KLARTEXT

Wie kommt man durch die Krise? Totstellen, Flucht oder Kampf?

In unserer Reihe KLARTEXT lesen Sie persönliche Meinungen und Denkanstöße.

Heute von:
Dr. Alexander Schumann
Leiter Politik und Konjunktur, Sonderprojekte
Ostdeutscher Bankenverband e.V.

Zunächst eine gute Nachricht: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt ist vom zweiten zum dritten Quartal 2022 um 0,3% gestiegen (gegenüber Vorjahr 1,2%). Gemessen am BIP im vierten Quartal 2019, also dem letzten Zeitraum vor der Coronapandemie, steht auch erstmals wieder ein Plus vor der Wachstumsrate (+0,2%). Ökonomisch hat Deutschland also die Pandemie hinter sich gebracht, und das in einer mehrdimensionalen Krisensituation. Die Zahlen zeigen, wie robust unsere Volkswirtschaft ist und wie hart und pfiffig die Unternehmen hierzulande täglich die schwierige Lage meistern – nicht zuletzt zum Nutzen der Beschäftigten.

So erfreulich diese Entwicklung ist, sie steht nicht für ein Abwenden der negativen Konjunkturdynamik. Das BIP-Plus wurde hauptsächlich von privaten Konsumausgaben getragen, eine Komponente, die von der weiter anschwellenden Inflation (10,4% im Oktober) kontinuierlich in Mitleidenschaft gezogen wird. Die November-Prognose für den Konsumklimaindex der GfK liegt bei minus 41,9 (möglicher Indextiefstwert ist minus 100). Deutschland steht vor einer Rezession, das ist für die meisten Beobachter leider eine klare Sache. Der Ifo-Geschäftsklimaindex sinkt im Oktober nochmals leicht auf 84,3 und ist damit nur noch 10 Punkte von seinem historischen Tiefststand aus dem April 2020 entfernt.

Dass die deutsche Wirtschaft allen Widrigkeiten von Energiekrise über Inflation bis stotternde Lieferketten trotzt, muss also relativiert werden: mit einem dick unterstrichenen „noch“. Noch sehen wir beim BIP ein Plus, noch fragen die Firmen Arbeitskräfte nach, noch legen sie sich erfolgreich ins Zeug, ihre Standorte zu sichern.

Die Psychologie definiert drei Grundmuster, wie Menschen in Krisen reagieren: Totstellen, Flucht oder Kampf. Die Unternehmen zählen ganz sicher zu den Kämpfernaturen. Die Politik könnte sich eine Scheibe abschneiden. Denn (auch hier liefern organisationspsychologische Analysen die empirische Grundlage) Menschen wünschen sich von Verantwortungsträgern, dass sie in schwierigen Zeiten nach dem Motto handeln: kraftvoll entscheiden und trotz Unsicherheit aktiv handeln. Als i-Tüpfelchen sollte ein guter Krisenbewältiger sogar noch in der Lage sein, trotz größtem Chaos über die akute Situation hinauszublicken und die Erfordernisse der näheren Zukunft im Auge zu behalten.

Diese Maxime erscheint zwar vom gesunden Menschenverstand geleitetet, gestaltet sich in der Realität allerdings schwierig. Wie groß die Schwierigkeiten sind, erleben wir gerade hautnah: Die verschiedenen Entlastungspakete der Bundesregierung bekämpfen Symptome, nicht Ursachen. Sie ähneln dem Totstellen oder der Flucht, nicht dem Kampf.

Die Energiekrise ist Ergebnis eines Angebotsschocks. Ökonomischer Logik gemäß müsste man ihr über eine Ausweitung des Energieangebots begegnen. Die Regierung hat sich hier nicht wirklich bewegt, denn eine Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen AKW bis in den April 2023 hilft nicht substantiell und nicht für einen Zeitraum, der Unternehmen verlässliches Planen erlaubt.

Gleiches gilt für die Inflation und damit für die Geldpolitik. Hätte die EZB den Beginn der Inflationswelle ernst genommen und von Anfang an gegengesteuert, wären sanftere Zinsschritte ausreichend gewesen und hätte sie nicht die Flucht nach vorn antreten müssen mit abrupten Anhebungen wie geschehen und damit die Rezessionswahrscheinlichkeit erhöhen müssen.

Krisen, so heißt es, seien immer auch eine Chance. Nämlich dann, wenn man aus Fehlern die notwendigen Lehren zieht, sie korrigiert und die richtigen Weichen für die Zukunft stellt. Kurz gesagt: Gute Wirtschaftspolitik muss sich Gedanken machen über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Reine Krisenbewältigung reicht nicht aus. Um sofort dem Einwand zu begegnen, auch die politischen Akteure arbeiteten an der Leistungsgrenze und hätten nicht den Kopf frei für diesen Blick über den Krisen-Tellerrand hinaus: Es geht bei dieser Frage nicht um mehr, sondern um weniger politischen Output – also weniger Regeln und Bürokratie, weniger Belastungen und Kosten, weniger Feinsteuerung und Mikromanagement.

FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner denkt in diese Richtung, wenn er wie unlängst in einem Interview erklärt, man müsse für die Zeit nach der Energiekrise über eine „Verbesserung der Attraktivität des Standorts Deutschland mithilfe des Steuerrechts nachdenken“. Erste Instrumente, die er in der Schublade habe, seien eine Investitionsprämie und attraktivere Abschreibungsregeln für die dann notwendigen Investitionen.

Genau bei Investitionen liegt der Hebel für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Politik muss zweierlei tun: Private Investitionen ermutigen, die Rahmenbedingungen so setzen, dass unternehmerische Risiken an dieser Stelle handhabbar werden. Zu den steuerlichen Erleichterungen müssen sich Bürokratieentlastungen gesellen. Risikopartnerschaften sind ein weiterer Baustein.

Und Politik muss selbst die investiven öffentlichen Ausgaben stärken. Der Tatsache Abhilfe zu schaffen, dass die Investitionsquote am BIP von Bund, Ländern und Gemeinden seit über zwei Jahrzehnten wie festgenagelt bei rund 2% liegt, lohnt der Mühe viel mehr, als beispielsweise mit Regelwerken wie der EU-Taxonomie-Verordnung im Rahmen des Green Deal einen planwirtschaftlichen Geist walten zu lassen.

Statt den Unternehmen mit Misstrauen und Gängelung zu begegnen, sollte ihr Kampfgeist, mit dem sie sich gegen die Krise stemmen, von der Politik motiviert und honoriert werden. Solch eine Partnerschaft braucht es, damit Deutschland tatsächlich gestärkt aus der Krise kommt. Noch ist Zeit, damit anzufangen und gemeinsam dafür zu kämpfen.

Veröffentlichung: 03. November 2022

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