Geschäftsführer Jörg Ullmann
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Im Zeichen der Alge

In der Kleinstadt Klötze in der Altmark steht die größte und älteste Algenfarm Deutschlands. Ihre Produkte werden in Lebensmitteln, Kosmetika und Arzneien eingesetzt. Sachsen-Anhalt gilt als Hochburg für Mikroalgen in Europa – und hat noch einiges vor.

Zwischen Wiesen und Weiden in der Altmark ragen kurz hinter der Ortschaft Klötze langgestreckte Gewächshäuser empor: 1,2 Hektar Hallenflächen komplett unter Glas. Darunter schlängeln sich 500 Kilometer Glasröhren, durch die Wasser gepumpt wird. 21 waagerechte Rohre liegen bis unter die hohen Glasdecken übereinandergestapelt. Die futuristisch anmutende Kulisse ist eine patentierte Brutstätte für ein Wundermittel der Natur: Mikroalgen.

Jörg Ullmann, Geschäftsführer der Algenfarm, geht durch die Gänge und erläutert das Prinzip: „Wir betreiben Aquarien mit mehr als 600.000 Litern. Durch den röhrenförmigen Aufbau werden unsere Algen ideal mit Sonnenlicht versorgt und im Hochsommer durch Verschattungen vor Überhitzung geschützt.“ Der 50-Jährige und seine 16 Kollegen kümmern sich um den optimalen Betrieb der Anlagen, um das Labor, die Anzucht der Pflanzen sowie die Qualitätsprüfungen und den Versand der fertigen Algenprodukte.

Das „Gemüse des Meeres“ gilt als Superfood für eine gesunde, nachhaltige Ernährung und als wichtiger Wirkstoff für Nahrungsergänzungsmittel, Lebensmittelzusatzstoffe, Kosmetika, natürliche Arzneien und Tierfutter. Denn sie enthalten hohe Anteile an Eiweiß, Proteinen, Mineralien und Vitaminen. Laut Ullmann werden heute schon in etwa 70 Prozent der industriell verarbeiteten Lebensmittel Algen eingesetzt, sei es als Farbstoff oder als Gelier- und Dickungsmittel wie Alginsäure, Carrageen und Agar-Agar. Sie kommen zumeist aus Asien.

Das Unternehmen in Sachsen-Anhalt produziert lediglich 20 bis 30 Tonnen Algen im Jahr. Die Kunden sind vor allem in der Nahrungsmittel-, Kosmetik- und Futtermittelindustrie zu finden. Namen darf Ullmann nicht nennen. Doch etwa drei Viertel der Algen werden im deutschsprachigen Raum verkauft. Der Rest geht in die ganze Welt bis nach Malaysia und Indonesien. Zudem verkauft die Farm Algenpulver, Tabletten und Flakes unter der Hausmarke Algomed.

„Wir stehen noch am Anfang, die Schatztruhe Algen zu öffnen“, sagt Ullmann. „Wenn man das Wachstum der Weltbevölkerung betrachtet und bedenkt, dass zwei Drittel der Erde mit Wasser bedeckt sind, fängt die Menschheit mit der Nutzung der Algen gerade erst an. Sie sind ein wichtiges Puzzlestück, um die Versorgung mit wichtigen Nährstoffen sicherzustellen.“ In anderen Teilen der Welt wie USA, China, Indonesien oder Brasilien wachse der Algenmarkt bereits enorm. Saudi-Arabien habe sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 weltgrößter Algenproduzent zu werden. Und auch europaweit gebe es bereits mehr als 300 Mikroalgenfarmen.

1,2 Hektar unter Glas - die Algenfarm in Klötze (Sachsen-Anhalt)
Der Aufbau in Glasröhren ermöglicht die ideale Versorgung mit Sonnenlicht für die Algen.

Am Anfang der Zucht stehen Starterkulturen – das Saatgut der Alge. Das mikroskopisch kleine Phytoplankton, das ohne Wurzeln auskommt und sich durch Zellteilung vermehrt, vervielfältige sich bis zu 16-mal am Tag in Tochterzellen, erläutert der Biologe. Versorgt werden sie mit Wasser aus einem hauseigenen Brunnen, der reines Grundwasser aus 45 Metern Tiefe liefert. Schon nach vier bis fünf Tagen können die ersten Einzeller-Kulturen geerntet werden. Die dunkelgrüne Masse wird in Zentrifugen geschleudert und getrocknet. Ein kleiner Teil geht unverarbeitet direkt zu Kunden, der Großteil wird zu Pulver verarbeitet, teils eingefroren, teils in Tabletten gepresst und dann ausgeliefert. Die häufigsten Arten sind Chlorella und Spirulina, sie gehören zu den ältesten Lebensformen der Erde. Inzwischen baut die Algenfarm mehr als ein Dutzend Algenarten an, die kuriose Namen tragen wie Nannochloropsis und Scenedesmus.

Entstanden ist die Idee schon zu DDR-Zeiten. Das Institut für Getreideverarbeitung IVG in Bergholz-Rehbrücke bei Potsdam hatte sich schon in den 1980er Jahren mit Algen als alternatives Tierfutter beschäftigt. Chlorella-Algen seien sogar auf der Sojus-Raumkapsel ins All geflogen und in Mosaik-Comicheften der DDR beschrieben worden. 1999 liefert das IVG das Knowhow für die erste Anlage zur industriellen Algenproduktion der damaligen ÖPA GmbH in Klötze, sie geht aber 2001 mangels Nachfrage zunächst in die Insolvenz. Doch die Farm bleibt bestehen. Anfang 2004 lässt sich Ullman als Produktionsleiter anheuern, sein Chef ist einer der Gründerväter der Farm: Karl-Hermann Steinberg. Der Professor für Technische Chemie war 1990 für ein halbes Jahr Umweltminister der auslaufenden DDR.

Ullmann, der zusätzlich zur Biologie auch Innovations- und Führungsmanagement studiert hat, entscheidet sich gegen eine akademische Laufbahn und freut sich auf den Job im Bio-Unternehmen. Seine ersten Kunden sind Heilpraktiker, die auf die Kraft der Alge setzen. Nach und nach erweitert sich der Kundenkreis auf andere Branchen. 2008 steigt der französische Lebens- und Futtermittelkonzern Roquette als großer Investor ein und bleibt 15 Jahre an Bord. Erst Anfang 2023 verkauft Roquette die Farm an die bayrische Investorengruppe Noah, die seither Alleineigentümerin ist.

Ullman ist währenddessen eine Art Aktivist für die Algen-Sache geworden: Der 50-Jährige wird von der EU-Kommission als externer Experte und Berater geführt, er hat den „Welt-Algentag“ am 12. Oktober ins Leben gerufen, mit seiner Frau Kirstin Knufmann einen großen Algen-Kongress ausgerichtet und ein gemeinsames Kochbuch für den renommierten Kosmos-Verlag verfasst. Und er engagiert sich weiter dafür, ein Netzwerk von Algen-Akteuren zusammen zu bringen, um die Entwicklung des Wirtschaftssektors weiter zu unterstützen – sei es im Kompetenzzentrum Algenbiotechnologie an der Hochschule Anhalt, bei der Produktion oder in der Vermarktung. Seine Frau Kristin – inzwischen selbst Algenexpertin und Unternehmerin – betreibt den Pureraw-Shop, der Rohkost- und Algenprodukte verkauft. Zudem unterstützt die Algenfarm die Agrargenossenschaft Burgscheidungen im Süden Sachsen-Anhalts, die Algen im Zusammenspiel mit anderen Feldfrüchten und Wein anbauen will. Ullmann unterhält Kontakte zum Ingenieurdienstleister Gicon aus Dresden, der Photobioreaktoren für Mikroalgen entwickelt und betreibt, etwa im Biosolarzentrum Anhalt und in einer Agrargenossenschaft in Sachsen. Darüber hinaus laufen Forschungsprojekte etwa mit der Hochschule Niederrhein, die Fadenalgen als Fasern für die Textilindustrie einsetzen will und Projekte, um aus Alginaten Kunststoffe herzustellen.

„Sachsen-Anhalt nimmt eine Sonderstellung bei der Algenbiotechnologie ein“, sagt Ullmann. Das Thema habe einen besonderen Platz in der Innovationsstrategie des Landes. Doch er fühle sich noch immer wie ein Pionier und müsse viel Überzeugungsarbeit leisten. „Aber dafür“, sagt Ullmann, „kann man beim Thema Algen einen grünen Fußabdruck hinterlassen.“

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: Algenfarm Klötze GmbH & Co. KG. )

Veröffentlicht: 3. Januar 2024

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