MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Neustart der Wirtschaft im Zeichen von Lockerungen und Konjunkturpaket

Mehr als 16 Stunden dauern die Tage aktuell. Wir marschieren in Riesenschritten auf den Sommeranfang zu. Und passend zur Jahreszeit rückt das Thema Urlaub mehr und mehr in den Fokus. Natürlich anders als in den Jahren zuvor. Corona-Lockdown bedeutete in allen Fällen geschlossene Grenzen. Noch vor wenigen Wochen waren die Medien voll von Politiker-Statements, die einen Sommerurlaub in weite Ferne rückten. Je flacher allerdings die Infektionskurven wurden, desto schwächer fielen auch die Unkenrufe aus. Mittlerweile steht fest: In der EU werden am 15. Juni die Schlagbäume hochgezogen. Spanien will vierzehn Tage später die Grenzen für Touristen öffnen.

Auch wenn Einschränkungen und Hygieneregeln andauern, soll das Urlaubsgeschäft anlaufen. Für zahlreiche EU-Länder tut das auch dringend not. Die Tourismuseinnahmen machen dort einen stattlichen Anteil am Bruttoinlandsprodukt aus. Abbildung 1 gibt einen Eindruck davon. Die Zahlen stammen vom World Travel & Tourism Council. Andere Zahlen, etwa der OECD, fallen geringer aus. Die Proportionen aber stimmen überein.

Hotels, Bars, Strände, Museen, Vergnügungsparks oder was sonst noch zu einem gelungenen Sommerurlaub gehört ist vielerorts Jobmotor. Und der Tourismus ist ein Exportschlager: Kommen Ausländer zum Urlaubmachen irgendwohin, zählen ihre Ausgaben in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als Ausfuhren. In Portugal etwa trägt der Tourismus mehr als die Hälfte zu den Exporten bei.

Sommerurlaub ist natürlich nur ein Treiber für die weitere konjunkturelle Entwicklung. Aber das Wachstum kann für jeden Impuls dankbar sein. Nach den -2,2% für Q1 2020 y-to-y hierzulande fallen die ersten Datenmeldungen für den Beginn von Q2 gemischt aus. War der private Konsum in der Schwächephase der Industrie eine Kompensationsquelle für das Wachstum, so änderte sich das mit Corona. Die Einzelhandelsumsätze brachen aktuell in etlichen Bereichen des stationären Handels um 70 Prozent ein. Dank einiger Gegenbewegungen, so beim Onlinehandel (Umsatzplus von nahezu einem Viertel gegenüber Vorjahr) oder den Supermärkten (Zuwachs von real 8%) ergibt sich im Einzelhandel ein reales Minus von 5%. Wenn man bedenkt, dass im Mai bereits Lockerungen des Lockdowns eingesetzt haben, kann man vermuten, die Zahlen für den gerade zu Ende gegangenen Monat werden zumindest nicht schlechter ausfallen.

Wer vor diesem Hintergrund darauf hofft, die konjunkturelle Entwicklung hierzulande komme mit einem blauen Auge davon, dürfte zu weit gehen. Ein Kernbereich der deutschen Wirtschaft wie der Automobilsektor sieht sich dramatischen Umsatzeinbußen ausgesetzt. EU-weit sanken die Pkw-Neuzulassungen im Jahresvergleich um fast 40 Prozent; allein der April schlägt mit minus 76 Prozent zu Buche. Zoomen wir etwas näher und schauen auf eine Umfrage des regionalen Branchenvertreters automotive thüringen, so melden die Unternehmen des Sektors dort im Schnitt der beiden Monate März und April einen Umsatzausfall von 53 Prozent. Der Weg zurück auf Vor-Corona-Niveau dauert nach Sicht der meisten automotive-Firmen in Thüringen die kommenden zwölf Monate an. Drei Viertel werden wohl auch Jobs abbauen.

Noch ein Blick auf die Entwicklung weltweit, denn Auslandsmärkte sind für die Exportnation Deutschland von enormer Bedeutung. Die Corona-Pandemie hat die verschiedenen Exportzielländer zeitlich asynchron getroffen. In der Eurozone deuten die Konjunkturzahlen für Q1 und der teilweise weit dramatischere Verlauf der Corona-Pandemie auf eine BIP-Schrumpfung für 2020 von etwas über 10% hin.  Ein wichtiger Handelspartner wie China hat die Bodenbildung im Konjunkturverlauf schon hinter sich. Noch fallen die Schätzungen für das Gesamtjahr aber unterschiedlich aus und reichen von -1% bis zu einem leichten Plus von etwa 1,5% für das chinesische BIP 2020. Die USA ringen aktuell um eine schrittweise Normalisierung, haben aber das Schlimmste noch nicht hinter sich. Für das laufende Jahr dürfte ein Minus von sieben bis acht Prozent realistisch sein. Impulse für Deutschlands Exporteure von jenseits des Atlantiks bleiben wohl schwach. Das gleiche gilt für die Schwellenländer.

Die Bundesbank hat einen interessanten Indikator entwickelt, um die Konjunktur-Entwicklung so aktuell wie möglich zu erfassen: den Wöchentlichen Aktivitätsindex für die deutsche Wirtschaft (WAI). Aktueller Wert -5,75%. Erwartet man nun für Q2 eine Bodenbildung beim Konjunkturverlauf und nimmt für den Rest des Jahres eine zügige Erholung ab Q3 an, dann liegt das BIP-Minus in Deutschland für 2020 wohl um die 8% – hält die Schwächephase länger an, kann es tiefer gehen.

Bei diesen Aussichten ist es konsequent, wenn die Bundesregierung nun ein Konjunkturpaket geschnürt hat, im Umfang von 130 Mrd. Euro. Überraschend und mutig ist die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16%. Anders als punktuelle Kaufanreize wie etwa die ebenfalls im Vorfeld diskutierte Kaufprämie für Pkw sind mit der Steuersenkung keine Marktverzerrungen verbunden. Der Kunde entscheidet, nicht die Politik. Die Absenkung der EEG-Umlage sowie der Kinderbonus dürften gleichfalls den Konsum stabilisieren. 50 Mrd. Euro sind für die Förderung von Innovationen vorgesehen, unter anderem über die Steuerliche Forschungsförderung. Hier gilt genauso, dass man sich endlich einmal auf die Stärke des Marktes und das strategische Geschick der Unternehmen verlässt. Gut wäre es, zusätzlich noch Instrumente wie die degressive Abschreibung sowie ein unbürokratischer Verlustrücktrag (und damit die Aussicht auf Steuererstattungen) auf den Weg zu bringen. Auf alle Fälle erhöht aber bereits das nun beschlossene Konjunkturpaket die Chancen, dass sich die Wachstumsaussichten schon in der bevorstehenden Urlaubssaison wieder aufhellen.

Dr. Alexander Schumann

Alexander Schumann ist Volkswirt und Journalist und war zuletzt Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Er berät den Ostdeutschen Bankenverband in volkswirtschaftlichen Themen.

Veröffentlichung: 4. Juni 2020

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