Holger Sasse, Inhaber NOVO-TECH
MITTELSTAND / BRANCHEN

Sägespäne statt Tropenholz

Mit Terrassendielen aus Holzresten läuft der Unternehmer Holger Sasse Bangkirai-Holz aus den Tropen den Rang ab. Ab 2022 will er für die Produktion zudem Windradflügel recyceln. Sasse beschäftigt die Idee der echten Kreislaufwirtschaft unter dem Stichwort Cradle to cradle – und bald mehr als 200 Menschen in Aschersleben.

Eigentlich ist Holger Sasse ein Unternehmertyp alter Schule: Studierter Bauingenieur zu DDR-Zeiten, gründete er am 1. Juli 1990, dem Tag der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, seine eigene Firma: Sasse Baukonzepte. Sein Betrieb entwirft Fabriken und Firmensitze, er agiert unaufgeregt, unauffällig und erfolgreich. Seit einer Weile allerdings macht er etwas mehr von sich reden als früher: als Inhaber der Firma Novo-Tech in Aschersleben. Sie ist heute Europas größter Hersteller von Holzwerkstoffen für den Außenbereich, vor allem für Terrassendielen, Zaunelemente und Fassadenpaneele. Der Marktanteil in Deutschland beträgt mehr als 20 Prozent.

Das Besondere an den Produkten: Sie bestehen zu drei Vierteln aus Holzspänen, die in einem Sägewerk im Magdeburger Hafen anfallen. Der Rest sind Polymere, die die Produkte zusammenhalten. Sasses Mantra lautet: Für uns wird kein Baum gefällt. Er wolle seinen drei Kindern und fünf Enkeln ehrlichen Herzens in die Augen schauen und sagen können: Er habe enkelgerecht gewirtschaftet. Als der Unternehmer vor gut 15 Jahren sein neues Projekt startete, seien noch bis zu 180.000 Tonnen Bangkirai-Holz aus den Tropen zu Terrassen in Europa verarbeitet worden. Dagegen habe er etwas tun wollen, und sei aufgesprungen auf ein Projekt, das ein befreundeter Unternehmer begonnen hatte.

Fabrik aus der Luft – der Standort von NOVO-TECH in Aschersleben
Malerstar Neo Rauch hat seine alte Terrasse auf der berühmten Leipziger Baumwollspinnerei mit megawood restaurieren lassen

Mittlerweile werden in Aschersleben bis zu 35.000  Tonnen fertige Holzprodukte aus Sägeresten von heimischen Fichten produziert. Rund 1000 Fachhändler vertreiben seine Produkte unter dem Label megawood von Irland bis Zypern. Der Anteil der Holz-Kunststoff-Verbundwerkstoffe – kurz: WPC – sei im Terrassenmarkt seither deutlich gestiegen, der Marktanteil des Tropenholzes ging dementsprechend zurück. Mission accomplished! „Unsere Kernkompetenz sind Compound-Granulate mit einem Naturfaseranteil, der weltweit einzigartig hoch ist“, sagt Sasse. Dafür habe Novo-Tech eine eigene, patentierte Mischtechnologie entwickelt, die zertifizierte, schadstofffreie Produkte garantiere.

Und damit nicht genug. In direkter Nachbarschaft zu seiner Fabrik im Ascherslebener Industriegebiet baut Sasse derzeit einen weiteren Produktionsstandort auf: die Novo-Tech Circular. Ab Anfang 2022 will er dort alte, glasfaserverstärkte Kunststoffflügel von Windkraftanlagen aufbereiten, die große Mengen Epoxidharze enthalten. Aus ihnen will er wieder Kunststoffe gewinnen und weiterverarbeiten zu neuen Terrassendielen – ein Musterbeispiel für ökologische Kreislaufwirtschaft. Bislang werden die Rotorblätter zerkleinert und als Brennstoff verwendet, künftig aber werden sie recycelt. Zum ersten Spatenstich der nachhaltigen Großinvestition kam eigens Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD). Wenn die Produktion mit weiteren 40 Mitarbeitern startet, wird die Novo-Tech-Gruppe bereits rund 220 Beschäftigte haben.

Blick in die Zukunft - so soll der neue Standort der NOVO-TECH Circular 2022 aussehen
Heutiger Blick - die Baustelle für die Novo Tech Circular Ende November 2021

Trifft man Holger Sasse im Besprechungszimmer seiner Fabrik, kommt er schnell auf seine Firmenphilosophie zu sprechen: „Cradle to cradle“ lautet das Zauberwort. „Was andere Abfall nennen, war für mich als ehemaliger DDR-Bürger schon immer Sekundärrohstoff“, sagt Sasse und fordert: „Wir müssen endlich anfangen, schon beim Design von Produkten mitzudenken, was nach ihrer Lebensdauer aus den Stoffen werden kann.“ Auch viele Kunststoffe seien wieder einsetzbar und könnten den Rohstoff von morgen bilden – so wie seine Terrassendielen. Sie halten bei guter Pflege 20 bis 30 Jahre, dann werden sie dank der verwendeten thermoplastischen Kunststoffe wiederverwertet. Ebenso wie das Holz aus dem Sägewerk.

„Rohstoffe wie Holz müssen im Stoffkreislauf bleiben und dürfen nicht für Energie und Verkehr verfeuert werden“, sagte Sasse. „Wir müssen unseren Kohlenstoff auf der Erde erhalten. Sonst sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen.“ Auch beim Sägewerk im Magdeburger Hafen wurde erst durch den Kauf einer Anlage verhindert, dass die Späne nur noch zu Pellets verarbeitet und verbrannt werden. Die Produktion seiner Verbundwerkstoffe läuft ausschließlich mit Ökostrom. „Wir kaufen 100 Prozent Strom aus norwegischer Wasserkraft“, sagt er. „Aber physisch bekommen wir den Strom von den Windrädern rings um Aschersleben.“

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Gern verschenkt Sasse seinen Gästen ein Buch des prominenten Verfahrenstechnikprofessors Michael Braungart und seines Kollegen William McDonough mit dem Titel: „Cradle to Cradle. Einfach intelligent produzieren.“ Ihre Kernthese: In Zukunft gibt es nur noch zwei Arten von Produkten: Verbrauchsgüter, die biologisch abbaubar sind, und Gebrauchsgüter, deren Grundstoffe sich in endlosen technischen Produktionskreisläufe immer wieder komplett recyceln lassen. Es sind zugleich hochprofitable und gesunde Produkte. Cradle to cradle – von der Wiege zur Wiege – ist das Ideal einer Welt ohne Abfall.

Im Sommer 2020 hat sich Novo-Tech von Braungarts Epea-Institut zertifizieren lassen. Für die Materialgesundheit seines Holzwerkstoffs erhielt er den „Platin Level“ – gesünder geht es nicht. Für die Recyclingfähigkeit, den Einsatz erneuerbarer Energien, das Wassermanagement und soziale Gerechtigkeit gab es Gold. „Ich wollte sicherstellen“, sagt der innovative Unternehmer, „dass keine Stoffe aus unseren Terrassendielen in die Knochen gehen.“

Nachhaltig wie die Firmenphilosophie ist bei Familie Sasse auch die Firmenführung: Zwei Kinder des Gründervaters arbeiten bereits in der Leitung seiner Baufirma, der dritte Sohn ist Betriebsleiter und Prokurist bei der Novo-Tech. Cradle to cradle gilt offenkundig auch im Management.

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: NOVO-TECH)

Veröffentlicht: 9. Dezember 2021

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