Johannes Wege, Geschäftsführer des HYPOS- Wasserstoffnetzwerkes.
MITTELSTAND / BRANCHEN

„Wir erleben ein immenses Grundrauschen“

Mitteldeutschland ist heute bereits eine führende Wasserstoffregion in Deutschland und Europa. Das liegt an der Jahrzehnte alten Tradition der Chemieindustrie in der Region – und sehr innovativen Projekten. Die Fäden laufen beim Netzwerk HYPOS zusammen, das mehr als 170 Firmen und Institutionen vertritt und den Aufbau einer flächendeckenden Grünen Wasserstoffwirtschaft vorantreibt. Johannes Wege, seit einem halben Jahr HYPOS-Geschäftsführer, blickt optimistisch nach vorn.

Unser FokusTalk vom 28. Juni 2023 zum Thema

Achim Oelgarth (Geschäftsführender Vorstand, OstBV) im Gespräch mit Johannes Wege
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OstBV: Mitteldeutschland gilt heute als eine der führenden Regionen für die Wasserstofftechnologie in Europa. Warum? Wo stehen Sie im nationalen und internationalen Vergleich?

Johannes Wege: Auf der Wasserstoff-Weltkarte sind wir längst ein dicker roter Punkt. Das liegt allein an der großen Nachfrage nach Wasserstoff, der in der Chemieindustrie der Region gebraucht wird, und das seit Jahrzehnten. Inzwischen betreibt die Linde AG hier den weltgrößten Elektrolyseur für Grünen Wasserstoff mit 24 Megawatt Leistung. Außerdem verläuft zwischen Leuna, Böhlen und Zeitz eines der beiden großen Wasserstoffnetze in Deutschland. Das Knowhow etwa im Maschinenbau, in der Verfahrens- oder Werkstofftechnik ist da, die Flächen sind da und die Akzeptanz für neue Industrie-Ansiedlungen ist größer als anderswo. Damit sind wichtige Grundlagen und enorme Standortvorteile vorhanden. Damit werden wir beispielgebend für Deutschland und Europa.

OstBV: In der aktuellen Entwicklung geht es neben der Chemieindustrie vor allem um neue Lösungen etwa in der Mobilität, bei der Energieversorgung und beim Heizen. Welche größeren Modelle und Projekte laufen bereits in der Region?

Johannes Wege: Wir sehen zurzeit eine Vielzahl von Leuchtturmprojekten, die auch international führend sind. Die Stadtwerke Leipzig haben im Winter ein hochmodernes Gaskraftwerk in Betrieb genommen, das gerüstet ist für Wasserstoff und den Anschluss an eine neue Pipeline in wenigen Jahren. Das BMW-Werk nutzt bereits 130 wasserstoffbetriebene Förderfahrzeuge für die gesamte Intralogistik und hat kürzlich den ersten Wasserstoffbrenner in der Lackiererei eingesetzt. Wir haben mit Sunfire in Dresden ein weltweit führendes Unternehmen für Elektrolyseure, das aktuell die Industrialisierung der Produktion aufbaut. Daneben bietet Kyros in Thüringen Elektrolyseure im Kilowatt-Bereich an. Die Fraunhofer-Gesellschaft betreibt hier namhafte Wasserstoff-Forschungszentren. Und die Liste ließe sich fortsetzen.

Die Leipziger BMW Werksflotte fährt mit Wasserstoff.
In der Leipziger BMW-Lackiererei werden jetzt Brenner mit Wasserstoff eingesetzt.

OstBV: Welche Vorhaben sind außerdem im Aufbau?

Johannes Wege: Eine ganze Reihe weiterer großer Projekte: Die Verbundnetz Gas AG VNG errichtet bis 2026 in Bad Lauchstädt einen Energiepark, in dem aus Windstrom grüner Wasserstoff erzeugt, in einer Salzkaverne gespeichert und in einer neuen Pipeline zu den Anwendern in Leuna transportiert wird. Das junge Unternehmen HH2E hat angekündigt, mit Spitzenstrom aus Wind und Sonne mit einer neuen hocheffizienten Technologie grünen Wasserstoff zu produzieren. Die Firma will Europas größten Solarpark am Hainer See nutzen, der bis Ende des Jahres entsteht. Die Straßenbahnmanufaktur HeiterBlick in Leipzig entwickelt Europas erste Straßenbahn mit Brennstoffzellen. Die Firma Faun-Viatec produziert in Grimma klimaneutrale Kehrfahrzeuge mit Wasserstoffbrennstoffzellen-Antrieb. Und in Leipzig wurde mit HINT.CO der erste Wasserstoffhändler für den Hochlauf des Marktes etabliert. Europas größte Strom- und Gasbörse EEX hat Ende Mai in Zusammenarbeit mit HYPOS den ersten Wasserstoffpreisindex „HYDRIX“ veröffentlicht. Das sind wichtige Neuanfänge. Wir hören derzeit ein immenses Grundrauschen, viele Player scharren mit den Hufen. Die Frage ist nur noch, wann es mit der industriellen Nutzung von grünem Wasserstoff im großen Maßstab so richtig losgeht.

OstBV: Welche Rolle spielt HYPOS dabei?

Johannes Wege: Gestartet sind wir vor zehn Jahren, um Industrieanwendungen zu erforschen, damals sind 45 Millionen Euro des Bundes in mehr als 30 Projekte geflossen. Jetzt geht es vor allem um den Auf- und Ausbau der Wasserstoffwirtschaft. Mittlerweile sind in unserem Netzwerk mehr als 170 Akteure gebündelt, darunter Braunkohleunternehmen wie Mibrag und LEAG, große Firmen der Chemieindustrie wie AirLiquide und Linde sowie Energieversorger, der Flughafen und DHL, BMW und Verkehrsbetriebe, Total mit ihrer Raffinerie, Siemens, Fraunhofer-Gesellschaften, TÜV und Dekra, Universitäten und Hochschulen. Neuerdings stoßen auch IT-Unternehmen zu uns, die die Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen konfigurieren und miteinander kommunizieren lassen, dazu Rohstoffhändler und Schwerlastlogistiker wie Mammoet für tonnenschwere Elektrolyseure. Wir verstehen uns dabei als Schaufenster für die komplette Wasserstoffwirtschaft: Wir stellen Beratung, Unterstützung und Lösungsanbieter beim Markthochlauf in der gesamten Wertschöpfungskette bereit.

OstBV: Welche Rolle können auch Banken in diesem Umfeld spielen?

Johannes Wege: Wir wünschen uns im Finanzsektor durchaus eine aktive Unterstützung, merken aber auch, dass wir dort noch Grundlagenarbeit leisten muss. Es fehlt noch an Erfahrungen mit diesen neuen Wasserstofftechnologien und dem wachsenden Industriezweig. Mitunter herrscht noch die Vorstellung vor, man habe es vor allem mit Start-up zu tun. Die gibt es in dem Bereich zwar auch. Aber hier sind vor allem etablierte Mittelständler zum Beispiel des Maschinenbaus und große Unternehmen unterwegs, die ihr Geschäftsfeld neu ausrichten und erweitern. Knowhow ist vorhanden und auch Fördertöpfe für Unternehmensinvestitionen stehen bereit.

Gas-Standort der Wasserstoff-Firma Linde in Leuna.
Eine Übersicht über die Kompetenzen des Reallabors Bad Lauchstädt

OstBV: Ohne den Import von Wasserstoff werden all diese Szenarien in Zukunft aber nicht aufgehen?

Johannes Wege: Leider ja. Für die Speicherung von erneuerbarer Energie gibt es zwar keine bessere Alternative. Aber die Ressourcen an erneuerbarem Strom werden für die großen Mengen des benötigten Wasserstoffs auch in Zukunft nicht ausreichen. Deshalb werden wir definitiv auf Importe angewiesen sein. Mitteldeutschland soll dabei durch neue Pipelines an die vorhandenen und zukünftigen Terminals an Nord- und Ostsee angebunden werden. Die Planungen laufen.

OstBV: Wie geht es aus Ihrer Sicht mit dem Wasserstoff weiter? Welche Rolle wird er künftig spielen?

Johannes Wege: Wir stehen vor einem fundamentalen Wandel vor allem in der chemischen Industrie, aber auch in den anderen Sektoren wie Mobilität, Energie und anderen Industrien. Wir werden eine Massenfertigung der Elektrolyse und den Ausbau der Infrastruktur sehen. Dadurch werden wir zu einem Wasserstoffmarkt kommen und die bisher sehr intransparenten Preise für grünen Wasserstoff werden deutlich fallen. Wasserstoff wird in Zukunft einen Anteil von zehn bis 35 Prozent am deutschen Energiemix haben. Dabei wird es auch mehr dezentrale Energielösungen geben, die Unternehmen und Regionen unabhängiger von fossilen Märkten machen. Die Stadt Staßfurt zum Beispiel will mit Grünem Wasserstoff energieautark werden. Das sind Vorreiter, die zeigen, wohin die Reise in Zukunft geht.

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: HYPOS)

Veröffentlicht: 20. Juni 2023

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