#FokusLand Indien: Überblick

Riesenreich mit Ambivalenz und Ambitionen

Indien ist ein einziger Superlativ: 1,42 Milliarden Menschen, drei Millionen Gottheiten, zwei Millionen Tempel, 121 Sprachen. Seine Fläche von rund 3,3 Millionen Quadratkilometern macht Indien zum siebtgrößten Land der Erde. Die Partei des seit zehn Jahren amtierenden Premierministers Narendra Modi, die Bharatiya Janata Party, ist mit 170 Millionen Mitgliedern größte Partei der Welt. Indien steuert 60 Prozent zur Bevölkerung des Commonwealth of Nations bei, dem Zusammenschluss von Staaten mit historischer Verbindungen zum Vereinigten Königreich. Die Kolonialgeschichte mit Großbritannien hat das mittlerweile (seit 2023) weltweit bevölkerungsreichste Land in vielerlei Weise geprägt und beeinflusst noch heute die Verbindungen zu Europa und dem Westen.

Geopolitisch gibt Indien ein ambivalentes Bild ab. Auf der einen Seite sieht man sich in der Gruppe der BRIC-Staaten als Konkurrent zu den USA und Europa. Auf der anderen Seite will man gute Wirtschaftsbeziehungen mit der westlichen Hemisphäre. Zum BRIC-Partner China besteht ein eher angespanntes Verhältnis.

Diese Mehrdeutigkeit zahlt sich bislang aus. Gemessen am BIP ist das Land zwischen Himalaya im Norden und Kap Komorin im Süden ebenfalls auf dem Weg in die Weltspitze. Fast 3,8 Billiarden US-Dollar betrug die Wirtschaftsleistung 2023, was Rang Fünf weltweit bedeutet. In Kaufkraftparitäten gemessen kommt die Republik Indien, so der offizielle Staatsname, sogar im globalen Ranking auf den dritten Platz, hinter China und den USA. Das jährliche BIP-Wachstum liegt um die 7 Prozent.

Bei der Wettbewerbsfähigkeit kommt Indien im Ranking des International Institute for Management and Development (IMD) 2023 auf Platz 40, zwischen Portugal (39) und Italien (41). Deutschland landet hier auf Rang 22. Der bilaterale Handel zwischen indischen und deutschen Unternehmen belief sich im vergangenen Jahr auf rund 33 Milliarden US-Dollar. Indien belegte 2023 Platz 22 der Bestimmungsorte deutscher Warenexporte, bei denen Maschinen, Chemieprodukte und Elektrotechnik die dominierenden Warengruppen waren.

Interessant ist, dass Indien vom Muster des aufholenden Wachstums anderer Schwellenländer abweicht. Anders als z.B. in China und den asiatischen Tigerstaaten wird die wirtschaftliche Entwicklung Indiens weniger von Investitionen als vom Binnen-Konsum getrieben. Indien ist der viertgrößte Verbrauchermarkt der Welt. 70 Prozent des BIP stammen aus dem privaten Konsum – ein Koloss mit großer Selbstgenügsamkeit was die Möglichkeiten seines Binnenmarktes anbelangt.

Diese spezielle Facette bedeutet aber nicht, Indien würde weniger auf Industrie und Dienstleistungen setzen – im Gegenteil. Gerade die Vernetzung des indischen IT-Sektors mit dem Weltmarkt ist enorm. Der indische Luftverkehrsmarkt macht mit riesigen Flugzeugbestellungen Schlagzeilen und soll in knapp zwei Jahrzehnten weltweit die Nummer Eins sein. Denn momentan erreicht der Luftverkehrssektor ein Kundensegment von lediglich 4 Prozent der Bevölkerung – es ist also viel Luft nach oben, was die erwartete Dynamik wahrscheinlich macht.

Was die Industrie anbelangt, so sind rund 40 Prozent der Erwerbsbevölkerung in diesem Sektor beschäftigt, der für fast 30 Prozent des BIP verantwortlich zeichnet. Allein die Energieerzeugung nimmt weltweit Platz Drei ein. Das Wirtschaftswachstum wird flankiert durch einen Ausbau der Erzeugerkapazitäten: 56 Gigawatt werden in den kommenden Jahren in Form von Kohlekraftwerken hinzugebaut, 6 Gigawatt kommen mit neuen Kernreaktoren hinzu. Auch erneuerbare Energien werden gefördert, tragen aber aktuell nur marginal zur Deckung des Primärenergieverbauchs bei (Solar z.B. 4 Prozent).

Typisch für wichtige Industriebereiche wie Eisen- und Stahlerzeugung, Textilien, Baustoffe sowie Petrochemie und Automobil sind große Familien-Konglomerate. Sie haben ihren Ursprung in den 1950er und 1960er Jahren, als das gerade unabhängig gewordenen Indien mit einer Mischung aus Planwirtschaft und Industrieförderung rasch die Armut hinter sich lassen wollte und mit Industriellenfamilien eine abgestimmte Entwicklungsstrategie betrieb.

Die Plätze Indiens in den internationalen Rankings verschlechtern sich allerdings deutlich, wenn man Pro-Kopf-Daten heranzieht. Mit einem BIP pro Kopf von jährlich knapp unter 3000 US-Dollar nominal bzw. knapp unter 10.000 US-Dollar in Kaufkraftparitäten liegt das Riesenland im internationalen Vergleich auf den Plätzen 140 bzw. 125. Etwas mehr als drei Viertel der indischen Bevölkerung verfügt über weniger als zwei US-Dollar am Tag, bei einem Drittel ist es weniger als ein US-Dollar.

Ein Grund dafür ist, dass Indien trotz aller Riesen-Entwicklungsschritte ein agrarisch geprägtes Entwicklungsland ist. Die Landwirtschaft – der über Jahrhunderte dominierende Sektor – trägt zwar nur noch etwas weniger als ein Fünftel zum BIP beiträgt, doch haben über 45 Prozent der Erwerbsbevölkerung hier ihr Auskommen.

Und so kontrastieren im heutigen Bild Indiens moderne Riesenmetropolen wie Delhi, Mumbai oder Kalkutta mit dünn besiedelten und schwach entwickelten ländlichen Regionen. Gibt es ein Nebeneinander von Aufschwung und Verharren in Armut. Öffnet sich das Land für wirtschaftliche Kooperation und nimmt gleichzeitig für sich geostrategische Konkurrenz zu ökonomischen Partner in Anspruch. Aber so vielschichtig Indien auch ist, Riesenpotenzial hat es allemal, gerade für eine Exportnation wie Deutschland.

Ansprechpartner: Dr. Alexander Schumann  | alexander.schumann@ostbv.de

Veröffentlichung am 3. April 2024

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