EDL-Geschäftsführer Michael Haid
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Vorreiter für grünes Fliegen

Der Leipziger Anlagenbauer EDL hat sich in mehr als 100 Jahren einen guten Namen als Technologieanbieter für Raffinerien und die Chemieindustrie gemacht. Nun beginnt auch in der Prozessindustrie das neue, klimaneutrale Zeitalter: Das Unternehmen bereitet in der alten Braunkohleregion die weltweit größte Anlage für CO2-freies Kerosin vor – produziert mit grünem Strom.

Deutlicher könnte der Wandel aus der alten fossilen in die neue CO2-freie Welt kaum ausfallen: Ausgerechnet im Industriepark Böhlen-Lippendorf im mitteldeutschen Braunkohlerevier soll die Zukunft des grünen Fliegens beginnen. Der Leipziger Anlagenbauer EDL plant auf der grünen Wiese direkt unter den 170 Meter hohen Schornsteinen des Braunkohlekraftwerks Lippendorf eine Anlage zur industriellen Produktion von CO2-freiem Kerosin.

Mit grünem Strom sollen im sogenannten „Hykero-Projekt“ ab 2026 oder 2027 mindestens 50.000 Tonnen synthetischer Flugtreibstoff hergestellt werden. „Es wäre die weltweit größte, kommerzielle Anlage dieser Art“, sagt EDL-Geschäftsführer Michael Haid. Bislang gebe es nur kleinere Forschungsanlagen für grünes Kerosin, das mit Ökostrom hergestellt wird. Künftig soll in Lippendorf die kommerzielle Massenproduktion für diese Art E-Fuels beginnen.

EDL, vor allem ein Planer und Technologieanbieter für Raffinerien und die Chemieindustrie im In- und Ausland, könnte zukünftig Frachtflieger und Passagierflugzeuge am Flughafen Leipzig-Halle beliefern. Als Nebenprodukt sollen außerdem bis zu 14.000 Tonnen Rohbenzin entstehen. Dazu soll grüner Wasserstoff hergestellt werden, der in der Region auch für die Industrie und wasserstoffbetriebene Fahrzeuge bereitgestellt werden könnte. Die konkreten Planungen laufen bereits, die Patente sind angemeldet und die Anträge gestellt, das Baufeld ist frei. Die Bauarbeiten sollen bis Ende nächsten Jahres beginnen.

Für das Projekt kann EDL auf eine lange hauseigene Tradition und Erfahrung im Anlagenbau zurückgreifen. Schon 1910 gründete Lazăr Edeleanu die erste Allgemeine Gesellschaft für chemische Industrie, sie ging später in der Deutschen Erdöl AG (DEA) und der Texaco auf. 1991 entstand die EDL mit Mitarbeitern des früheren Chemieanlagenbaukombinats Leipzig-Grimma. 2003 kam die EDL unter das Dach der Pörner-Gruppe aus Wien. „Prozesstechnologien in Raffinerien und der chemischen Industrie“, sagt Haid, „gehören seit mehr als 100 Jahren zu unseren Kernkompetenzen.“ Es kam also alles zusammen.

Im Industriepark Böhlen-Lippendorf sollen mit grünem Strom im sogenannten „Hykero-Projekt“ ab 2026 oder 2027 mindestens 50.000 Tonnen synthetischer Flugtreibstoff hergestellt werden.

Gebaut werden soll zugleich ein Elektrolyseur mit 110 Megawatt Leistung, der ab 2026 den grünen Wasserstoff erzeugen soll. Aus Wasserstoff und nachhaltigen Kohlenstoffquellen wird dann in mehreren Prozessstufen synthetisches Kerosin hergestellt. Danach soll es mit fossilem Kerosin gemischt werden. Eine solche Mischanlage könnte ebenfalls im dortigen Industriepark entstehen, sagt Haid. All das passiert nicht ohne Grund: Die EU-Kommission fordert von Fluggesellschaften, die auf Flughäfen in der EU starten, dass sie dem Kerosin zunehmend nachhaltige Treibstoffe beimengen –  sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAF). Ab 2025 sind zunächst zwei Prozent gefordert, ab 2030 sechs Prozent und ab 2050 sogar 70 Prozent.

Dass die Wahl gerade auf Böhlen-Lippendorf als Standort fiel, habe mehrere Gründe, erklärt Haid. Neben der Nähe zum Kraftwerk und zum Dow-Chemiekonzern seien es die vorhandene Stromtrasse und der Gleisanschluss sowie die Nähe zum nur 30 Kilometer entfernten Airport. Außerdem ist Wasserstoff als Grundstoff in der Region seit Jahrzehnten verfügbar. EDL beschäftige sich schon lange mit grünen Kraftstoffen, erzählt Haid. Auch Studien zu erneuerbaren Kraftstoffen für Flughäfen wie in Rotterdam habe man schon erstellt. „Diese ziemlich einmalige Expertise ist in unserem Haus seit langer Zeit vorhanden“, sagt Haid.

Der Strom für die Kerosin-Produktion soll sowohl von großen Wind- und Photovoltaikanlagen der Region als auch von Offshore-Anlagen in der Nordsee und aus dem Ausland bezogen werden. Denn die Anlage, so rechnet Haid, benötige 120 Megawatt Leistung. Einen hohen dreistelligen Millionenbetrag plant EDL für die Investition, zurzeit würden die Angebote der Zulieferer eingeholt. Rund 80 Prozent der Kosten will das mittelständische Unternehmen zusammen mit Investoren schultern. 20 Prozent sollen durch Fördermittel im Rahmen des europäischen Wasserstoffprogramms IPCEI von Bund und Land hinzukommen. Haid: „Wir genießen für das Projekt die volle Unterstützung sowohl vom Freistaat Sachsen als auch von der Bundesregierung.“

Und das Projekt könnte erst der Anfang sein. Neben dem Hykero-Projekt im Leipziger Südraum sind vergleichbare Projekte an anderen Raffinerie-Standorten im Osten im Gespräch. Darüber hinaus hat EDL mit Partnern aus Brasilien im Rahmen des deutsch-brasilianischen Wirtschaftstages im April eine Absichtserklärung zum Aufbau einer wasserstoffbasierten Großproduktion für nachhaltigen Flugkraftstoff unterzeichnet. „Wind, Sonne und Biomasse sind in Brasilien ausreichend vorhanden“, sagt Haid. „Das Interesse in Brasilien ist groß.“ Die Produktion in Lippendorf solle auch deshalb schnellstmöglich aufgebaut werden, um eine Referenz- und Demonstrationsanlage für weitere Interessenten im In- und Ausland zur Verfügung zu haben.

„Wir sollten mit dem Markthochlauf so rasch wie möglich beginnen“, sagt Haid, „um nicht von internationalen Wettbewerbern abgehängt zu werden.“ Die USA etwa habe mit dem Inflation Reduction Act innerhalb kurzer Zeit sehr gute Instrumente zur Einsparung von Treibhausgasemissionen geschaffen, so Haid. Dort habe der Markthochlauf schon stark an Fahrt aufgenommen. Nun müsse auch die EU dringend sichere, rechtliche Rahmenbedingungen für die Technologien erlauben.

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: EDL)

Veröffentlicht: 25. Juli 2023

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