#FokusLand Brasilien: Banken- und Finanzsystem
Von Inflations-Gewinnen und Fintech-Erfolg
Geostrategie und Weltwirtschaft marschieren nicht mehr im Gleichklang. Das Pendel schwingt weg von Multilateralismus und Gleichberechtigung hin zu stärkerer Betonung nationaler Interesse. In diesem Umfeld muss die Exportnation Deutschland seine Außenwirtschaftsstruktur neu justieren – insbesondere das Gewicht Chinas. Andere Regionen auf dem Globus rücken (wieder) in den Fokus. Brasilien als größtes Land Südamerikas kann ein wichtiger Partner dabei sein. In seiner neuen Serie „FokusLand“ stellt der OstBV Brasilien näher vor. Nach einer Analyse zum Status quo von Politik und Wirtschaft des Landes folgt heute ein Überblick über das Banken- und Finanzsystem.
Der Name ist Programm: Real, so die Bezeichnung für die brasilianische Währung, ist eigentlich ein Adjektiv und bedeutet „wirklich“ oder “reell“. Und genau um Wirklichkeit ging es bei der Einführung des Real 1994. Die aktuelle brasilianische Währung ist das Produkt einer großangelegten Wirtschaftsreform, des Plano Real. Hintergrund dieser Generalüberholung des monetären und fiskalischen Systems war die seit den 1980er Jahren notorisch gewordene hohe Inflation mit Monatsraten von bis zu 80 Prozent. Die ökonomischen Strukturen hatten sich nach innen zwar an diese Situation angepasst, beispielsweise mit einer Preis-Indexierung der Löhne. Doch beseitigen konnten solche Maßnahmen die Inflationsursachen nicht: hohe Auslandsverschuldung und eine geringe Einbindung in die internationale Arbeitsteilung.
In einer beispielslosen Reihe von währungs- und finanzpolitischen Entscheidungen wurde zwischen 1993 und 1994 die alte Währung Cruzeiro (zu Deutsch: Kreuzer) nahezu reibungslos in den Real umgewandelt, nicht an einem Stichtag, sondern in einem gleitenden Prozess. Federführend war hier der damalige Finanzminister und spätere Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso. Sichtbarster Erfolg des Plano Real: Nur in wenigen Perioden stieg die Inflationsrate seitdem in den niedrigen zweistelligen Bereich. Aktuell liegt sie bei knapp 4 Prozent.
Für das Bank- und Finanzsystem hatte der Plano Real tiefgreifende Auswirkungen. Da zuvor die Einlagenzinssätze typischerweise unter der Inflationsrate lagen, sorgte die Preisentwicklung für kontinuierliche Gewinne. In der Spitze beliefen sich deren Umfang auf rund 4 Prozent des BIP bzw. auf bis zu 40 Prozent der Bankenerträge. 1994, nach Einführung des Real, sank der BIP-Anteil auf 2 Prozent und bereits ein Jahr später war die Ertragsquelle Inflation versiegt.
Ebenfalls ab Mitte der 1990er Jahre wurden die brasilianischen Banken in mehreren Phasen restrukturiert, der staatliche Einfluss eingeschränkt und der Marktzutritt für ausländische Institute erlaubt. Das heutige Banken- und Finanzsystem Brasiliens ist hochentwickelt. Einheimische private Institute koexistieren mit öffentlichen und Genossenschafts-Banken. Es gibt sozusagen ein brasilianisches Pendant zu dem Deutschland prägenden Drei-Säulen-Modell. Zudem sind zwei der Top-Ten-Banken ausländische Kreditinstitute: Santander und Citibank.
Zu diesen zehn wichtigsten Banken gehören weiterhin die privaten Institute: Itaú-Unibanco, Bradesco, Safra, BTG Pactual and Votorantim. Zwei sind in mehrheitlich öffentlicher Hand: Banco do Brasil (nicht zu verwechseln mit der Zentralbank Banco Central do Brasil) und die Caixa Econômica Federal.
Ausländische Institute haben es inzwischen schwer. Als in der Phase der Öffnung des Finanzsystems Brasiliens auch ausländische Banken ins Land kamen, war die wachsende Konkurrenz wohltuend für die Kundenseite. Allerdings blieben die alteingesessenen Häuser die Platzhirsche und bauten ihre Marktposition kontinuierlich aus. Viele Häuser aus Übersee wurden inzwischen von den nationalen Champions wegfusioniert, geblieben sind aber die bereits erwähnten Banken Santander, Citibank sowie ABN Amro oder HSBC. Deutsche Häuser verfügen teilweise über Repräsentanzen vor Ort, auf alle Fälle werden Corporate Finance und Trade Finance von in Deutschland beheimateten Teams bearbeitet, in Kooperation mit brasilianischen Korrespondenzbanken.
Wie potent der Bankenmarkt Brasiliens ist, zeigt sich daran, dass unter den zehn brasilianischen Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung sechs Banken sind. Spitzenreiter ist Itaú Unibanco mit fast 60 Mrd. US-Dollar (zum Vergleich: Deutsche Bank rund 20 Mrd. US-Dollar).
Unter den sechs befindet sich auch eines der weltweit wertvollsten Fintechs: Nubank. Das Startup mit Hauptsitz in Sao Paulo feiert in diesem Jahr 10. Geburtstag. Nubank, zu deren Investoren u.a. Berkshire Hathaway zählt, ist bislang nur im Retail Banking aktiv, wächst aber stetig und hat auch eine Dependance in Berlin. Eine der Gründerinnen, Cristina Junqueira, zählt zu den erfolgreichsten Unternehmerinnen Brasiliens. Nacheifern wollen ihr zahlreiche Gründerinnen und Gründer. Immerhin verfügt Brasilien unter seinen Fintechs über 17 Unicorns, also Startups mit einer Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar.
Innovationsfreudig gibt sich auch die brasilianische Zentralbank, Banco Central do Brasil (BCB). 2020 startete die BCB das Instant Payment System Pix. Innerhalb von weniger als drei Jahren wuchs Pix, das Echtzeit-Überweisungen zwischen Bankkonten ermöglicht, auf 150 Millionen User. Das Transaktionsvolumen stieg von 2021 zu 2022 um 110 Prozent, auf dann 2,1 Billionen US-Dollar. Mittlerweile kann man in jedem Taxi mit Pix bezahlen. Es wird von Experten als eine von zwei globalen Erfolgsstorys auf diesem Gebiet genannt – neben Unified Payment Interface (UPI) aus Indien.
Die Vergangenheit hat das Banken und Finanzsystem Brasiliens also lange und erfolgreich hinter sich gelassen. Nun wird das Tor zur Zukunft weit aufgestoßen. Brasilien ist also auch hier ein spannender Markt mit großem Potenzial.
Ansprechpartner: Dr. Alexander Schumann | alexander.schumann@ostbv.de
Veröffentlicht: 06. Juli 2023
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