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Regional statt aus Russland

Julia Jungbeck-Ucar hat den „Altenburger Senf“ von ihrem Vater übernommen und führt das Unternehmen in eine moderne Zukunft. Dazu gehört seit dem Ukraine-Krieg auch der Abschied von russischen Rohstoff-Lieferungen. Nun lässt die 33-Jährige die Senfkörner in Thüringen anbauen – und setzt auf regionale Produkte.

 

Wenn Julia Jungbeck-Ucar durch die großen Lagerräume ihrer Altenburger Senffabrik läuft, vorbei an Gewürzfässern, Tonnen, Tanks, Kartons und Vorratspaletten, fällt ein sorgenvoller Blick auf die wenigen Säcke mit den gelben Senfkörnern im Hochregal: die vorerst letzte Lieferung aus Russland. Eine weitere, schon bestellte Charge blieb Anfang des Jahres beim Produzenten nahe der russisch-ukrainischen Grenze einfach stehen.

Die Spedition hatte sich angesichts von zig Kilometer langen Staus und der sich zuspitzenden Krise geweigert, überhaupt loszufahren. Nicht mal für einen gehörigen Aufpreis ließ sich die Firma überreden. Inzwischen gehen die Rohstoffvorräte für das begehrte Traditionsprodukt bald zur Neige. „Der Markt ist leergefegt“, sagt Julia Jungbeck-Ucar, die vor sechs Jahren die Geschäfte von ihrem Vater Karl Jungbeck übernommen hat. „Aber wir haben noch eine Möglichkeit gefunden und hoffen, dass in Kürze eine Lieferung kommt.“ Andernfalls müssten die großen Edelstahlkessel in drei Monaten aufhören zu rotieren, zumindest vorübergehend.

Der Altenburger Senfimport aus Russland ist damit Geschichte. Die Chefin hat eine ganz andere Idee: Sie macht aus der Not eine Tugend und baut mit der Agrar GmbH in Ziegelheim bei Altenburg den Senf jetzt selbst an. Der Gedanke dazu war schon im vorigen Jahr aufgekeimt. Julia Jungbeck-Ucar wollte eine kleine Reihe mit regionalem, nachhaltigem Senf aus der Heimat auflegen – in einer limitierten „Von hier“-Edition. Schließlich ist Regionales so beliebt wie lange nicht. Rund zehn Tonnen Senfkörner-Ernte waren geplant.

Am Wochenende, bevor der Ukraine-Krieg begann, wurde daraus eine große Sache: „Ich hab einem Freund bei der Agrar GmbH geschrieben: Wir brauchen mehr als 100 Tonnen! Wie viel kannst du liefern?“ erzählt die Unternehmerin. Bis zu 70 Tonnen konnte er sich vorstellen. Immerhin der Großteil der Menge, die die Senfmanufaktur im Jahr verbraucht. Inzwischen hat sie noch einen weiteren Anbaubetrieb für gelbe und braune Senfkörner in Thüringen gefunden, der zusätzlich 40 Hektar für die Altenburger anbauen will! Im Laufe des März‘ beginnt die Aussaat auf den Feldern rund um die Skatstadt. „Wir hoffen sehr, dass alles gutgeht“, sagt Julia Jungbeck-Ucar.

Ein Blick auf das Werkgelände.
Die Abfüllmaschine des 1992 vom Vater gegründeten Unternehmens.

Der Senfanbau in Deutschland war in der Vergangenheit deutlich zurückgegangen, weil er nicht die nötigen wirtschaftlichen Erträge brachte. Das könnte jetzt anders werden. Zumindest unterstützen Thüringer Landwirte künftig den Altenburger Senf. „Das ist ein Traum“, sagt die junge Geschäftsführerin, „wir sind sehr glücklich darüber.“

Die 33-Jährige kennt das Senf-Geschäft von klein auf: Als ihr Vater die Firma gründet, ist sie drei Jahre alt. Karl Jungbeck ist damals in den neuen Bundesländern als Außendienstler für einen Gewürzlieferanten aus Bayern unterwegs, der Markt verlangt nach Ost-Senf – aber es gibt kaum noch welchen. Am 2. Mai 1992 gründet er die Firma, lässt die Marke „Altenburger“ eintragen und sichert sich die Webseite senf.de. Sie ist heute Gold wert. „Er hat eine eigene Rezeptur für typischen Ost-Senf entwickelt, um die Wünsche der Menschen zu erfüllen“, erzählt seine Tochter. Für die Produktion setzt er natürliches Mineralwasser aus dem hauseigenen Brunnen ein.

Der Aufstieg beginnt mit drei Mitarbeitern und den zwei Sorten „scharf“ und „mittelscharf“. Heute zählt Altenburger 40 Mitarbeiter, schreibt mehr als fünf Millionen Euro Umsatz im Jahr und hat mehr als 300 verschiedene Senfsorten im Regal, darunter auch „Abstandshalter“-Senf mit viel Knoblauch, „Einhorn“- und „Erotik“-Senf, Whisky- und Weihnachts-Senf. Dazu kommen 200 weitere verschiedene Produkte wie diverse Soßen, Worcester-Sauce und Ketchups, hauseigene Gewürzmischungen, Chutneys und Öle, zudem White-Label-Produkte für Dritte wie Fernsehköche. Überdies gibt es auf dem Altenburger Werksgelände seit 2010 eine Kochschule, die sie „Senfonie“ nennen.

Die bekannten Plastikbecher wurden durch wiederverwendbare Gläser ersetzt. So spart man tonnenweise Plastikmüll ein.
Der Aufstieg beginnt mit drei Mitarbeitenden und zwei Sorten. Heute schreibt das Unternehmen mehr als fünf Mio. Euro Umsatz im Jahr und hat neben 300 verschiedenen Senfsorten noch 200 weitere Produkte im Angebot.

Das Wachstum an der Remsaer Straße ist nicht zuletzt ein Verdienst der jungen Chefin. Schon als Schülerin hilft sie in der Produktion, füllt Becher ab, faltet Kartons, öffnet sonntags den Senfladen in der Stadt. Nach der Schule lernt sie zunächst Versicherungskauffrau bei einem Konzern in Leipzig und wagt sich mit 19 Jahren in den Außendienst. Mit gewachsenem Erfahrungsschatz und Selbstbewusstsein kehrt sie ein paar Jahre später zurück, unterstützt den Vater im Büro, schreibt Angebote für die Kunden. Bald fährt sie mit ihm zu Verhandlungen mit den Einkäufern der großen Lebensmittelketten. Eine harte Schule. „Wir mussten verkaufen, um zu überleben“, sagt sie. „Ich war nie nur Tochter von Beruf.“ 2016 überschreibt der Senior ihr seine Anteile. Mutter Helga bleibt unterdessen weiter im Unternehmen und steht der Tochter bis heute zur Seite.

Viele Entscheidungen werden bis heute zusammen besprochen – aber getroffen werden sie von Julia Jungbeck-Ucar. „Alle geben ihren Senf dazu“, sagt sie. „Aber am Ende lassen sie mich machen.“ Und die junge Chefin macht: Sie gründet eine Premiummarke und baut den Onlineshop auf, beide leisten heute einen wichtigen Beitrag zum Umsatz. Sie heiratet, bekommt zwei Kinder und feilt weiter am Marken-Auftritt: Die Plastikbecher, einst ein Erkennungszeichen, werden durch wiederverwendbare Gläser ersetzt, tonnenweise Plastikmüll eingespart, ökologische Papierlabel eingeführt und eine eigene Marketingabteilung aufgebaut. Der Vater, heute 77, schaut stolz zu.

„Wir haben immer schon zusammengehalten, das ist so bei uns“, sagt seine Tochter. Davon hat sich auch die Jury des Thüringer Gründerpreises „ThEx-Award“ überzeugt. Sie prämierte die Jungbecks vorigen Herbst als bestes Nachfolge-Gespann. Vom Preisgeld will die Familie im August ein großes Jubiläumsfest ausrichten: 30 Jahre Altenburger Senf.

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: Altenburger)

Veröffentlicht: 21. März 2022

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