MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Aufbruch jetzt! Damit Deutschland ein starker Standort bleibt

Das Ende der Pandemie und der Krieg in Europa fordern neue Prioritäten in Wirtschafts- und Finanzpolitik
– Positionen des Ostdeutschen Bankenverbandes

Aufbruch ist dringend notwendig

Die Corona-Pandemie hat auch hierzulande ein Ende gefunden. Lange hat sie drängende wirtschaftspolitische Herausforderungen für Deutschland in den Hintergrund treten lassen und damit zugleich notwendige Reformen. Nun führt nicht zuletzt der Krieg Russlands gegen die Ukraine Deutschland schmerzhaft vor Augen, wie dringend es politischer Impulse und Weichenstellungen für einen attraktiven und leistungsfähigen Wirtschaftsstandort bedarf. Die Entscheidungslogik angesichts dieser Zäsur der europäischen Sicherheitsarchitektur muss lauten: Verteidigungsfähigkeit gründet auf ökonomischer Kraft, Kompetenz und Stabilität. Das gilt nicht allein aus strategischer Perspektive, sondern beginnt hier und heute. Nur so werden die Unternehmen das Corona-Tal rasch verlassen und zurück auf einen stabilen Pfad für mehr Wachstum und Beschäftigung finden können – den Eckpfeilern jeder Sicherheitspolitik.

Aufbruch gestalten

Aktuell sehen sich die Regierungen in Bund und Ländern mit stark geänderten Rahmenbedingungen konfrontiert. Nach Corona und angesichts des Russland-Ukraine-Kriegs kann es kein Weiter so geben. Beide Krisen wirken wie ein Katalysator des bereits vor 2020 stetig stärker wahrnehmbaren Reformbedarfs für den Standort Deutschland. Diese neue Lage bedarf neuer Antworten. Eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die auf die Wiedergewinnung ökonomischer Stärke und auf die Sicherung von Beschäftigung und Wohlstand in ganzer gesellschaftlicher Breite ausgerichtet ist, muss aus Sicht des Ostdeutschen Bankenverbandes neue Prioritäten setzen. Bundestag und Länderparlamente, Bundes- und Landesregierungen, die Verwaltungen auf allen föderalen Ebenen müssen gemeinsam mit ihren Institutionen der Wirtschaftsförderung einen echten Aufbruch starten.

Unternehmertum

Wie die Lage sich zeigt

Planungshorizont der Unternehmen von vielen Risikofaktoren geprägt

 

Das weiterhin hohe Trägheitsmoment in den internationalen Lieferketten wirkt fortgesetzt kostentreibend. Außerdem lassen die Zulieferengpässe viele Unternehmen ihr Netzwerk an Leistungspartnern überdenken. Dies kann Vorteile bringen, etwa durch eine Rückverlagerung von Lieferantenbeziehungen, wird aber eher strategischer Natur sein und geht ganz sicher nicht ohne Anpassungsfriktionen einher.

Erwartungs- und Planungsparameter haben sich durch die Corona-Krise für Arbeitgeber/innen wie für Arbeitnehmer/innen geändert: Die Pandemie hat bisherige Sicherheiten infrage gestellt, aber auch gänzlich neue Perspektiven eröffnet. Das Managen von Projekten aus dem Homeoffice lässt viele Fachkräfte bisherige Loyalitäten überdenken, was wiederum die Bindung von Leistungsträgern erschwert. Der Mittelstand berichtet überdies, dass die Nachfrage nach Job-Auszeiten bei den Beschäftigten noch nie so groß war wie heute – Corona stellt die Frage nach Lebensprioritäten neu.

Anderseits bewegt wiederum etliche Eigentümer/innen – erschöpft vom Manövrieren der Firma durch die Corona-Krise –, ob der Unternehmerberuf wirklich noch so attraktiv ist. Zumal die gesellschaftliche Wertschätzung weiter erodiert. Diese Frage stellen sich zugleich viele Jüngere, die potenziell in die Rolle des Unternehmers bzw. der Unternehmerin hineinwachsen könnten. Und das vor dem Hintergrund einer enormen Zahl übergabefähiger/-reifer Unternehmen hierzulande. In Ostdeutschland beispielsweise erreicht die komplette Nachwende-Generation der Gründer/innen langsam, aber stetig den Ruhestand. Diese Prioritätenverschiebung potenziert mithin die ohnehin gegebene Gefahr einer Ausdünnung der Unternehmenslandschaft – mit allen negativen Folgen für Arbeitsmarkt und Kommunalfinanzen.

Was für die Beschäftigungsseite gilt, lässt sich auch auf der Kapitalseite konstatieren: Das bereits vor Corona abgeschwächte Investitionsgeschehen hat weiter an Dynamik verloren. Aus der sich wieder und wieder geänderten Pandemielage sowie den ergriffenen Eindämmungsmaßnahmen resultiert im Unternehmenslager eine enorme Unsicherheit bei der Bewertung künftiger geschäftlicher Chancen sowie des geschäftlichen Umfeldes, gerade im Mittelstand, dem Rückgrat unserer Wirtschaftsstruktur. Zusätzlich zu dieser Beeinträchtigung der Erwartungsbildung hat die lange konjunkturelle Corona-Durststrecke ihre Spuren auf der Eigenkapitalseite etlicher Unternehmen hinterlassen. Diese aber ist das Fundament jeder Investitionsentscheidung.

Was zu tun ist

Unternehmer sind die besseren Investoren – aber Politik kann flankieren

Wer Unternehmer/innen fragt, was sie sich am meisten von „der“ Politik wünschen, wird zu jeder Zeit als Antwort erhalten: Verlässlichkeit. Sie ist die unabdingbare Grundvoraussetzung für unternehmerisches Planen. Auch wenn sich die Zeit-Horizonte der Sphären „Politik“ und „Wirtschaft“ unterscheiden und die Letzterer weiter in die Zukunft reicht, so muss es doch ein Zusammenfinden geben. Politische Entscheidungen sollten daher nicht immer wieder infrage gestellt werden. Hinzu kommt, dass Rahmenfaktoren wie bspw. Energieversorgung und -sicherheit langfristig stabil sein müssen. Zur Kostenseite tritt bei der Energiepolitik überdies noch Liefersicherheit hinzu: Bereits heute muss die politische Seite die Frage nach einer stabilen Erzeuger- und Netzarchitektur beantworten, damit Investitionsentscheidungen zugunsten des Standortes Deutschland getroffen werden.

Die Investitionsdynamik zu stärken, ist eine richtige wirtschaftspolitische Priorität. Nur sollten sich nicht Regierungen stärker in die Investorenrolle hineinbegeben, sondern diese Funktion liegt auf Unternehmer/innen-Seite. Die empirischen Daten sprechen eine klare Sprache: Laissez Faire bei der Schuldenfinanzierung investiver öffentlicher Ausgaben jenseits der Sicherung genuiner staatlicher Aufgaben wie etwa der infrastrukturellen Versorgung hat keinen echten oder andauernden Investitionsschwung gebracht. Mit Augenmaß regulierte Märkte und Finanzsysteme sind die besten Garanten für die Transformation des Kapitalstocks im Einklang mit den technologischen Möglichkeiten und Erfordernissen für reales Wachstum – damit Beschäftigung gesichert und ausgebaut sowie gesamtgesellschaftlicher Wohlstand gemehrt wird.

Ganz nach vorn auf die steuerpolitische Agenda gehört der Abbau von Kalter Progression und Mittelstandsbauch im Einkommensteuer-Tarif. Wenn Arbeitnehmer sich in den anstehenden Tarifrunden zurückhalten und sogar inflationsbedingte Reallohneinbußen in Kauf nehmen, um Beschäftigung zu sichern, darf der Staat nicht aus dem nominalen Lohnanstieg Nutzen für seine Einnahmenseite ziehen. Das wäre hochgradig ungerecht.

Politisch kluge Investitionsförderung kann mittels der Stärkung der Eigenkapitalbasis erfolgen. Auf Länderebene haben sich zahlreiche Schemata herausgebildet, die gerade in der Post-Corona-Phase stärker Anwendung finden sollten – in Abstimmung mit den Interessenvertretern der Unternehmen wie der Kreditwirtschaft.

Inflation

Wie die Lage sich zeigt

Inflation belastet Produktion und Verbraucher/innen

 

Die enorme Ausweitung der Geldmenge durch die EZB wird im Zusammenspiel mit den europaweit aufgelegten Corona-Hilfsprogrammen nachfragewirksam und treibt im Zusammenspiel mit Angebotsengpässen die Preise nach oben. Besonders die horrenden Energiekosten – zusätzlich befeuert durch Marktverwerfungen wegen des Russland-Ukraine-Kriegs – und zunehmend auch Kaufkraftverlust durch anwachsende Nahrungsmittelpreise hemmen die Wirtschaftsdynamik. Die Einschätzung eines nur temporären Inflationsanstiegs hat sich längst als Fehleinschätzung herausgestellt. Selbst wenn die Wirkung von Sonderfaktoren abflauen sollten, bleibt die Kernursache „Geldmengen-Wachstum“ erhalten. Angesichts der Restriktionen auf der realwirtschaftlichen Seite (Stichworte sind Investitionsschwäche durch Erwartungsunsicherheit, Fachkräftemangel oder Überregulierung von Märkten sowie einmal mehr Lieferschwierigkeiten) kann der Geldüberhang nur langsam durch Wachstum des Güterangebots absorbiert werden. Mit anderen Worten: Das Thema Inflation erledigt sich nicht von selbst, sondern fordert mindestens innerhalb der laufenden Legislaturperioden auf Bund- und Länderebene politische Antworten. Andernfalls haben Verbraucher/innen, Steuerzahler/innen und Sparer/innen ungerechtfertigte Lasten zu tragen.

Was zu tun ist

Inflation nicht klein reden, sondern Entlastung schaffen

Da die Grundursache der gegenwärtigen Preisdynamik die enorme Ausweitung der Geldmenge ist, wird es keine „Schnellreparatur“ geben können. Dennoch braucht es auch kurzfristige Entlastungen bei Haushalten und Verbraucher/innen sowie bei den mittelständischen Unternehmen. Die politischen Komponenten der Energiepreise sind ein guter Ansatzpunkt. Zur Minderung der Teuerung lediglich auf Umverteilung zu setzen, wird nur Strohfeuer entfachen und schon in der aktuellen Legislaturperiode versagen. Ebenso gilt: Wo auf Unternehmensseite Hinweise auf die Ausnutzung der eigenen Marktstellung zu Lasten der Gesamtheit stattfinden, gilt es diesen nachzugehen. Das heißt auch, die gesamtgesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen im Blick zu halten und notfalls regulatorisch nachzusteuern.

Auf mittlere Frist hilft zur Inflationsbekämpfung einzig und allein die Rückkehr auf einen stabilen und aufsteigenden Wachstumspfad, um die Güterseite der Volkswirtschaften in Europa mit der Nachfrage zu synchronisieren. Flexibilisierung, Entbürokratisierung, Rückbau von fiskalischen Lasten (eben der Kalten Progression) und von Marktbarrieren muss dabei das Hauptaugenmerk gelten. Im guten Dialog zwischen Politik und Wirtschaft werden tragfähige Lösungen erarbeitet, die den Interessen aller Seiten Rechnung tragen.

Zinspolitik

Wie die Lage sich zeigt

Nullzinspolitik nicht länger adäquat

Ein fundamental geänderter Rahmenfaktor sind die Konsequenzen der Geldpolitik. Nichts ist notwendiger als die Zinswende. Unter anderem Großbritannien und die USA haben sie bereits eingeleitet. Die EZB kündigt für den Sommer ihren Einstieg in eine neue Phase der Zinspolitik an. Der Euroraum mit seiner heterogenen Produktivitätsverteilung und den divergierenden Fiskalkulturen wird sich schwerer tun mit einer Rückkehr zur Zinsnormalität. Dennoch gilt: Notenbankpolitik muss in der Breite der Industrieländer aus dem Krisenmodus herausfinden und wieder der Zentralbank-Rolle des nüchternen und von fiskalischen Nöten unbeeindruckten Sachwalters von Preisstabilität gerecht werden. Hinzu kommt im Euroraum mit seiner alternden Bevölkerung und der daraus resultierenden Notwendigkeit einer größeren Kapitalintensivität des Wirtschaftens, dass Zinsen ihrer Lenkungsfunktion in die jeweils optimalen Investitionen gerecht werden müssen.

Was zu tun ist

Auch im Euroraum Zinswende einleiten – jetzt

 

Die EZB sollte sich entschlossen in die Phalanx der Notenbanken einreihen, die die akkommodierende Geldpolitik in robuster Weise verlassen und mit positiven Zinsen der Geldschöpfung wieder einen Preis geben. Damit wird auch die Allokation knapper Ressourcen in die beste Investitionsverwendung so gesteuert, wie es für anhaltende Wachstumsimpulse erforderlich ist.

Die historische Erfahrung aus Phasen anhaltend hoher Inflationsraten hat gezeigt, dass es deutlicher, fortgesetzter und klar kommunizierter Anhebungsschritte bei den Zinsen braucht. Priorität muss die Stabilisierung der Inflationserwartungen haben; das konjunkturelle Moment tritt hierfür zeitweise zurück.

Angesichts der Unabhängigkeit der EZB bedarf es parallel eines klaren Signals der Fiskalpolitik im Euroraum. Eine Rückführung der Schuldenstände ist angesagt, nicht eine Veränderung der Schuldenregeln, die die fiskalischen Lasten weiter anwachsen lässt – nur um sie immer weiter auf künftige Generationen zu verschieben.

Fachkräfte

Wie die Lage sich zeigt

Ohne Fachkräfte kein Wachstum

 

85 Prozent der Unternehmen in Deutschland erwarten laut DIHK negative Effekte aufgrund des Fachkräftemangels. Mehrbelastung der bestehenden Belegschaft, entgehende Aufträge und steigende Arbeitskosten werden genannt. Insgesamt entwickelt sich die zunehmende Knappheit an qualifiziertem Personal zu immer stärker zu einem enormen Hemmschuh für Wirtschaftswachstum und Unternehmensstabilität. Dieses Facette tritt zu dem genannten Prioritätenwandel in der Folge der Corona-Pandemie hinzu.

Die Demographie ist einer der Haupttreiber dieser Entwicklung – wodurch klar wird, dass es schnelle Lösungen nicht geben kann. Da auch die Intensivierung des Kapitaleinsatzes, wie geschildert, verstärkt Restriktionen unterworfen ist (und in bestimmten Bereichen als Ausweg nicht beschritten werden kann, z.B. in vielen Dienstleistungsbranchen und im Handwerk), müssen auf der Personalseite selbst neue Wege beschritten werden.

Was zu tun ist

Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt zukunftsfest machen

Alle europäischen Volkswirtschaften, aber die Deutschlands in besonderem Maße, sichern ihren Wohlstand nur mit kontinuierlichem Produktivitätswachstum. Bildungspolitik in den Ländern, flankiert vom Bund, muss die Schäden in den Blick nehmen, die durch die Corona-Einschränkungen an Schulen und Universitäten entstanden sind – und sie schnell beseitigen. Neben der Kompetenzerhöhung in Kernfächern (mathematisch-technische Bildung, Sprachen etc.) gilt es, schon in der Schule wesentliche wirtschaftliche Grundlagen und Zusammenhänge zu vermitteln, aber auch Selbstständigkeit und Unternehmertum als mögliche Karrierewege klar zu benennen. Die duale Berufsausbildung, einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren der deutschen Wirtschaft, bedarf größerer Wertschätzung. Die Rückkehr von holprigen akademischen Karrierewegen in Facharbeiterberufe muss weiter erleichtert werden, die dualen Ausbildungsstränge mit den akademischen stärker verzahnt werden. Eine auf die Qualifikationserfordernisse des Arbeitsmarktes ausgerichtete Zuwanderung flankiert die betrieblichen sowie ausbildungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zur Minderung des Fachkräftemangels.

Die Demographie ist einer der Haupttreiber dieser Entwicklung – wodurch klar wird, dass es schnelle Lösungen nicht geben kann. Da auch die Intensivierung des Kapitaleinsatzes, wie geschildert, verstärkt Restriktionen unterworfen ist (und in bestimmten Bereichen als Ausweg nicht beschritten werden kann, z.B. in vielen Dienstleistungsbranchen und im Handwerk), müssen auf der Personalseite selbst neue Wege beschritten werden.

Fazit

Politik kann nur dauerhaft Akzeptanz erringen, wenn sie die wirklichen Probleme der Menschen lösen helfen will. Die Formulierung einer wirtschafts- und finanzpolitischen Agenda entlang der aufgeführten Eckpunkte wird aus Sicht der Mitglieder des Ostdeutschen Bankenverbandes standortstärkend sein, weil sie realitätsbezogen ist.

Veröffentlicht am 13. Juni 2022

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