MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Deutschland im Spannungsfeld: 2. China

China erwies sich während des letzten Jahres als ein wesentliches Zugpferd für die globale wirtschaftliche Erholung und trug so maßgeblich zur schnellen Stabilisierung des deutschen Außenhandels bei. Schon länger ist der asiatische Wirtschaftsraum rund um das Reich der Mitte ein dynamischer, stetig wachsender Markt — ein Zugang hierzu scheint wirtschaftlich unabdingbar. Dabei baut China aber auch seit einiger Zeit mit Macht seine geoökonomische Rolle aus und Handelskonflikte mit diversen Ländern – so u.a. seit 2018 mit den USA – führen zu steigenden Friktionen im weltweiten Handel. Sein Wertegerüst sowie seine Wirtschaftspolitik kollidieren immer mehr mit europäischen Vorstellungen. Wie also mit dem Land umgehen?

Die Handelsbeziehungen

Die Beziehung zu der EU und Deutschland ist also ambivalent. Nichtsdestotrotz hat sich das Land seit seiner Öffnung für ausländische Investitionen Ende der 1970er zu einem der wichtigsten Handelspartner Europas entwickelt. Gingen 1995 lediglich ca. zwei Prozent der europäischen Exporte nach China, verfünffachte sich dieser Wert in knapp 20 Jahren auf zehn Prozent (s. Grafik). Auch ein Blick auf die globale Wertschöpfung der industriellen Produktion zeigt die wachsende Bedeutung für weltweite Lieferketten: Von knapp neun Prozent im Jahr 2005 stieg der chinesische Anteil bis 2018 auf ca. 28 Prozent; dagegen stagnierte der Wert für die EU bei ca. 17 Prozent.

China ist Exportpartner Nr. 1 für Ostdeutschland

 

China ist seit fünf Jahren auch Deutschlands wichtigster Handelspartner: 2020 wurden Waren im Wert von 213 Mrd. Euro zwischen beiden Ländern gehandelt. Für Ostdeutschland zusammengenommen ist das Land ebenfalls Exportpartner Nummer 1 mit einem Exportanteil von knapp zehn Prozent im Jahr 2020 und hat damit die USA überholt. Das spiegelt sich auch in den Aktivitäten der hiesigen Wirtschaftsverbände wider, u.a. dem jüngst gegründeten „China-Netzwerk“ in Thüringen.

Betrachtet man zudem die ausländischen Direktinvestitionen (ADI), fällt zwar das absolute Volumen chinesischer Investments in Deutschland mit ca. 3,7 Mrd. Euro wesentlich geringer aus als dasjenige der USA oder gar der anderen EU-Länder (s. Grafik), aber die ADI aus China sind dafür von überdurchschnittlicher Dynamik geprägt.

Dual circular economy

Gleichzeitig verfolgt die chinesische Regierung intensiv das Ziel, in der internationalen Wertschöpfung aufzusteigen – also den Sprung von der Zulieferer- hin zur Headquarter-Funktion zu schaffen (siehe dazu auch den INFOPORT zur Seidenstraße von 2019). Ganz in dieser Linie verläuft der 14. Fünfjahresplan; darin enthalten sind die Pläne eines „doppelten Wirtschaftskreislaufes“.

Im Kern soll die chinesische Wirtschaft – auch mit den Erfahrungen der Pandemie und durch wachsende internationale Konflikte bedingt – widerstandsfähiger werden. Ziel ist ein weitgehend unabhängiger und vollständiger Binnenmarkt, bei gleichzeitig hoher Exportorientierung. Das heißt konkret: den eigenen Binnenmarkt durch Strukturreformen stärken und damit die Kaufkraft im Land erhöhen sowie die Zuordnung von Arbeit und Kapital hin zu Branchen mit höherer Wertschöpfung steuern. So will man graduell ausländische Produkte und Technologien durch chinesische ersetzen können. Damit einhergehend hat das Reich der Mitte ambitionierte Ziele für nahezu alle Wirtschaftsbereiche vorgelegt. In seiner Industriestrategie sind zehn Kernbranchen definiert, in denen man schrittweise bis 2049 die Technologieführerschaft im Weltmarkt übernehmen will. Eine Analyse der MERCIS Stiftung China verdeutlicht dabei das „typische“ Vorgehen Chinas, um die eigenen industriepolitischen Vorgaben zu erfüllen (s. Grafik).

Entscheidende Bedeutung kommt neben diesem inländischen „Kreislauf“ auch dem internationalen „Kreislauf“ zu: ADI sollen weiter ins Land fließen, die wirtschaftliche Integration im asiatischen Raum unter chinesischer Führung stetig vorangetrieben und der Ausbau chinesisch-dominierter Wertschöpfungsketten in Ländern der Seidenstraße-Initiative soll fortgesetzt werden.

Bewertung für (Ost-)Deutschland

Die neuen Pläne untermauern Chinas Anspruch auf Technologieführerschaft in zentralen Zukunftsbranchen. China ist längst nicht mehr nur die Werkbank der Welt und steht als Produktionsstandort zunehmend in direkter Konkurrenz mit Deutschland bzw. der EU.

Marktbarrieren werden eher zunehmen

Für den (ost-)deutschen Standort ist das in mehrerer Hinsicht bedeutsam: Einerseits kann die Förderung der chinesischen Kaufkraft, der Ausbau hin zu erneuerbaren Energien sowie die Erweiterung von Produktionskapazitäten kurzfristig die Absatzchancen deutscher Unternehmen steigern (Konsumgüter, Automobilindustrie, Maschinenbau, Clean Tech). Andererseits dürfte der chinesische Staat noch umfassender eigene Unternehmen schützen und durch u.a. Subventionen nationale Champions aufbauen. Entsprechend werden Markteinstiegsbarrieren wohl eher zu- als abnehmen. Mittelfristig ist damit zu rechnen, dass der Wettbewerb zu chinesischen Unternehmen steigt und europäische Technologien daher vom Markt verdrängt werden. Drittens, wird China in den genannten Kernsektoren seine Position stärken. Im Bereich der neuen Antriebstechnologien dominiert das Land zum Teil bereits jetzt Teile der Wertschöpfungskette. Zugleich wird bei Brennstoffzellen-Antrieben (gerade im Kontext mit Wasserstoff) eine Vormachtstellung angestrebt. Genau in diesen Branchen entwickelten sich in den letzten Jahren erfolgreiche Strukturen auch in Ostdeutschland. Hier verrät ein Blick auf Aufstieg und Fall der Solarzellenindustrie, wie der (ost-)deutsche Industriestandort in Teilen erneut gefährdet sein kann. Außerdem zeigen die momentanen Engpässe in zentralen Vorprodukten, wie beispielsweise Lithium, bereits bestehende Abhängigkeiten vom chinesischen Markt.

Europas neue China-Strategie - eine Antwort?

Zuletzt weckte der Abschluss des europäisch-chinesischen Investitionsschutzabkommens noch Hoffnung auf eine Handelsbeziehung auf Augenhöhe mit größerer Investitionssicherheit für europäische Unternehmen und mehr Transparenz bei staatlichen Subventionen. Kritik am Abkommen selbst und die Sanktionen zu Beginn des Jahres 2021 gegen China (die ersten seit 30 Jahren – aufgrund der Menschenrechtsverletzungen an der uigurischen Minderheit), lassen jedoch zweifeln, ob das Abkommen durch das EU-Parlament (EP) je ratifiziert wird.

Jüngst – wohl auch aufgrund der Erfahrungen in der Corona-Pandemie – veröffentlichte das EP ein Papier mit dem Ziel einer neuen China-Strategie. Hierin wird der Europäischen Kommission empfohlen, eine „entschlossenere, umfassendere und konsistentere China-Strategie […] zu entwickeln“ (s. Grafik). Im Kern will man die Einheit der EU gegenüber China sichern. Außerdem wächst die Einsicht, die Union stärker als geopolitischen Akteur auszubauen.

Gestaltung der Rahmenbedingungen

Dieses Umdenken ist ein wichtiger und richtiger Schritt. Ein koordiniertes europäisches Vorgehen ist zentral im Umgang mit China und wird aussichtsreicher. Europa ist eben auch für das Reich der Mitte einer der wichtigsten Handelspartner. Dieses politökonomische Gewicht sollte nicht durch unterschiedliches Handeln einzelner Mitgliedsstaaten untergraben werden. Gerade mittel-osteuropäische Länder müssen wieder ins Boot geholt werden, denn ein gemeinsames Vorgehen ist essentiell. Auch eine Begrenzung der Einflussnahme Chinas (z.B. im Rahmen der Seidenstraßeninitiative) auf europäische Länder ist nötig.

China nicht Standardsetzung überlassen

Des Weiteren besteht die Gefahr, dass China gerade im digitalen Bereich zum eigenen Vorteil internationale Standardsetzung vorantreibt. Diese sollte aber  innerhalb der WTO ausgehandelt werden. Sollte es doch noch zu einem Investitionsabkommen zwischen der EU und China kommen, gilt es mit Nachdruck daran zu arbeiten, den eingeschränkten Marktzugang für europäische Unternehmen in China (gegenüber der allgemeinen Offenheit des EU-Marktes) aufzulösen. Daneben ist es aus europäischer Sicht notwendig, Investitionen in Bereichen kritischer Infrastruktur sowie Forschungskooperationen achtsam zu prüfen und eigene Innovationen zu schützen.

Insgesamt bleibt es aber wichtig, mit China zu kooperieren. Gerade in Zukunftsthemen, wie der Einstellung auf den Klimawandel und dem Umsetzen einer globalen Kreislaufwirtschaft braucht es die Zusammenarbeit mit dem Land. Ergo: Handel ja, aber nicht um jeden Preis und mit mehr Selbstvertrauen auf die eigene wirtschaftliche Stärke!

Nicht zuletzt ist es für Unternehmen geboten, weiterhin die Absatzchancen mit China zu nutzen und innerhalb des bestehenden Systems zu arbeiten. Mittelfristig sollte man sich aber auf Veränderungen und stärkeren Wettbewerb einstellen. Insofern wird der hiesige Mittelstand seine Transformation hin zu einer digitalen und klimaneutralen Wirtschaft nutzen müssen, um seine Lieferketten zu diversifizieren sowie auch ambitioniert weitere Absatzmärkte in den Blick zu nehmen. Dies ist politisch zu flankieren. Auch außerhalb Chinas gibt es vielversprechende Zukunftsmärkte, z.B. Vietnam.

Auf dem Weg den ostdeutschen Mittelstand bei der Internationalisierung erfolgreicher aufzustellen, sind die privaten Banken mit ihren Finanzdienstleistungen, Absicherungen und internationalen Netzwerken erfahrene und leistungsstarke Ansprechpartner.

Der Blick der privaten Banken

  • China hat in den vergangenen Jahrzehnten ein enormes Wachstum verzeichnen können. Zugleich steht es als Industriestandort in zunehmender Konkurrenz zu Deutschland bzw. der EU.
  • Eine neue europäische China-Strategie ist geboten. Ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedsstaaten ist zwingend erforderlich.
  • Die chinesische Strategie des doppelten Wirtschaftskreislaufes birgt Chancen und Risiken für hiesige Unternehmen. Absatzchancen sollten weiterhin genutzt werden. Mittelfristig ist es aber notwendig, sich auf einen stärkeren Wettbewerb einzustellen, eigene Lieferketten abzusichern und neue Absatzmärkte in den Blick nehmen.

Ansprechpartnerin: Katja Einecke | katja.einecke@ostbv.de

Veröffentlicht am 04. November 2021