Carsten Sumpf, Senior Vice President von avateramedical
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Ein Medizinroboter aus Jena

Ein Leipziger Chefarzt und ein früherer Topmanager haben sich in Jena zusammengetan, um den ersten OP-Roboter „Made in Germany“ zu entwickeln. Seit diesem Frühjahr erobert ihr Hightech-Gerät den Markt. Er soll roboter-assistierte Medizin für alle zugänglich machen. Die Nachfrage ist bereits groß.

Auf dem Areal der früheren Carl-Zeiss-Fabrik in Jena-Göschwitz hat sich eines der modernsten Gewerbegebiete Deutschlands entwickelt, in dem heute innovative Unternehmen wie Jenoptik und Carl-Zeiss-Meditec Zuhause sind. In einem avantgardistischen Neubau mit Alufassade steht seit kurzem ein Operationsroboter, der zur neuesten Medizintechnik-Generation „Made in Germany“ gehört.

Über einer nachgebildeten Bauchhöhle auf dem OP-Tisch schweben vier weiße Metallarme mit chirurgischen Instrumenten und einer bildvergrößernden Kamera. Daneben steht eine Steuereinheit mit einem brillenartigen Einblick, an dem der Mediziner sein Operationsterrain dreidimensional, hochaufgelöst und farbgetreu sieht. Mit kleinen Hebeln an den Fingern kann er die feinen Glieder der Maschine millimetergenau bewegen: willkommen im Trainingszentrum der Firma avateramedical!

Das junge Thüringer Team hat in den vergangenen zehn Jahren einen hochmodernen OP-Roboter entwickelt, wie es ihn bisher vor allem vom amerikanischen Marktführer für roboter-assistierte Chirurgie Intuitive Surgical gibt. Der Markteintritt des „German Robot“ in diesem Frühjahr bedeutet damit auch eine Kampfansage des kleinen ostdeutschen David an den internationalen Goliath.

Das Gründungsteam: Professor Jens-Uwe Stolzenburg und Hubertus von Grünberg
Der Markteintritt des „German Robot“ bedeutet auch eine Kampfansage des kleinen ostdeutschen David an den internationalen Goliath - die USA

Dabei hat die Geschichte mit einem Zufall begonnen: Professor Jens-Uwe Stolzenburg, Pionier bei minimalinvasiven Eingriffen und Direktor der Klinik für Urologie am Uniklinikum Leipzig, behandelte vor einigen Jahren einen renommierten Topmanager: Hubertus von Grünberg, einst Vorstandschef der Continental AG, später ihr Aufsichtsratsvorsitzender, dann Verwaltungsratschef der ABB-Gruppe. Ihr gemeinsamer Befund lautete: Es ist ein Armutszeugnis, dass das Hochtechnologieland Deutschland bislang keinen Medizinroboter entwickelt hat. Ihr gemeinsames Rezept gegen das Dilemma: Dann bauen wir ihn eben selbst!

Der sogenannte Telemanipulator soll zugleich ein kosteneffizientes Modell sein, das allen Kliniken und damit allen Patienten den Zugang zur robotisch-assistierten Chirurgie ermöglicht. Denn der Einsatz des Roboters bietet eine Reihe Vorteile: Dank der feinen Instrumente können sehr kleine Schnitte beim Patienten gesetzt werden. Umliegende Gewebe und Strukturen wie Nerven und Gefäße werden dadurch geschont. Weitere positive Effekte für Patienten: weniger Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, eine geringere Infektionsgefahr und kürzere Heilungs- und Erholungszeiten. Außerdem können die Mediziner durch die zitterfreien mechanischen Arme und dank einer zehnfachen Vergrößerung des Endoskops präziser und sicherer arbeiten als mit der Hand. Feinste Sensoren und ausgeklügelte Sicherheitssysteme sorgen zudem dafür, dass ein Patient nicht verletzt wird.

2011 gründen Stolzenburg und Grünberg avateramedical in Jena. Kurze Zeit später kommt Ilmenau als Entwicklungs- und Produktionsstandort hinzu. „Die beiden international bekannten Technologiestandorte gehören zum Herz der Medizintechnik in Deutschland und waren damals bereits in der Robotik erfolgreich“, sagt Carsten Sumpf, Senior Vice President von avateramedical. „Im Umfeld dieser erstklassigen Forschung und Entwicklung der Universitäten und Firmen konnten die Gründerväter ihr Unternehmen aufbauen.“ Sumpf, ein aus Brandenburg stammender Experte für technische Kybernetik und Biomedizintechnik, verfügt über viele Jahre Konzernerfahrung bei GE Healthcare. Im jungen Jenaer Unternehmen verantwortet er nun die Bereiche Klinische Anwendung, Service, Vertrieb, Produktmanagement und Marketing. Investor im Hintergrund war in den ersten Jahren vor allem Lars Windhorst mit seiner Tennor Holding B.V. Als Mehrheitseigner gab er zeitweise Finanzierungszusagen in dreistelliger Millionenhöhe. Mittlerweile haben andere Investoren große Anteile übernommen.

avateramedical wurde 2011 in Jena gegründet und hat in Ilmenau einen Entwicklungs- und Produktionsstandort
Der Telemanipulator im Einsatz an der Leipziger Klinik für Urologie von Chefarzt Stolzenburg (Foto: Stefan Straube, UKL)

Avateramedical ist derweil auf 250 Mitarbeitende an vier Standorten gewachsen und hat den ersten eigenen OP-Roboter für Eingriffe in der Urologie und in der Gynäkologie zur Marktreife getrieben: Seit Mitte März ist das erste Modell an der Leipziger Klinik für Urologie von Chefarzt Stolzenburg im Einsatz und soll weitere Erfahrungswerte liefern. „Die ersten OPs in der Routineversorgung sind sehr gut verlaufen“, sagt Sumpf. Im Laufe des Jahres soll das Modell in mindestens zehn weiteren europäischen Kliniken wie in Griechenland, Ungarn, Frankreich, Spanien und Dänemark eingesetzt werden. Schon jetzt reisen die Fachärzte ins Trainingszentrum nach Jena-Göschwitz und lernen den Umgang mit dem Roboter. Die Nachfrage sei größer, als es das behutsame Wachstum zulasse, sagt Sumpf.

Bis Ende 2023 soll die Nachfolgegeneration „avatera A2“ in den klinischen Einsatz kommen und die erste Serie ablösen. Der „avatera A2“ solle weitere Features bieten und für weitere Bereiche der Bauchchirurgie zugelassen werden. Hinzu kommt: Während Vergleichsgeräte für 1,5 bis 2,5 Millionen Euro an Kliniken verkauft werden, verfolgt avateramedical eine andere Strategie: eine Bezahlung pro behandeltem Fall. Damit soll die Anschaffung auch kleineren Krankenhäusern und eine Einzelfallabrechnung mit Krankenkassen möglich sein. Zudem setzt avateramedical auf ein Einwegprinzip für chirurgische Instrumente und auf sterile Hüllen für die Endoskope. So werden kostenintensive, zeitaufwändige Reinigungs- und Sterilisationsabläufe sowie Infektionsrisiken vermieden. „Gefährliche Kreuzkontaminationen werden verhindert und OP-Abläufe nicht beeinträchtigt“, betont Sumpf.

Unterdessen wächst das Unternehmen weiter. Derzeit entsteht ein eigener Avatera-Campus in Ilmenau, wo die Tochter avateramedical Mechatronics die Roboter produziert. Nach der Markteinführung der zweiten Generation will das Unternehmen profitabel werden, weiter deutlich wachsen und weltweit aktiv werden. „Wichtig“, sagt Carsten Sumpf, „ist aber vor allem der Stolz und die Leidenschaft der Mitarbeiter, an der Verwirklichung der Vision des ersten deutschen Operationsroboters mitzuarbeiten.“

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: Avatera und Stefan Straube, UKL)

Veröffentlicht: 09. Juni 2022

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