MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Deutschland im Spannungsfeld: 1. Die USA

(Ost-)Deutschlands Unternehmen sind relativ stark mit der Weltwirtschaft verbunden. Zunehmend stehen diese internationalen Verflechtungen aber auf dem Prüfstand: der Protektionismus steigt weltweit und neue Handelsallianzen bilden sich, ohne europäische oder transatlantische Beteiligung. Es entsteht der Eindruck, dass die Europäische Union zwischen den Stühlen zweier Blöcke steht: USA und China. Beide entkoppeln sich immer mehr voneinander und verlangen im steigenden Maße die Unterstützung ihrer Partner.

Wahr ist aber auch: eine Verschiebung von globalen Wirtschaftsgewichten scheint gesetzt. Laut einer Studie von Prognos werden bis dato zwar ca. 36 % der weltweiten Wirtschaftsleistung von Nordamerika, West- und Mitteleuropa erwirtschaftet, dieser Anteil sinkt aber bis 2040 voraussichtlich auf 29 % (s. Grafik). Gesamtwirtschaftlich sowie pro Kopf zulegen wird dagegen die Wirtschaftsleistung im asiatischen und pazifischen Raum. Bis 2040 wird diese höher sein als die von Nordamerika und West- sowie Mitteleuropa zusammen. Auf welches Pferd setzt man also?

Dieser INFOPORT setzt sich zunächst näher mit den USA und ihrer Bedeutung für (Ost-)Deutschland auseinander. China und dem (möglichen) Konzept der strategischen Autonomie Europas widmen sich die folgenden beiden INFOPORT-Ausgaben.

Die Handelsbeziehungen zu den USA

Die USA sind wichtigster Abnehmer deutscher Waren

 

Seit Jahrzehnten sind die USA in den Top-5 der Außenhandelspartner Deutschlands, auch wenn Trumps Präsidentschaft Spuren in den transatlantischen Beziehungen hinterlassen hat, die es erst wieder zu kitten gilt. Nichtsdestotrotz war das Land selbst 2020 wichtigster Abnehmer deutscher Waren im Wert von 104 Mrd. Euro. Auch mit Blick auf die Investitionen zeigt sich die Bedeutung der USA: 2019 flossen mit 391 Mrd. Euro knapp 30 % der deutschen Direktinvestitionen dorthin (in Form von Beteiligungskapital und Krediten). Andererseits investierten US-amerikanische Investoren ca. 57 Mrd. Euro in Deutschland, das macht ca. 10 % der gesamten ausländischen Direktinvestitionen (ADI) hierzulande aus (s. Grafik). Noch stärker zeigt sich die Bedeutung mit Blick auf Unternehmensverflechtungen: Knapp 11 % der deutschen Unternehmen in ausländischem Besitz hatten 2019 (teilweise) Eigentümer aus Übersee.

Buy American

Diese Zahlen zeigen, dass die USA als wirtschaftlicher Partner nicht an Bedeutung eingebüßt hat. Im Gegenteil: Unternehmensumfragen deuten an, dass die Geschäftserwartungen wieder im Aufwind sind. Das ist auch im Export spürbar. Die anziehende Nachfrage aus den USA ließen die Ausfuhren im Juni 2021 um ca. 40 % gegenüber dem Vorjahresmonat steigen. Unter Präsident Biden haben sich die transatlantischen Beziehungen also merklich erholt – Vertrauen und Zuversicht steigen.

TTIP 2.0 ist illusorisch

Dennoch ist es illusorisch zu glauben, dass ein ambitioniertes umfassendes Handelsabkommen im Sinne eines „TTIP 2.0“ möglich wäre. Denn neben der abweichenden Positionierung in Bezug auf China bestehen auch noch einige andere Konfliktpotentiale — etwa die unter Trump eingeführten Zölle auf Stahl und Aluminium oder der jahrzehntelange Streit um Airbus und Boeing. Für beides wurden zwar Übergangslösungen gefunden, ein endgültiges Ende der Probleme ist aber bisher nicht in Sicht. Außerdem stellt die Devise „Buy American“ die Partnerschaft vor Herausforderungen. Erst jüngst unterzeichnete der US-Präsident ein Dekret zur Ausweitung der bereits bestehenden Regeln. So wird u.a. bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand erwartet, dass ein bestimmter Teil der Wertschöpfung in den USA erbracht wird. Dieser Mindestanteil soll von den jetzt gültigen 55 % erst auf 60 % steigen, um bis 2029 sogar 75 % zu erreichen. Gerade diese Regel wäre für deutsche Unternehmen mit negativen Konsequenzen verbunden. Ganz konkret wird das Verhältnis auch durch die, de facto, Abschottung der Staaten im Reiseverkehr zur Bekämpfung von COVID19 getrübt, was Unternehmensbeziehungen stark erschwert.

Kooperationsmöglichkeiten

Zur Verbesserung der Beziehungen sollte man sich daher auf wichtige Kooperationsfelder konzentrieren. Hier gilt: strategische Zusammenarbeit in zentralen Politikfeldern und Wirtschaftsbranchen.

Strategische Zusammenarbeit nötig

Zunächst bestehen aus deutscher Sicht gemeinsame Standpunkte mit der US-Regierung hinsichtlich einer Reform der Welthandelsorganisation (WTO). Wurde dies unter Trump noch blockiert, kann nun insbesondere die Reform des Streitschlichtungsmechanismus und die Weiterentwicklung des Subventionsmechanismus angetrieben werden. Beides ist essenziell, damit die WTO ihren Aufgaben zur Stärkung des freien Welthandels wieder gerecht wird. Die (Wieder-)Einbringung der USA zeigt sich zudem bei der erfolgreichen Einigung zur Aushandlung einer globalen Mindeststeuer, auch wenn die konkrete Ausgestaltung neues Konfliktpotential bietet (Stichwort: Digital-Konzerne aus dem Silicon Valley und Seattle).

In der im März veröffentlichen neuen US-Handelsstrategie wird ein Schwerpunkt auf die Förderung von gerechtem Wirtschaftswachstum und eine verstärkte Unternehmensverantwortung gesetzt. Hierdurch bieten sich ebenfalls Möglichkeiten zur Zusammenarbeit in Bezug auf ein sogenanntes Lieferkettengesetz, wie es bereits in Deutschland verabschiedet und auf EU-Ebene vorbereitet wird.

Außerdem sind Kooperationen bei der Setzung gemeinsamer Technologiestandards im Rahmen der Digitalisierung möglich und nötig, insbesondere um hier nicht China das Feld zu überlassen. Etwa haben die Partner beim Streit um die 5G-Technologie bereits zusammengearbeitet. Ebenfalls ist die Einrichtung eines Handels- und Technologierates zwischen den USA und der EU ein erfreuliches Zeichen.

Im Kern der neuen Handelsstrategie, stehen aber für die Vereinigten Staaten die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie und die Stärkung ihrer wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit. Hier lassen sich zwischen den USA und Deutschland bzw. der EU gemeinsame Ziele definieren. Beispielsweise bestehen ähnliche Interessen bei der Versorgung mit kritischen Gütern (man beachte den Halbleitermangel, den Bedarf an seltenen Erden oder an Mikrochips).

Mit der neuen US-Regierung ergibt sich außerdem im Bereich Klimaschutz ein weiteres großes Kooperationsfeld. Der vom Präsidenten initiierte Klimagipfel unterstreicht, dass die USA wieder zurück im Boot im gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel sind. Nicht zuletzt ist in Bidens geplantem Infrastrukturpaket die Ausrichtung hin zu erneuerbaren Energien, E-Mobilität und Kreislaufwirtschaft gesetzt (s. Grafik).

Chancen für die Handelsbeziehungen

Insgesamt bestehen also mit den USA eine Reihe von Möglichkeiten, das Verhältnis wieder enger zu gestalten und in diesem Kontext auch Chancen zu erschließen. So könnten, zur Stärkung der eigenen wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit und zur Sicherstellung der Versorgung mit kritischen Gütern, transatlantische Unternehmenskooperationen sinnvoll sein. Außerdem würden gemeinsame Standards beim Thema Lieferketten gerade deutschen Unternehmen zugutekommen. Wettbewerbsverzerrungen könnten so vermieden werden. Ferner dürfte das billionenschwere Infrastrukturpaket mit hohen Investitionen in Verkehrsinfrastruktur, erneuerbare Energien und moderne Abwasserinfrastruktur für die Anbieter deutscher Spitzentechnologie lukrativ sein. Insbesondere im Anlagebau, im Bereich Clean Tech und in den erneuerbaren Energien gibt es hierzulande Weltmarktführer – auch Ostdeutschland hat hier einige „Hidden Champions“ und wesentliche Erfahrungen aufzuweisen.

Gestaltung der Rahmenbedingungen

Um die skizzierten Möglichkeiten gezielt nutzen zu können, bedarf es jedoch auch einer Flankierung durch die Politik. Es sollten also auf Landes-, Bundes- und europäischer Ebene die Rahmenbedingungen aktiv gestaltet werden, um Konfliktfelder mit den USA zu minimieren und Kooperationen bestmöglich zu ermöglichen. Mit Blick auf die Bundestagswahl zeigt sich: Das Gros der Parteien will die transatlantischen Beziehungen in Kernbereichen wieder intensivieren. Eine Entkopplung von den USA scheint aus Sicht der EU schwer möglich, denn die transatlantischen Beziehungen sind nicht nur an ökonomische, sondern auch an sicherheitspolitische Interessen geknüpft. Es verbindet uns eine historisch gewachsene enge Partnerschaft, fußend auf einem gemeinsamen Wertegerüst. Dies schließt auch das gemeinsame Vorgehen gegenüber dem Land der Mitte ein. Für die EU bleibt aber die Einbindung Chinas ein wichtiges „Soft Power“-Element, dessen Stärke nicht unterschätzt werden sollte. Es ist grundsätzlich geboten, Sanktionen nicht als einzige politische Handlungsoption einzusetzen, da diese auf Dauer das Wirtschaftswachstum aller nachhaltig schädigen.

Zudem sollte Deutschland weiter intensiv im Hochtechnologiebereich mit den USA kooperieren. China sollte nicht die Standardsetzung überlassen werden. Nur durch die gemeinsame Forschung und Entwicklung können im Wettlauf um Zukunftstechnologien und Innovationen die (noch) bestehenden Wettbewerbsvorteile ausgebaut und gesichert werden. Zeitgleich sollten aber auch europäische Innovationssysteme weiter gestärkt werden – etwa, wenn es um europäische Datensouveränität geht (Stichwort: GAIA X), um diese in Zukunft unabhängig von den USA sicherzustellen.

Ein weiterer zeitnaher politischer Schritt sollte sein, im Dialog mit den USA darauf hinzuwirken, bestehende Reisebeschränkungen und die eingeschränkte Vergabe von Arbeitserlaubnissen zügig zu verbessern, belastet dies nicht nur bestehende Unternehmensbeziehungen, sondern erschwert auch den Marktzutritt für neue Unternehmen.

Und für Ostdeutschland gilt: Die USA sind wichtige Handelspartner und hinter China zweitwichtigster Absatzmarkt für ostdeutsche Produkte mit einem Anteil am Export von 8 %. Eine klare strategische Ausrichtung im Außenhandel auch auf Bundesländerebene ist ein wichtiger Baustein, um die hiesige Wirtschaft zukunftssicher aufzustellen.

Der Blick der privaten Banken

  • Die USA sind – trotz Trump und COVID19 – wichtigster Abnehmer deutscher Waren und mit Abstand das Land Nr. 1 deutscher Direktinvestitionen.
  • Höhere Planungssicherheit unter der neuen US-Regierung und große Marktchancen durch das geplante Infrastrukturpaket, lassen die Geschäftserwartungen deutlich steigen.
  • Auch wenn Ostdeutschland nicht im gleichen Maße international eingebunden ist wie Gesamtdeutschland, so sind die Entwicklungen auch für die hiesige Wirtschaft wichtig. Auf Länderebene sollte Bundes- und EU-Politik aktiv mitgestaltet werden.

Ansprechpartnerin: Katja Einecke| katja.einecke@ostbv.de

Veröffentlicht am 26. August 2021