der Thüsen heute einen kleinen Elektrokleinbus ein, der Auszubildende morgens im 20 Kilometer entfernten Rathenow abholt und nach Feierabend wieder zurückbringt. Seither habe Tilse ausreichend Auszubildende als Flachglastechnologen und Produktdesigner. „Wir bilden selbst aus, um organisch zu wachsen“, sagt der Firmenchef. Und das Handwerk will gelernt sein. Trotz aller Hightech-Maschinen – geschnitten und geschliffen werden die Scheiben bis heute von Hand.

Wir sind in Liepe verwurzelt und gut vernetzt. Hier haben wir Anfang der 90er Jahre den richtigen Standort zu guten Konditionen gefunden. Und wir finden hier bodenständige, loyale Mitarbeiter, die offen sind für Neues, die sich weiter qualifizieren und im Unternehmen Karriere machen. Parallel pflegen wir ein enges Netzwerk mit Partnerfirmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen wie der TU Dresden, der TU Bergakademie Freiberg, der BTU Cottbus und dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung in Potsdam. Für unsere weltweiten Kunden ist es ohne Belang, ob wir in Berlin sitzen – oder auf dem Land.Henning von der ThüsenGeschöftsführer | TILSE Yacht Glazing

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: Tilse Yacht Glazing )

Veröffentlicht: 2. Oktober 2023

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