Uwe Teichert (Bildquelle: Ronald Bonss)
MITTELSTAND / BRANCHEN

Motivation erwächst aus neuen Aufgaben

Ostdeutschlands Mittelstand auf dem Weg zu digitalen Geschäftsfeldern: Wie man sich auch als Neonkünstler aus DDR-Zeiten ganz neu erfinden kann, erzählt Uwe Teichert, Geschäftsführer der Leipziger Lichtprofis NEL.

Herr Teichert, NEL hat sich von einer früheren DDR-Genossenschaft für Neonklassiker zu einem modernen Dienstleister für Licht und digitale Werbung entwickelt.Wo steht das Unternehmen heute?

Uwe Teichert: Wir haben uns mit dem Wandel der Märkte und Technologien und mit den Veränderungen der Produkte und Dienstleistungen immer weiter entwickelt. Dadurch sind wir Gott sei Dank gut aufgestellt. Zu Licht und Werbung zählen bei uns heute vor allem die breite Palette smarter Elektroinstallationen und moderner LED-Werbung. Auch die Inszenierung anspruchsvoller Lichtprojekte, Lichtberatung und Lichtplanung sind jetzt Teil unseres Geschäftsmodells.

Welche Rolle spielt da noch das klassische Neon?

Der alte „Neon-Kram“, wie manche sagen, hat noch immer viel Charme – ist aber nur noch strahlendes Aushängeschild unserer Handwerkskunst und macht weniger als fünf Prozent des Umsatzes aus. Mehr als 60 Prozent erzielen wir inzwischen mit elektrotechnischem und werbetechnischem Facilityservice. Ein wichtiger Bereich sind zudem digitale Mediasysteme geworden, die wir zum großen Teil selbst entwickeln, herstellen, ausrollen, warten und in Netzwerken international betreuen.

Wie ist der Wandel zur Digitalisierung bei NEL gelaufen: Glücklicher Zufall oder gezielte Strategie?

Beides. Wir mussten zwangsläufig neue Zukunftsfelder in den Blick nehmen, wie energiesparende LED-Technik, digitale Steuerungen und Programmierungen. Dabei sind wir mit unseren Kunden mitmarschiert ins digitale Zeitalter und haben neue Produkte wie Minirechner, flexible Bildschirme und bessere UMTS-Verbindungen integriert. Da gab es für uns gar keinen anderen Weg. Aber die Kunden und wir haben uns gegenseitig gefördert und gefordert. Heute managen wir zum Beispiel ein digitales Bildschirm-Netzwerk mit mehr als 14.000 Systemen in Deutschland und Österreich.

Was war die Motivation für den Unternehmens-Wandel?

Die Motivation erwächst aus den neuen Aufgaben unserer Kunden. Wenn wir sie erfolgreicher machen, sind sie auch zufriedener. So gehören zu unseren Lösungen heute auch internetbasierte Technologien, mit denen wir unsere Produkte „schlauer“ machen. Der Hintergrund ist: Weil zunehmend Fachleute fehlen, die sich um die Technik kümmern, müssen wir digitale Lösungen wie Temperaturüberwachung, Laufzeitmanagement und vorausdenkende Störungssignalisation entwickeln, um solche Personallücken zu schließen.

Messestand (Bildquelle: Handwerkskammer zu Leipzig)
Werbung (Bildquelle: Volkmar Heinz)
Wieviel haben Sie investiert, um das Geschäftsmodell von NEL umzukrempeln?

Wir haben sehr viel in Produktentwicklung, Hardware und Software und die Qualifikation der Kollegen investiert, ebenso in Netzwerktechnik, einen Firmenneubau und vier Produktions- und Lagerhallen. Zugleich mussten wir unsere Produktionstiefe reduzieren und ein neues Lieferanten-Netzwerk mit Spezialisten aufbauen. Zu DDR-Zeiten wurde bei uns ja alles selbst gemacht.

Klingt nach einem großen Wagnis …

… und ausgerechnet zur gleichen Zeit ereilte uns ein Konjunkturknick. Er bedeutete wiederum neue Anforderungen: Expansion in neue Märkte wie die neuen EU-Länder. Parallel dazu verlief der technologische Wandel zur Digitalisierung. Stehenbleiben hieß da schon Rückschritt.

Hand aufs Herz: Haben Sie auf den neuen Wegen auch Fehler gemacht?

Eine unschöne Erfahrung mussten wir machen, als wir an quecksilberfreien Xenon-Leuchtmitteln forschten. Das Thema hat uns viel Kraft, Zeit und Geld gekostet. Doch dann wurde es in den EU-Vorschriften nicht so umgesetzt wie zunächst gedacht. Aber wir haben aus der Not eine Tugend gemacht: Inzwischen können wir durch diese Entwicklung die Betriebsdauer spezieller Neon-Leuchtmittel auf fast 50 000 Brennstunden erhöhen. Damit sind wir wettbewerbsfähig mit modernen LED.

Laut Studien verschlafen viele Mittelständer die Digitalisierung. Ist der Mittelstand im Osten zu vorsichtig?

Es hat sich ein toller Mittelstand entwickelt, er ist sehr gut spezialisiert und hat viele tolle Ideen – aber er leidet unter einem geringeren Investitionsvermögen als im Westen Deutschlands. Wichtig wäre daher eine stärkere Vernetzung mit Start-ups und Hochschulen, die ihrerseits besser auf Unternehmens-Bedürfnisse eingehen müssen. Es sollten sich auch mehr Betriebe zu Zweckverbünden zusammenschließen, um zukünftig noch leistungsfähiger zu sein.

Glasbläserin von NEL (Bildquelle: Ronald Bonss)
"Löffelfamilie" in Leipzig (Bildquelle: Volkmar Heinz)

Digitale Erleuchtung

NEL, ein Leipziger Neon-Spezialist aus DDR-Zeiten, marschiert mit smarten Werbe-Ideen in die Zukunft.

Sie leiten die Wege durch Hamburgs Elbphilharmonie, lassen Weihnachtsmärkte um die Wette leuchten und Leipzigs Hauptbahnhof strahlen wie ein Broadway-Theater: Die Lichtprofis des Leipziger Unternehmens für Neontechnik und Elektroanlagen, NEL. 1961 gegründet, wurde die Genossenschaft zu DDR-Zeiten mit Lichtwerbung für internationale Messen groß, schuf dabei Neon-Kunstwerke wie die Leipziger Löffelfamilie, die bis heute Kult sind. Doch die größte Kunst des Mittelständlers besteht darin, sich immer wieder neu zu erfinden.

Heute gehören zur international aufgestellten NEL-Group neun Geschäftsfelder, darunter moderne LED-Anlagen mit 3D-Effekten, Architekturbeleuchtungen und Wegeleitsysteme wie in der Hamburg „Elphi“. Ein wichtiges Standbein haben sich die umtriebigen Elektromeister auch auf dem boomenden Milliardenmarkt „Digital Signage“ geschaffen: Vernetzte, smarte Digitalanzeigen, die in Supermärkten, Hotels, Tankstellen und Bahnhöfen die Gäste und Kunden mit aktuellen, zielgruppengerechten Informationen versorgen. Die Experten des Leipziger Hauses entwickeln dafür eigene Hardware und Software, warten Displays und beschicken sie online mit Nachrichten. Marktanteil in Deutschland: 15 Prozent.

Mit seiner einleuchtenden Strategie ist das Team unter ihrem langjährigen Geschäftsführer Uwe Teichert inzwischen wieder auf 70 Mitarbeiter gewachsen. „Werbung ist heute viel flexibler und schnelllebiger. Man muss immer neue Lösungen finden“, sagt Teichert, 56, ein gelernter Elektromonteur und promovierter Wirtschaftswissenschaftler, der NEL seit 20 Jahren als Geschäftsführer lenkt. Teichert will vor allem individuelle Lösungen für jeden Kunden kreieren: Einzelanfertigungen, Sonderprojekte, kleine Serien. „Wir richten unsere Teams jeweils nach dem Kunden aus“, betont Teichert. Die Umsetzung neuer Projekte unterstützt zudem eine dreiköpfige Forschungs- und Entwicklungsabteilung.

Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens hatte mit der Leipziger Messe Ende der 1950er Jahre begonnen: Damals suchten DDR-Kombinate neue ausdrucksstarke Lichtwerbung. Drei Elektromeister gründeten die Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) „Neontechnik und Anlagenbau Leipzig“ und begannen, leuchtende Logos für Messen in der halben Welt zu bauen. Nach dem Mauerfall verloren die Unternehmer fast alle Kunden und jobbten für westdeutsche Werbebetriebe. Doch sie haben sich berappelt und den eigenen Weg gefunden. Inzwischen gehören zu ihren Kunden Konzerne wie der Shoppingcenter-Experte ECE und die Spedition Kühne+Nagel. Auch BMW, Mini und andere Autobauer lassen von NEL ihre Neuwagen ins rechte Licht rücken.

Ihre Wurzeln vergisst die traditionsreiche Firma dennoch nicht: Die alte Neontechnik kommt nun vor allem im Denkmalschutz, in der Kunst oder bei Fernsehproduktionen zum Einsatz. Für ihre handgefertigten Neonanlagen beschäftigt NEL eigens eine junge Glasbläsermeisterin, die das Unternehmen selbst ausgebildet hat. „Wir sind gut aufgestellt“, sagt Teichert. „Jung, hoffnungsvoll und dynamisch.“

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig

Hauptbahnhof Leipzig (Bildquelle: Matthias Seldte)
Hauptbahnhof Leipzig (Bildquelle: Matthias Seldte)