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#Klartext

Start in den Politik-Herbst 2023: Aufbruchsagenda dringend gesucht

Die parlamentarische Sommerpause ist zu Ende. Anders als Kanzler Olaf Scholz sich das gewünscht hatte, war sie nicht von Geräuschlosigkeit zwischen den Ampel-Partnern geprägt. Um mit dem richtigen Team-Spirit in die zweite Halbzeit der Legislaturperiode 2021-2025 starten zu können, sollten sich die Koalitionäre bei ihrer Klausur auf Schloss Meseberg in dieser Woche zusammenraufen.

Vor einem Jahr habe ich an selber Stelle über dasselbe Ereignis geschrieben, es sei keine Zeit mehr für Aussitzen, Zupacken sei gefragt. Leider gilt das immer noch. Natürlich hat die Ampelregierung inzwischen Entlastungspakete verabschiedet, Stichwort „Doppel-Wumms“. Doch die wirtschaftlichen Daten geben keinerlei Anlass zu einem positiven Ausblick auf das zweite Halbjahr 2023. Genau zur Meseberg-Klausur kam die Meldung der aktuellen Preisentwicklung: Die jährliche Inflationsrate liegt bei 6,3 Prozent, nach 6,2 Prozent im Vormonat. Gerade die sich zur Gretchenfrage für die deutsche Wirtschaft entwickelnden Energiepreise verharren – trotz Rückgang gegenüber Vorjahr – auf hohem Niveau. Die Diskussion um den Industriestrompreis kommt also nicht von ungefähr.

Zudem stagnierte im Juli die Komponente „Kerninflation“, also jener Datenteil ohne Nahrungsmittel und Energie. Die Zahl verdeutlicht, wie stark der Preisauftrieb in die Gesamtwirtschaft „eingesickert“ ist. Noch sind die Finanzierungsbedingungen nur für einen kleinen Teil der Unternehmen herausfordernder geworden. Laut Bankenblick des OstBV gaben lediglich 8 Prozent der Unternehmenskunden an, die in kurzer Zeit deutlich gestiegenen Zinsen auf der Finanzierungsseite zu spüren. Doch solange die konjunkturellen Aussichten wenig optimistisch ausfallen, wird auch die Kreditwirtschaft bei der Risikobetrachtung vorsichtig bleiben oder sogar vorsichtiger werden müssen.

Hinzu kommt, dass sich der Arbeitsmarkt robust zeigt. Dies ist einerseits erfreulich, erhöht andererseits das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale – was wiederum die Inflation befeuert. Mit der Anhebung des Bürgergeldes um satte 12 Prozent kann die Regierung sicher sozialpolitisch punkten. Unternehmen, die händeringend Arbeitskräfte suchen, tut sie damit keinen Gefallen.

All diese Entwicklungen haben zusammengenommen dazu geführt, dass sich die Hoffnungen auf eine Anhebungspause bei den Leitzinsen verflüchtigt haben. Die verfestigte Inflation wird die EZB zu weiterem Handeln zwingen. Inzwischen gehen viele Beobachter für die EZB-Sitzung am 14. September von einem nächsten Zinsschritt nach oben aus.

Hohe Zinsen und hohe Preise sind schließlich auch jene Faktoren, die die nächste Baustelle der Ampel-Regierung geschaffen haben: den Wohnungsbau. Dieser ist nahezu zum Erliegen gekommen. In Dresden und Leipzig, den beiden sächsischen Städten, in denen die Mietpreisbremse in Kraft ist, wurden im Vorjahr 557 Sozialwohnungen fertiggestellt – Aufschwung nicht in Sicht. Diese Zahl steht exemplarisch für den wachsenden Mangel an Wohnraum in ganz Deutschland. Die Neubauziele der Bundesregierung aus dem Koalitionsvertrag sind in weite Ferne gerückt.

Vor dem Hintergrund dieser unbestreitbar herausfordernden wirtschaftlichen Lage haben die Ampel-Partner in Meseberg einen Zehn-Punkte-Plan für den Wirtschaftsstandort Deutschland auf den Weg gebracht. Er besteht aus ohnehin angekündigten Gesetzen wie jenen für mehr Wachstumschancen oder zum Bürokratieabbau, ergänzt um vage Punkte bei Themen wie Künstlicher Intelligenz, Beschleunigung von Planungsverfahren, Förderung von Startups. Ein für die Unternehmen absolut neuralgischer Punkt wie bezahlbare Energie findet sich zwar im Papier – allerdings ohne konkrete Maßnahmen dafür aufzuzeigen.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Die Krise, durch welche die Ampelregierung unser Land hindurchführen muss, ist strategischer Natur. Der Standort wird mit der Tatsache konfrontiert, fast zwei Jahrzehnte von der Substanz gelebt zu haben sowie mit Versäumnissen in der Energie- und der Außenhandelspolitik. Was die Koalition aus SPD, FDP und Grünen liefern muss, ist eine Aufbruchs-Agenda, kein Pflaster-Verteilen.

Eine Grundwahrheit im strategischen Management für den Krisenfall lautet: die Krise anerkennen. Wenn Olaf Scholz in Meseberg sagt, Deutschland habe zurzeit zu wenig Wachstum, dann irritiert das eher, als Aufbruchstimmung zu verbreiten. Deutschland wächst in diesem Jahr wohl überhaupt nicht, muss es realistischerweise heißen. Und für das Wachstumspotenzial zeigt der Pfeil in den kommenden Jahren ebenfalls nach unten.

Zweitens rät das Strategie-Handbuch: sich auf wenige Maßnahmen fokussieren, maximal drei. Warum also nicht jedem Ampel-Partner eine Strategiebaustelle zuordnen. Fachkräfte für die SPD, bezahlbare Energie für die Grünen, Abbau von Bürokratie- und Steuerlasten für die FDP. Jeder kümmert sich um das, was seiner Kern-Kompetenz entspricht. Seit der Zeitenwende im Februar 2022, also seit 18 Monaten, haben sich die Prioritäten in andere als vom Koalitionsvertrag vorausgesetzte Richtungen verschoben. Die Regierungsagenda muss das widerspiegeln. Was der Wirtschaftsstandort Deutschland dringend braucht, sind Entscheidungen, egal ob auf Kabinettsklausuren oder am Kabinettstisch in Berlin, die auf diesen neuen Realitäten fußen.

In unserer Reihe KLARTEXT lesen Sie persönliche Meinungen und Denkanstöße.

Achim Oelgarth
Geschäftsführender Vorstand
Ostdeutscher Bankenverband e.V.

Veröffentlicht: 31. August 2023

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