MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSSTANDORT

Landtagswahl Mecklenburg-Vorpommern 2021

„Wir Menschen hier oben, wir feiern sehr gern…“, heißt es im erst 2019 gekürten Mecklenburg-Vorpommern-Lied, sozusagen die Hymne des flächenmäßig zweitgrößten Bundeslandes im Osten. Grund zu feiern, wird aller Voraussicht nach Manuela Schwesig haben, die amtierende Ministerpräsidentin. Und zwar am 26. September.

Eventuell rührt die Feierlaune vom Ergebnis ihres Parteikollegen und Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl Olaf Scholz her. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Manuela Schwesig sich selbst feiern können. Am 26. September geben die knapp über 1,3 Millionen Wahlberechtigten zwischen Ostsee und Müritz ihre Stimme nicht nur für den 20. Bundestag ab. Sie haben gleichzeitig die Wahl für ihren Landtag, den achten seit Wiedergründung des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern (MV).

Was sagen die Umfragen?

Umfragen sehen SPD weit vorn

In den Umfragen führt die SPD unter Schwesig mit etlichen Längen. Im jüngsten Meinungsbild prognostizieren die Demoskopen für die Sozialdemokraten in MV 40 Prozent. Das wäre nicht nur eine Steigerung gegenüber der vorangegangenen Landtagswahl 2016 von über neun Prozentpunkten. Auch im Verlauf der Umfragen für den aktuellen Urnengang legten die Sozialdemokraten kontinuierlich zu. Einige Beobachter/innen rechnen damit, dass die Partei ihr bislang bestes Ergebnis aus 2002, damals erzielte man fast 41 Prozent, egalisieren oder übertreffen könnte.

Der Erfolg hat Gründe. MV, einstiges Sorgenkind unter den neuen Bundesländern, hat wirtschaftlich enorm aufgeholt. Brachen nach der Wende sämtliche Strukturen in den prägenden Bereichen Landwirtschaft und maritime Industrie nach und nach weg, bewegten sich die Arbeitslosenzahlen noch ein Jahrzehnt nach der Widervereinigung um die 20 Prozent, so hat sich das Land gerade in den zurückliegenden Jahren ordentlich konsolidiert.

Schwesig seit 2017 Ministerpräsidentin

Diese Dynamik setzte natürlich nicht erst unter der Amtsinhaberin ein. Sie wurde erst 2017 in der laufenden siebten Legislaturperiode ins Amt der Ministerpräsidentin gewählt. Ihr Vorgänger, Erwin Sellering, musste gesundheitsbedingt das Amt niederlegen. Indes hat Schwesig die Corona-Krise genutzt, sich als Landesmutter und Krisenmanagerin zu positionieren. Und obwohl eine der Hauptsäulen der Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern der Tourismus ist, eine besonders coronabetroffene Branche, stieg die Arbeitslosigkeit während der Pandemie nur leicht an und bewegt sich heute knapp unter 8 Prozent.

Die SPD-Spitzenposition gemäß Umfragen ist unangefochten, entwickelte sich aber erst im Verlauf der letzten Wochen in dieser Deutlichkeit. Noch im Juli betrug der Abstand zwischen SPD und CDU lediglich vier Prozentpunkte. Die seit 1998 ununterbrochen regierenden Sozialdemokraten haben also einen ordentlichen Lauf — auch wenn Manuela Schwesig die Umfragestärke herunterspielt und die eigenen Anhänger vor Übermut warnt.

SPD vor AfD, CDU, der Linken, Grünen, FDP

Auf die SPD folgt in den Umfragen die AfD. Sie könnte auf 15 Prozent der abgegebenen Stimmen kommen; 2016 waren es 20,8 Prozent. Und auch die CDU hat in der Wählergunst eingebüßt. Bei der Union setzt sich damit ein längerer Trend in Mecklenburg-Vorpommern fort. Kam der Landesverband 2002 noch auf über 30 Prozent der abgegebenen Stimmen, waren es 2016 nur noch 19 Prozent, womit die CDU zum Juniorpartner einer Großen Koalition wurde — ein Modell, das seit 2006 besteht. In der aktuellen Umfrage stehen bei ihr 15 Prozent zu Buche. Neben dem schlechten Bundestrend der Partei, hatten bereits Ungeschicklichkeiten von CDU-Spitzenleuten ihre Spuren in der Wählergunst hinterlassen. Der Vollständigkeit halber: Es folgen in den Umfragen die Linke mit 10 Prozent sowie die Grüne und FDP mit 6 bzw. 5 Prozent. Die beiden Letztgenannten würden damit den Wiedereinzug in den Landtag schaffen.

Die Gesamtkonstellation im nördlichsten der ostdeutschen Bundesländer spricht für eine stark personalisierte Wahlentscheidung. Bei der Frage, welche/r Kandidat/in bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten/innen-Postens die meisten Stimmen erhielte, liegt Manuela Schwesig unangefochten vorn: 65 Prozent der Wahlberechtigten würden bei solch einer (fiktiven) Entscheidung für die Amtsinhaberin votieren.

Die Pandemiebewältigung hat den Zuschnitt der Landespolitik auf die Ministerpräsidentin nochmals verstärkt. Die SPD zieht daraus enormen Nutzen. Fragt man die Wahlberechtigten nach der Kompetenzzuschreibung, also welche Partei auf welchen Politikfeldern die meiste Ahnung hat, so nehmen die Sozialdemokraten überall die Spitzenposition ein. Ausnahme: Umwelt und Nachhaltigkeit, hier sehen die Bürger/innen in MV die Grünen vorn. In Fragen der Wirtschaft, für den Arbeitsmarkt, Bildung, Soziales, Digitalisierung, Migration oder ganz generell die Vertretung ostdeutscher Interessen— überall sonst erhält die SPD die höchste Kompetenzbewertung gegenüber den anderen Parteien. Wie auch anderswo profitiert die Sozialdemokratische Partei — als stärkerer der beiden Koalitionspartner — nochmals besonders von den Erfolgen der Regierungsarbeit.

Leitbranchen: Tourismus und Industrie

Gerade in Wirtschaftsfragen steht MV gut da. Seit den Landtagswahlen vor fünf Jahren lagen die Wachstumsraten über dem Bundesdurchschnitt. Das Image des abgehängten Nordostens hat man lange abgeschüttelt. Der Tourismus ist einer der Hauptimagefaktoren und Wachstumstreiber. Der Anteil der Tourismuswirtschaft am Primäreinkommen bewegt sich um die 10 Prozent. Ein Viertel aller Inlandsreisenden in Deutschland zieht es in den Norden an Ostsee, Müritz oder andere Top-Spots in MV. In den beiden zurückliegenden Corona-Sommern mit den Einschränkungen anderswo auf dem Globus wurde dieser Trend zusätzlich befeuert.

Auch wenn der Tourismus das Aushängeschild der Wirtschaft in MV ist, so überrascht ein Blick auf die Anteile der Wirtschaftsbereiche an der Bruttowertschöpfung. Das Produzierende Gewerbe bildet nämlich eine noch breitere Säule als die Dienstleistungen. Dass immerhin fast 23 Prozent der Bruttowertschöpfung des Landes auf die industriellen Unternehmen entfallen, hat auch mit der guten Produktivitätsentwicklung zu tun — bei maßhaltender Lohnpolitik. Liegt die Produktivität in MV bei ca. 80 Prozent des Bundesdurchschnitts, sind es bei den Lohnkosten knapp 50 Prozent. Dies ergibt eine komfortable Lohnstückkosten-Position von rund 60 Prozent gegenüber anderen deutschen Regionen — stellt zugleich aber eine Herausforderung in Zeiten des Fachkräftemangels dar.

Wenig verwunderlich, dass MV attraktiv für Neuansiedlungen ist. Neben der traditionellen maritimen Industrie setzt man vermehrt auf Themen wie Digitalisierung, Wasserstoffwirtschaft und Erneuerbare Energien. Hinzu kommt als Spezifikum die Gesundheitswirtschaft, von welchem man sich im Norden zusätzliche Arbeitsplätze verspricht.

Ein besonderer Coup gelang der Landesregierung mit der Überführung des Nord Stream II-Projekts in eine Stiftungslösung, wodurch man für diese Großansiedlung im Energiebereich (die Doppelröhre endet nahe Greifswald) die Hürden auf der weltpolitischen Bühne aus dem Weg räumte.

Alles in allem stehen für die SPD die Zeichen bei der Landtagswahl am 26. September auf Kantersieg. Die Partei könnte sich eigentlich nur selbst noch ein Bein stellen, so Politikbeobachter/innen. Danach sieht es nicht aus. Vielmehr dürften die Wähler/innen der SPD ein weiteres Mandat zur Regierungsbildung geben. Das kann sie dann wahlweise mit der CDU oder mit der Linkspartei ausfüllen. Insofern bleibt es wenigstens spannend.

Die Wahlprogramme - zusammengefasst mit Blick auf die Wirtschaftspolitik

CDU

Die CDU stellt wie in den Großen Koalitionen davor auch aktuell den Wirtschaftsminister (Amtsinhaber: Harry Glawe). In ihrem Wirtschaftsprogramm für die Landtagswahl findet sich der Kampf gegen die Verödung der Innenstädte in MV (im Bündnis mit dem Einzelhandel, der Kultur- und Kreativwirtschaft, Dienstleistern und den Kommunen) ebenso wie eine Ausdehnung der Tourismusförderung auf bislang brachliegende Bereiche (Nationalparks, Binnenlandgegenden). Die Werften seien zentrales Glied in den Wertschöpfungsketten in MV und sollten daher besondere Aufmerksamkeit seitens der Politik genießen. Durch einen Regionalbonus sollen heimische Unternehmen bei öffentlichen Auftragsvergaben stärker berücksichtigt werden. In der Außenwirtschaft will man von der Fokussierung auf Russland wegkommen und die Exportstrategie auf Partner wie die skandinavischen Länder und Polen, also weitere Ostseeanrainer, ausdehnen.

FDP

Ein zentraler Punkt im die Wirtschaft betreffenden Kapitel des Wahlprogramm der FDP ist die Erarbeitung eines neuen Landesraumentwicklungsplans. Er soll neue Perspektiven für die Bürger/innen und für die Unternehmen beinhalten. Stärken wollen die Liberalen die Soziale Marktwirtschaft und versprechen den Unternehmen u.a. eine Entbürokratisierungsoffensive. Darüber hinaus solle Entrepreneurship unterstützt, also ein positives Bild des Unternehmertums transportiert werden. Wasserstoffwirtschaft und maritime Innovationen sind für die FDP Ansatzpunkte der Ansiedlungsförderung sowie die digitale Wirtschaft. Der Tourismus soll nachhaltiger und sanfter gestaltet werden. Mit dem Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft verbinden die Freien Demokraten die Forderung nach größerer Flexibilität bei Arbeitszeit und Arbeitsplatz.

SPD

Die SPD verzahnt das Thema Wirtschaftspolitik eng mit dem Arbeitsmarkt. So müssen Arbeitsplätze, die in Mecklenburg-Vorpommern entstehen, gut und fair bezahlt sein. Eine weitere Anhebung des Vergabe-Mindestlohns findet sich ebenso im SPD-Programm wie die Ausweitung der Tarifbindung und die Stärkung von Personal- und Betriebsräten. Als Zukunftsbranchen hat man den nachhaltigen Tourismus identifiziert, die Land- und Ernährungswirtschaft (schon heute eine Branche mit enormem Produktivitätsvorteil Mecklenburg-Vorpommerns gegenüber anderen Bundesländern), die Gesundheitswirtschaft und die Wasserstoffwirtschaft. Um ein klares Entwicklungsprofil von MV als Wirtschaftsstandort soll sich eine Zukunftsagentur kümmern. Digitalisierung und Klimaschutz sind Leitplanken der Industriepolitik. Das Bundesland soll nach Vorstellung der Sozialdemokraten zu einem Industriestandort der Kreislaufwirtschaft werden.

Bündnis 90 / Die Grünen

Die Grünen wollen die Post-Corona-Phase nutzen für eine stärkere Ausrichtung der Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern an ökologischen Gesichtspunkten. Davon versprechen sie sich auch eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Konkret geschehen soll dies durch Anpassungen im Vergaberecht, so dass Aufträge an ökonomische und ökologische Nachhaltigkeitskonzepte der Auftragnehmer gebunden werden. Hinzu kommt hier noch die Tarifbindung. Dem Mittelstand und dem Handwerk gilt ein besonderes Augenmerk der Grünen. Letzteres sehen sie als natürlichen Partner bei der Umsetzung der Energiewende. Innovationstreiber ist auch für sie die maritime Industrie. Der Tourismus soll gemäß grüner Vorstellung ebenfalls sanfter und nachhaltiger aufgestellt werden als das bislang der Fall ist.

Die Linke

Auch die Linke denkt Wirtschaft und Arbeit zusammen. Etwa will sie das Vergaberecht so fassen, dass öffentliche Aufträge an Unternehmen mit Tarifbindung gehen und sie will die Arbeitsbedingungen im Tourismus verbessert sehen. Forschung und Entwicklung im akademischen Bereich will die Partei stärker mit der Wirtschaft, also den Unternehmen, verzahnen. Nach ihrem Willen soll die Industriestrategie überarbeitet werden, um Mecklenburg-Vorpommern noch attraktiver für Ansiedlungen zu machen. An den Standorten der maritimen Industrie müsse es nach Meinung der Linken Alternativkonzepte geben. Start-ups, die Wasserstoffwirtschaft sowie die Kreativbranche sind Bereiche mit besonderem Förderschwerpunkt für die Linkspartei.

AfD

Die AfD bekennt sich in ihrem Programm zur Sozialen Marktwirtschaft und belässt dem Staat lediglich dort Eingriffsrechte, wo der Markt versagt. Bei der Steigerung der Attraktivität Mecklenburg-Vorpommerns als Wirtschaftsstandort will sich die Alternative für Deutschland auf den Mittelstand konzentrieren sowie auf den ländlichen Raum. Und sie will die Unternehmen deutlich von Bürokratieaufwand entlasten. Die gesetzlich vorgeschriebenen Mitgliedschaften in den Industrie- und Handelskammern, den Handwerkskammern sowie den Berufsgenossenschaften will die AfD abschaffen. Einführen will sie hingegen Sonderwirtschaftszonen, nämlich zur Förderung noch immer strukturschwacher Regionen.

Der Blick der privaten Banken

Trotz vieler Erfolge, nicht zuletzt beim Abmildern der Corona-Folgen, bleibt für die nach dem 26. September zu bildende neue Landesregierung in Schwerin genügend zu tun. Wahlprogramme sind das eine, der Koalitionsvertrag ist das andere. Aus Sicht der privaten Banken müssen folgende Punkte auf die Agenda der kommenden Legislaturperiode genommen werden:

  • Stärkung des bilanziellen Eigenkapitals in der Post-Corona-Phase: Gerade für Mecklenburg-Vorpommern, das angesichts des demografischen Wandels (inkl. Fachkräftemangel) besonders auf eine Technologieoffensive setzen muss, ist die Sicherung der Investitionsfähigkeit und damit die Stärkung des bilanziellen Eigenkapitals der Unternehmen ein Hauptfaktor. Liquiditätshilfen sollten sicher in einer Übergangsphase fortgesetzt werden. Wie auch in den anderen Ländern im Osten bietet sich für die Kooperation von Politik und Wirtschaft samt Verbänden bei diesem Thema ein Gremium an, das die Maßnahmen zielgenau gestalten hilft (Task Force EK). Dies sollte auch die Position von Start-ups mitdenken.
  • Breitbandausbau: Die Landesregierung hat umfangreiche Fördermittel des Bundes für den Breitbandausbau nach Mecklenburg-Vorpommern holen können. Der Ausbaustand ist hoch und liegt insgesamt bei 75 Prozent, in den Städten nahezu bei 100 Prozent. Diese Dynamik muss beibehalten werden. Wichtig ist, direkt auf leistungsstarke Netze zu setzen, im Sinne von flächendeckender Zurverfügungstellung starker, schneller Glasfaseranschlüsse, um nicht der technologischen Entwicklung hinterherzulaufen.
  • Unternehmensnachfolge: In Ostdeutschland geht die komplette Unternehmer/innen-Kohorte in den Ruhestand, die ab 1990 ihre Betriebe gegründet oder ihre Familienfirmen zurück übernommen hat. Das Matching von Eigentümern/innen und Nachfolgeinteressierten sowie der Übergabe- und Anlaufprozess unter neuer Regie, die Suchaktivitäten im bundesweiten Maßstab und die Absicherung von Innovationen und Investitionen über den Übergabezeitpunkt hinaus sind nutzbringende Förderansatzpunkte. Scheiden Unternehmen aus dem Markt aus, kann Politik helfen, Arbeitsplätze und Know-how zu sichern. Zudem braucht es die Förderung von Ausgründungen an den Hochschul- und Forschungsstandorten.
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