Achim Oelgarth, Geschäftsführender Vorstand | Ostdeutscher Bankenverband
MITTELSTAND | WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Corona-Schuldenberg abbauen trotz Schuldenbremse möglich

Der Volksmund bringt den Monat Mai bekanntlich mit einem Komplett-Neustart in Verbindung. So weit sind wir in der Corona-Pandemie leider noch nicht, aber es gibt Hoffnungszeichen: Inzidenzen sinken, Einschränkungen werden gelockert und es mehren sich die Stimmen, dass der Sommer gut werden wird.

Ein ermutigendes Signal aus wirtschaftlicher Sicht ist ganz sicher die anhebende Diskussion, wie mit den finanziellen Folgen der wiederholten Lockdowns für die öffentlichen Finanzen umgegangen wird. Noch laufen die Notprogramme zwar auf Hochtouren. Und sicher dürften die trotz aller großzügigen Hilfen angerichteten volkswirtschaftlichen Schäden nun mit Auslaufen des Insolvenzmoratoriums erst richtig erkennbar werden. Weiterer finanzieller Einsatz der öffentlichen Hand könnte nötig werden. Dennoch gilt: Nicht nur am Ende des Pandemie-Tunnels ist Licht zu sehen – am Schulden-Tunnel ebenfalls.

Für die Jahre 2020 bis 2022 türmen die kreditfinanzierte Corona-Hilfsmaßnahmen für alle öffentlichen Gebietskörperschaften, also Bund, Länder und Kommunen zusammen, einen Schuldenberg von 650 Mrd. Euro auf. Das ist mehr als der (bereits wegen der Pandemie erweiterte) aktuelle Bundeshaushalt. Allein dort stieg im Haushaltsjahr 2020 die Schuldenlast um 18 Prozent bzw. 215 Mrd. Euro. Zur Erinnerung: Der im November 2019 verabschiedete ursprüngliche Finanzplan der Bundesregierung sah ein Volumen von 362 Mrd. Euro vor. On Top kamen mit den Nachtragshaushalten also nur im vergangenen Jahr satte 60 Prozent – alles Kreditermächtigungen.

Das Muss einer nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschobenen Schuldenrückführung wird aber nicht allein durch das schiere Ausmaß der staatlichen Kredit-Stützung der durch die Pandemie abschmierenden Konjunktur begründet. Es ist der verfassungsrechtliche Rahmen, der hier zu handeln gebietet. Seit 2009 steht in den Artikeln 109 und 115 des Grundgesetzes die Schuldenbremse. Sie gestattet dem Bund nur in Ausnahmefällen und in streng begrenztem Rahmen, Haushaltsdefizite mit Krediten zu finanzieren. Die Länder dürfen im Grunde seit 2020 überhaupt keine Schulden aufnehmen.

Angesichts von Schuldenumfang und Schuldenbremse kommt die Suche nach Wegen, wie und vor allem bis wann der enorme Corona-Schuldenberg abgebaut werden soll, zur rechten Zeit. Am 26. September wird der Bundestag gewählt, die Regierungskarten werden neu gemischt. Da ist es fair, offenzulegen, welchen Abbaupfad man einschlagen will.

Gleich zu Beginn des Jahres testete Kanzleramtsminister Braun in den Medien die Idee eines Komplettabschieds von der Schuldenbremse, da andernfalls die Corona-Defizite nicht wirtschaftlich vertretbar abbaubar wären. Im Ergebnis erhielt er unverzüglich heftigen Gegenwind aus seiner eigenen Partei CDU. Im Frühjahr legten die Grünen nach. Sie schlagen einen Teilverzicht auf die verfassungsmäßige Begrenzung der Kreditaufnahme vor: für konsumtive Zwecke Bremse ja, für Investitionen gibt es nur noch das Gaspedal. Da die Linke die Verfassungsregel stets abgelehnt hatte und auch in der SPD die Kritiker wieder die Stimme erheben, hat die Schuldenbreme momentan keinen leichten Stand.

Diese Diskussion spiegelt sich auf Ländereben wider. In Sachsen beispielsweise äußert die Wirtschaft, aber auch der Landesrechnungshof Unbehagen mit dem jetzt zur Abstimmung anstehenden Doppelhaushalt 2021/2022. Die Kritik verknüpft den Plan des Freistaates mit der ab 2023 vorgesehenen Rückzahlung von Corona-Schulden. Da jetzt große Blöcke für Personal und gesetzlich fixierte Leistungen im Landeshaushalt geschaffen werden, die ja in kommenden Haushalten fortbestehen, wäre abzusehen, dass man nur bei Investitionen sparen könne. Das aber schade dem Standort.

Genau an dieser Stelle muss die Diskussion um den Schuldenabbau unter den Bedingungen verfassungsmäßiger Pflichten richtigerweise ansetzen. Öffentliche Investitionsausgaben sind nicht die stärksten Haushaltstitel. Auch wenn das methodisch nicht immer sauber zu handhaben ist, so muss man doch konstatieren, dass Deutschland seit Jahren einen Investitionsrückstand gegenüber anderen entwickelten Volkswirtschaften hat. Mittlerweile befürchten Beobachter, unser Land verliere nicht nur analoge Infrastruktur, sondern laufe Gefahr den Anschluss an die Digitalisierung zu verpassen.

Man muss aber nicht Schuldenbremse und dringend notwendige Investitionen gegeneinander ausspielen. Ein ehrlicher Blick auf die Mittelabflüsse für investive Ausgaben offenbart allzu oft, dass fehlende Planungs- und Projekt-Management-Kapazitäten auf Verwaltungsseite Investitionsvorhaben hemmen. Hinzu kommt eine Baubranche, die an der Kapazitätsgrenze fährt. Vor allem aber gilt: Auch unter Weitergeltung der Schuldenbremse lassen sich die erforderlichen Ausgaben für Infrastruktur, analog und digital, bewältigen.

Aus wissenschaftlicher Sicht, etwa vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) oder dem Ifo-Institut (für Sachsen), werden dafür Kompromissvorschläge unterbreitet: Die Schuldenbremse gilt weiter, wird aber flexibler gestaltet. Das Ergebnis: Längere Tilgungsfristen im Zusammenspiel mit moderater Öffnung der Verfassungsregel für leicht erhöhte Kreditaufnahme verbreitern die Spielräume der Politik, ökonomische Impulse zu setzen. Es fiele Deutschland leichter, aus den Schulden herauszuwachsen.

Solche Ideen sollten rasch aufgegriffen und in politische Form gegossen werden. Positiver Nebeneffekt: Dieser Ansatz entzieht der bereits einsetzenden unleidlichen Suche nach vermeintlichen Pandemie-Profiteuren oder andersartigen ideologischen Gegnern zum Zwecke höherer Besteuerung den Boden. Besser ist es, gleichzeitig an die kommenden Generationen zu denken und dabei die aktuelle Leistungsfähigkeit von Unternehmen und Bürgern nicht aufs Spiel zu setzen. Das erhält einen leistungsfähigen Standort Deutschland.

Veröffentlicht: 6. Mai 2021

OSTBV VERTEILER

Bleiben Sie informiert!

Jetzt haben Sie die Möglichkeit, sich in unseren Verteiler eintragen zu lassen. Somit sind Sie immer auf dem Laufenden, was Ostdeutschland bewegt.