MITTELSTAND / BRANCHEN

Herzenssache in Berlin-Buch

Sie haben Mut bewiesen und sind weit damit gekommen: Mehrere Experten der Medizinbranche haben 2013 in Berlin das Biotech-Start-up OMEICOS gegründet, um neuartige Medikamente im Herzkreislauf-Bereich zu entwickeln. Mittlerweile hat OMT-28 die klinische Phase-II-Studie mit Patienten mit Vorhofflimmern durchlaufen. Es ist eine Erfolgsgeschichte am Gesundheitscampus Berlin-Buch. Der Ostdeutsche Bankenverband hat die Newcomer nun als „Macher30 des Ostens“ gekürt.

 

Im nordöstlichsten Zipfel Berlins liegen weitläufige Parkanlagen mit imposanten Klinikbauten aus der Gründerzeit und modernen Forschungsinstituten. Abseits von Ku’damm und Alexanderplatz ist hier in Berlin-Buch ein führender Gesundheitsstandort für medizinische Neuentwicklungen und Start-ups der Life-Sciences-Branche entstanden. Allein auf dem Forschungs- und Technologiecampus haben sich neben renommierten Instituten bereits mehr als 60 Unternehmen mit 800 Beschäftigten und rund 220 Millionen Euro Jahresumsatz angesiedelt.

Mitten im Campus steht das Erwin-Negelein-Haus, ein 1998 errichtetes Laborgebäude mit weißen Betonfassaden und Holzfenstern, benannt nach dem preisgekrönten Biochemiker und Zellbiologen. Im zweiten Stock führt Karen Uhlmann durch einen langen Flur mit Laboren und Büros von „Omeicos Therapeutics“. 16 Arzneimittelspezialisten treiben hier die Entwicklung eines neuartigen Medikaments gegen das Vorhofflimmern im Herzen voran. Karen Uhlmann, Vice President Operations & IP, hat das junge Unternehmen 2013 mitbegründet. 34 Millionen Euro Risikokapital und vier Millionen Euro Forschungsförderung haben sie bereits für das vielversprechende Projekt akquiriert, erzählt Uhlmann.

 

Campus Berlin-Buch
Haus 79, Sitz von Omeicos

Mehr als zwei Millionen Menschen leiden in Deutschland an einer vorübergehenden oder dauerhaften Erkrankung, bei der das Herz aus dem Takt gerät: Die Vorhöfe schlagen unkontrolliert, sie beginnen zu flimmern. Eine Störung, die zum Schlaganfall führen kann. Weltweit sind mindestens 33 Millionen Patienten mit dieser Art der Herzrhythmusstörungen bekannt. Eine bittere Pille für die Betroffenen – und ein Riesenmarkt für die Pharmabranche. OMEICOS’ Präparat mit dem Arbeitstitel OMT-28 könnte die Behandlung des Vorhofflimmerns allerdings revolutionieren. Denn bisherige Präparate haben häufig starke Nebenwirkungen und müssen bald wieder abgesetzt werden, erzählt Robert Fischer, Mitbegründer und medizinischer Kopf des Projekts.

OMT-28 dagegen basiere auf einem natürlichen Zellstoffwechselprodukt von Omega-3-Fettsäuren. „In vorklinischen Versuchen konnten wir zeigen, dass die Metabolite nicht nur die aus dem Takt geratenen Vorhöfe beruhigen, sondern zudem entzündungshemmend wirken und Signalkaskaden in den Zellen aktivieren, die das Herz schützen“, sagt Fischer. Weil aber das in der Natur vorkommende Zwischenprodukt zu instabil für therapeutische Behandlungen ist, hat Omeicos einen analogen Stoff synthetisch entwickelt – eine bahnbrechende Entwicklung für die Medizin. Mittlerweile lässt OMEICOS seine Erfindung aus Kohlenstoffverbindungen von Industriepartnern herstellen. „Anders als bei Zusammensetzungen in der Natur verfügen wir über eine absolut reine Substanz“, betont Fischer.

Binnen vier Jahren ist es dem Team gelungen, das Präparat in die klinische Prüfung zu bringen. Die Phase I-Studie mit 75 gesunden Probanden wurde bereits erfolgreich abgeschlossen. „Wir hatten sehr gute Ergebnisse“, sagt Uhlmann. Bis März – gerade noch rechtzeitig vor dem Corona-Shutdown – konnten zudem 120 Patienten die Phase-II-Studie mit unterschiedlichen Dosierungen durchlaufen. Die Ergebnisse sollen bis zum Jahresende ausgewertet sein, und sie versprechen weitere Erfolge. Nächstes Jahr könnte die Phase-III-Studie mit einer großen Patientengruppe beginnen. Bei geschätzten Kosten von 150 bis 200 Millionen ist allerdings absehbar, dass ein Pharmakonzern in die Entwicklung mit einsteigen muss.

Bisher haben die Gründer viel riskiert: CEO Robert Fischer arbeitete als Kardiologe an der Charité und forschte am Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin (MDC) – bis er die Karriere im weißen Kittel an den Nagel hängte und sich ganz OMEICOS verschrieb. Uhlmann hat nach ihrer Ausbildung zur Diplom-Kauffrau im Schering-Konzern Biologie studiert und promoviert, dann zehn Jahre in einem Beratungsunternehmen für den Technologietransfer aus der Forschung in die Wirtschaft gesorgt – bis sie mit Fischer zur Gründerin von OMEICOS wurde.

Wissenschaftlicher Pionier des Gründerteams ist der erfahrene Biochemiker Wolf-Hagen Schunck: In seinem Labor am MDC wurden die Grundlagen für OMT-28 entdeckt, er hat viele Jahre auf die Entwicklung des Therapeutikums hingearbeitet. Der leidenschaftliche Wissenschaftler blieb indes am Institut und forscht dort weiter an den zellulären und molekularen Mechanismen von OMT-28– und an neuen Anwendungen. So hofft OMEICOS mit seinem Wirkstoff auch auf eine neuartige Augen-Behandlung der altersbedingten Makula-Degeneration, die zu schweren Seheinbußen führt. Herkömmliche Medikamente werden bisher direkt ins Auge injiziert, mit OMT 28 könnte dieser unangenehme Piks Geschichte werden. Und auch an der Behandlung von Muskelerkrankungen wird bei OMEICOS geforscht.

Laborgebäude für Medizinische Genomforschung auf dem Campus
GründerInnen von OMEICOS (v.l.n.r. Dr. Robert Fischer, Dr. Karen Uhlmann, Dr. Wolf-Hagen Schunck)

Das Max-Delbrück-Centrum war 1992 aus der einstigen Akademie der Wissenschaften der DDR hervorgegangen, es gehört heute zur Helmholtz-Forschungsgemeinschaft und gilt als Keimzelle für viele Entwicklungen in der Biomedizin. Die Gesundheitsforschung in Berlin-Buch hat eine lange Tradition. Schon um 1900 entstanden in dem einstigen Dorf die ersten Heilanstalten, 1930 folgte das Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung. Zeitweise betrieben die fünf Krankenhausanlagen bis zu 5000 Betten. Nach dem Mauerfall begann dann ein neuer Boom: 600 Millionen Euro wurden seitdem von der EU, dem Bund und dem Land Berlin in den Campus investiert, um neue Synergien von Forschungsinstituten, Kliniken und Biotech‐Unternehmen zu fördern.

Neben dem MDC gehören dazu das Leibniz‐Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie, das Experimental and Clinical Research Center und das Berlin Institute of Health. „Allein in den Forschungseinrichtungen arbeiten 1250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“, sagt Christina Quensel, die Geschäftsführerin der Campus Berlin-Buch GmbH. Und das Wachstum geht weiter: Im August begann der Bau eines neuen Gründerzentrums unter dem Namen BerlinBioCube. Der Campus, seine Betreibergesellschaft und das Netzwerk an Wissenschaftlern“, sagt Karen Uhlmann, „bieten ideale Bedingungen für Gründer wie uns.“

 

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig

(Bildquellen: Peter Himsel & David Ausserhofer / Campus Berlin-Buch GmbH, OMEICOS)

Veröffentlichung: 12. Oktober 2020

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