#KLARTEXT

Haushaltsurteil als Weckruf: Mut zum Loslassen gefragt

In unserer Reihe KLARTEXT lesen Sie persönliche Meinungen und Denkanstöße.

Heute von:
Achim Oelgarth
Geschäftsführender Vorstand |
Ostdeutscher Bankenverband e.V.

Wer an Weihnachten denkt, sieht nicht auf den ersten Blick einen Zusammenhang mit Haushaltspolitik. Doch es gibt ihn: Am Anfang der Weihnachtsgeschichte, wie man sie im Lukas-Evangelium lesen kann, steht eine Volkszählung. Die schwangere Maria und ihr Ehemann Joseph ziehen nach Bethlehem, um sich dort – am Stammsitz der Familie Josephs – in eine Steuerliste einzutragen. Althistoriker haben herausgefunden, dass dieses Vorgehen zu den fiskalischen Gepflogenheiten im Römischen Reich zählte. Und da man getrost davon absehen kann, es sei den Beamten Roms lediglich um die Pflege der Steuerdaten gegangen, bleibt als Ziel der Aktion nur übrig: Der Kaiser brauchte mehr Geld.

An dieser Stelle knüpft die Weihnachtsgeschichte an die aktuelle Vorweihnachtszeit an. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) muss ebenfalls dringend ein Loch im Staatshaushalt schließen. Seit das Bundesverfassungsgericht die Übernahme von Kreditermächtigungen aus dem Corona- in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) als unzulässig abgeurteilt hat, fehlen in den Haushaltsplanungen der Bundesregierung mindestens 60 Mrd. Euro.

Für das laufende Haushaltsjahr hat die Ampel mit der erneuten Erklärung einer außergewöhnlichen Notlage den Verstoß gegen die Haushaltsgrundsätze vorerst geheilt und die entsprechenden Schulden in einen Nachtragshaushalt eingestellt. Doch für das kommende Haushaltsjahr und eventuell für noch folgende besteht erheblicher Konsolidierungsbedarf – falls an der Schuldenbremse festgehalten wird. Neben dem KTF ist zudem auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds betroffen, welcher aktuell die Härten der Energiepolitik abmildern soll.

Kopfzerbrechen hat das Bundesverfassungsgericht nicht allein bei den Spitzen der Ampel-Koalition ausgelöst. Die Schockwelle des Karlsruher Urteils reicht bis in die Landeshauptstädte. Sondervermögen, also außerhalb der regulären Haushalte geplante Schulden, gibt es in allen 16 Bundesländern. Einige davon, so sehen es Experten, dürften genau die Mängel aufweisen, welche jetzt bei der Finanzpolitik des Bundes gerügt wurden.

Hinzu kommt: Auch auf Landesebene sind Bundes-Sondervermögen für Subventionen fest eingeplant. Gelder aus dem KTF sollen bei der geplanten Intel-Chipfabrik in Magdeburg oder dem Halbleiterwerk von TSMC in Dresden fließen. Die Regierung Brandenburgs will sich die Umrüstung der PCK-Raffiniere in Schwedt und des Stahlwerks in Eisenhüttenstadt fördern lassen, Mecklenburg-Vorpommern die Herstellung von sauberem Wasserstoff. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) rechnet vor: Von den auf der Kippe stehenden 60 Mrd. Euro des KTF flössen allein 50 Mrd. Euro in ostdeutsche Investitionen.

Enormen Investitionsbedarf gibt es in ganz Deutschland. Bei der kommunalen Infrastruktur beispielsweise, also dem, was die Menschen hierzulande tagtäglich brauchen und was daher tadellos funktionieren müsste, gibt es einen Investitionsstau von aktuell 165 Mrd. Euro. Das ist so viel, wie alle Kommunen zusammen im ersten Halbjahr 2023 eingenommen haben. Zusätzlich braucht es „Feuerwehr-Geld“: Die Meldungen von Produktionseinschränkungen oder -verlagerungen der deutschen Industrie nehmen zu. Grund sind – neben Fachkräftemangel und überbordender Bürokratie – immer öfter die im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähigen Energiepreise. Wie soll vor dem Hintergrund der Milliarden-Lücke nun die geplante Absenkung der Stromsteuer gegenfinanziert werden?

Stimmen aus der Ampel, die angesichts dieser Fakten dem Bundesverfassungsgericht vorwerfen, das Haushaltsurteil gefährde den Wirtschaftsstandort, sollten Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Sondervermögen sind Sonderschulden. Das Konstrukt dient der Schaffung von Spielräumen im regulären Haushalt. Anders ausgedrückt: Sie helfen, eine Aufgabenkritik zu vermeiden. Anstatt zu schauen, auf welche Vorhaben auf der politischen Agenda verzichtet werden müsste, wenn neue Ideen oder Prioritäten auftauchen, werden sie in Sondervermögen ausgelagert.

Immer öfter ziehen neu auftauchende Politik-Vorhaben Subventionen nach sich. Zur Illustration ein Blick auf die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, die bekanntlich als Zielgröße 21 Gigawatt Energieerzeugung aus Wasserstoff bis 2030 vorsieht. Bereits im Sommer hat der große Player RWE klargestellt, er werde nur mit Subventionen in grünen Wasserstoff investieren. Überträgt sich diese Haltung auf die gesamte H2-Strategie, kreiert man einen unvorstellbaren Finanzbedarf. Bei den derzeitigen Kapazitäten braucht man für die 21 Gigawatt ca. 50 Wasserstoff-Kraftwerke sowie ein Vielfaches an Elektrolyseuren.

Subventionen können ein funktionierendes wirtschaftspolitisches Werkzeug sein – es kommt darauf an, wie man sie konzipiert. Der OstBV hat an vielen Stellen deutlich gemacht, dass ein Anknüpfen von staatlicher Förderung an den betriebswirtschaftlichen Erfolg sinnvoll sein kann, etwa als Steuererleichterungen. Anders sieht es aus, wenn man unternehmerischen Misserfolg ausgleicht. Kosten-Subventionen verschleiern dem Markt die tatsächliche Lage. Fehlende Transparenz übersetzt sich in mangelnde Überprüfung des Geschäftsmodells. Subventionen verstetigen sich.

Schleppende Konjunktur (erst in dieser Woche hat die OECD für Deutschland 2024 ein im Schnitt der Industrieländer unterdurchschnittliches Wachstum prognostiziert) sowie Strukturprobleme bei gleichzeitig enormen Herausforderungen für Nachhaltigkeit und Digitalisierung sollten Anlass genug sein, das Haushaltsurteil als wirtschaftspolitischen Weckruf zu verstehen. Es braucht den großen Blick, weg von der Klein-Klein-Sicht auf einzelne Unternehmen oder Branchen. Politik muss Aufgaben loswerden und dafür ein grundsätzliches Vertrauen in die Koordinierungsfähigkeit des Marktes aufbringen – gepaart mit der Einsicht, dass Politiker nicht die besseren Unternehmer sind. Der Einsatz von marktorientierten Instrumenten wie CO2-Preis oder Verschmutzungszertifikaten muss Vorrang haben vor einem bürokratischen Regulierungs-Perpetuum Mobile. Und schließlich die Aktivierung von privaten Investitionen, wie sie ganz aktuell auch Deutsche Bank-CEO und Bankenpräsident Christian Sewing gefordert hat. Sein Vorschlag: Ungenutzte 2 Mrd. Euro aus dem ehemaligen Bankenrettungsfonds Soffin in einen Transformationsfonds überführen und mit privatem Kapital hebeln.

Ausreichend Lösungen für die Zukunftsfragen sind da. Was es braucht, ist politischer Mut, sie zu nutzen. Weihnachten hilft beim Mut-Bekommen. Es will uns daran erinnern, dass bei allen Sorgen und Zwängen etwas existiert, was über das Hier und Jetzt hinausweist. In diesem Sinne: Eine gute Adventszeit!

Veröffentlichung: 30. November 2023

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