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#Klartext

Der ostdeutsche Arbeitsmarkt aus der jungen Perspektive

49%, 57,1% und 64% – Es gibt wohl kaum andere Zahlen, die das Fachkräfteproblem im Osten besser ausdrücken können als die Abwanderungsquoten von Studierenden aus Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Die Studie stammt zwar aus dem Jahr 2019, hat mich bei meiner Recherche zu diesem Artikel aber immer noch schockiert. Zumindest in den ersten Sekunden, danach stellte sich ein Schulterzucken und leises „War ja auch irgendwie klar“ ein.

Immer wieder merke ich im Gespräch mit Kommiliton:innen, dass sie in Sachsen-Anhalt nur ihre Studienstadt Magdeburg kennen, von weiteren schönen Orten oder sogar regionalen Unternehmen ganz zu schweigen. Die Antworten „VW ist doch in der Nähe“ oder seit der Bekanntgabe im vergangenen Jahr „INTEL könnte ganz interessant werden, aber da bin ich sowieso schon wieder weg“ haben mich in meinem Eindruck leider immer wieder bestätigt. Die hiesige Wirtschaft ist, stellvertretend für die im gesamten Osten, überwiegend durch KMU geprägt und fällt demzufolge bei der jungen Generation schnell hinter den Großkonzernen aus ihrer Heimat zurück. Also ist die oft titulierte Generation Z einfach nur zu faul und desinteressiert?

Mein Werkstudium seit April 2021 hat mir auch die andere Seite aufgezeigt. Viele Unternehmer:innen aus den neuen Bundesländern beklagen die fehlenden Möglichkeiten, ihre Firmen bei den jungen Menschen vorzustellen und sich gegen die schlagkräftigeren HR-Abteilungen der Großunternehmen durchzusetzen. Es gäbe zwar Firmenkontaktmessen und ähnliche Formate, aber Studierende für das regionale Unternehmen zu begeistern, fällt ohne Eigeninitiative unheimlich schwer. Wo wir wieder bei der Schuldfrage wären – irgendeine Person muss es doch geben. Oder?

Am Ende ist das Fachkräfteproblem im Osten ein Thema, welches sich in den letzten Jahren durch viele Faktoren kumuliert vergrößert hat. Seit der Wende sind aufgrund struktureller Nachteile nur wenige Hauptsitze von Großunternehmen in den neuen Bundesländern entstanden oder hierher verlagert worden. Die Entscheidungskompetenzen und gut bezahlte Jobs liegen demnach immer noch überwiegend im westdeutschen Bundesgebiet. Hinzu kommt, dass die Professor:innen an ostdeutschen Hochschulen und Universitäten zum überwiegenden Teil eine westdeutsche Biografie und oftmals auch ihren Wohnort fernab der Arbeitsstelle haben. Plakativ gesagt: nach der Vorlesung geht es anstelle zu einer Firmenbesichtigung lieber schnell mit dem Auto auf die A2. Gastvorlesungen? Regionale Kontakte? Vermittlung von Praktika? Fehlanzeige. Auch hier mag sich der „schwarze Peter“ schnell gefunden haben, der lässt sich aber natürlich nicht auf alle Professor:innen pauschalisieren. Auch die sozialpolitischen Hintergründe sind ein Thema und werden insbesondere in den (natürlich westdeutsch geprägten) Medienhäusern gerne immer wieder aufgegriffen. Das Bild des „rechten Ostens“ mit „sozialistischen Plattenbauten“ ist auch bei vielen jungen Menschen im Kopf fest verankert und verschreckt insbesondere internationale Studierende aus anderen Kulturen.

Es bedarf jede:n Einzelne:n, um neben unseren „hidden champions“ auch die attraktiven Lebensbedingungen sichtbar zu machen. Das beste Marketinginstrument für den Osten sind wir selbst – also lasst uns selbstbewusst rausgehen und die positiven Geschichten erzählen!

Daniel Schüler
ehrenamtlicher Vorsitzender, N5 Symposium

Das resignierte Schulterzucken könnte sich nun abermals wiederholen, wäre da nicht noch das Fünkchen Hoffnung aus dem eigentlich längst erloschenen Feuer der Jungpioniere. Denn seit einigen Jahren zeigen engagierte Menschen und großartige Initiativen wie es gehen kann:

Wir brauchen einen besseren Austausch zwischen der jungen Generation mit der Wirtschaft und Politik. Und das mit einem wichtigen Ansatz – Rederecht für die Jugend! Ihre Meinungen und Wünsche müssen auch generationsübergreifend Gehör finden. Dadurch können die Herausforderungen und Bedürfnisse viel besser identifiziert, und Vernetzungsformate mit Unternehmen können besser umgesetzt werden – Bar statt Messehalle, Cocktail statt Kugelschreiber.

Wir benötigen Verständnis und Akzeptanz der neuen Werte und Einstellungen. Die Generation Z wird mit dem Prädikat „Weniger arbeiten, mehr Freizeit“ regelrecht abgestempelt, gerne auch als einfach gefundene Entschuldigung für die mangelnde Bemühung um den Nachwuchs im Unternehmen. Doch hinter den Schlagwörtern stecken wichtige Punkte, wie etwa die Identifikation mit den unternehmerischen Zielen und der Fokus auf die mentale Gesundheit. Homeoffice und Work-Life-Balance dürfen nicht belächelt werden, sondern können einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bieten.

Wir müssen die Scheuklappen absetzen und Netzwerke weiter ausbauen. Im westdeutschen Bundesgebiet wird die Karriere des Kindes beim Abendessen mit den Unternehmerfreunden geebnet, im Osten wird hingegen leider oft noch zu egoistisch gedacht. Auch der Nachwuchs kann durch eine verstärkte Zusammenarbeit profitieren, schließlich schaffen Netzwerke mehr Wahrnehmung für regionale Unternehmen und eine weitere Austauschmöglichkeit mit jungen Menschen. „Sachsen-Anhalt ist ein Dorf“ mag wie ein Affront klingen, ist aber vielmehr eine Stärke. Im Zuge des intensiveren Austauschs können die schnelle Entscheidungsfindung, kurze Wege und belastbare Kontakte ein großer Vorteil werden, der auch bei der jungen Generation Beachtung findet.

Eine solche Plattform bietet das N5 Symposium am 17. und 18. November in Erfurt, um mit ca. 300 engagierten jungen Menschen in Kontakt zu kommen und gemeinsam die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Ostdeutschland zu gestalten. Die lockere Atmosphäre im „Kontor“ schafft den passenden Rahmen für Podiumsdiskussionen, Unternehmensworkshops und Speeddatingformate.

 

N5 ist eine jährlich stattfindende Konferenz von Studierenden für Studierende. Im Fokus steht der Dialog zwischen führenden Persönlichkeiten aus Ostdeutschland mit der jungen Generation. In verschiedenen Panels, Workshops, Coffee-Chats können sich die Akteure vernetzen sowie über Herausforderungen der

In unserer Reihe KLARTEXT lesen Sie persönliche Meinungen und Denkanstöße.

Daniel Schüler ist 23 Jahre alt, kommt ursprünglich aus dem Ostharz und absolviert derzeit sein Masterstudium im Bereich Wirtschaftswissenschaft an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Neben dem ehrenamtlichen Vorsitz beim N5 Symposium leitet er im Netzwerk Sachsen-Anhalt verschiedene Projekte, um junge Menschen für das Hierbleiben zu begeistern.​

Veröffentlicht: 27. April 2023

*Transparenzhinweis: der Ostdeutsche Bankenverband unterstützt das N5-Symposium seit 2020 inhaltlich.

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