#KLARTEXT

Mit Ehrlichkeit und Weisheit zurück zu alter Stärke

In unserer Reihe KLARTEXT lesen Sie persönliche Meinungen und Denkanstöße.

Heute von:

Dr. Alexander Schumann
Leiter Politik und Konjunktur, Sonderprojekte
Ostdeutscher Bankenverband e.V.

Jahreswirtschaftsbericht 2024. Nun haben wir es amtlich. Statt kraftvoll aus dem Minus des Vorjahres herauszukommen, bewegt sich das deutsche Wachstum heuer im homöopathischen Bereich: 0,2 Prozent. Überraschen konnte Robert Habeck damit niemanden mehr. Die Prognosen, auch die des Ostdeutschen Bankenverbandes, hatten bereits darauf eingestimmt.

Die fehlende Wirtschaftsdynamik ist umso ärgerlicher, da der Rest Europas robuster dasteht. Für die EU werden 0,9 Prozent aufgerufen, für die Eurozone 0,8 Prozent. Nicht berauschend, aber immerhin Faktor 4 gegenüber Deutschland. Was also tun?

Robert Habeck will den „Reformbooster“ zünden. Entbürokratisierung, degressive Abschreibungen, aufgestockte steuerliche Forschungsförderung. So steht es im Wachstumschancengesetz. Das hat sich mittlerweile im Vermittlungsausschuss von Bund und Ländern von den ohnehin nicht üppigen 7 Mrd. Euro auf 3 Mrd. Euro mehr als halbiert. So viel ist sicher: Das wird es nicht richten. Steueranreize sind sicher nicht falsch, aber punktuell an der fiskalischen Belastung der Unternehmer zu schrauben, ist alles andere als der große Wurf.

Genau den brauchen wir aber, um aus der Malaise herauszukommen. Und da hilft nur eines: Ehrlichkeit. Rigoros. Überall. Ehrlich sein heißt zuzugeben, Deutschland hat die guten Wirtschaftsjahre nicht genutzt, um in die Zukunft zu investieren. Warum sollten wir es jetzt, in schlechten Zeiten tun, wenn sich sonst partout nichts ändert. Neue Schulden, um die erschöpften Spielräume öffentlicher Budgets zu umschiffen? Kredite müssen zurückgezahlt werden. Christian Lindner plant aktuell mit eher kurzfristigen Darlehen, was die Tilgung gerade dann fällig werden lässt, wenn beispielsweise mit dem Renteneintritt der Babyboomer Extra-Lasten auf die öffentlichen Haushalte zukommen. Das bedeutet, nicht nur Probleme zu verschieben, sondern zu vergrößern.

Seit mehr als zehn Jahren redet man in Berlin und den Landeshauptstädten vom Investitionsstau als besonderer „Sehenswürdigkeit“ in Deutschland. Wer 2024 die Schlaglöcher auf Berlins oder Leipzigs Straßen umschifft, wer vor den Brückensperrungen auf deutschen Autobahnen im Stau steht, wer die Schultoiletten seiner Kinder aufsucht, muss den Eindruck bekommen, die Zeit ist seither einfach stehen geblieben. Die Investitionsquotendifferenz der immerhin größten Volkswirtschaft Europas zum Durchschnitt der Europartner beträgt Jahr für Jahr weiter rund einen Prozentpunkt.

Wie viele Zeitungs- oder digitale Seiten müssen noch beschrieben, wie viele Sendeminuten aufgenommen, wie viele Expertenkommissionen einberufen werden, bis sich daran etwas ändert? Vielleicht hat die umfangreichere Investition in Infrastruktur bei anderen EU-Ländern, etwa Frankreich, Italien, Spanien, Österreich oder sogar Portugal, mit der engeren Verzahnung von öffentlichem und privatem Sektor zu tun. Mit Public Private Partnerships und also mit privatem Know-how, welches ausgedünnte Amtsstuben kompensiert oder die Ressourcen des Kapitalmarktes erschließt, ohne dass das x-te Sondervermögen ausgelobt wird. Wollen oder können wir an diesen Stellen nicht von denen lernen, die es besser machen?

Bis das geschieht, ist es nur folgerichtig, dass die Top-Geschäftsrisiken für die hiesigen Firmen von Umfrage zu Umfrage schlimmer werden: Energie- und Rohstoffpreise, Fachkräftemangel, wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen (ein Synonym ist für Bürokratiebelastungen) nennen in den regelmäßigen, großen DIHK-Unternehmensbefragungen mehr als der Hälfte der Betriebe.

Ich, der hier schreibt, Sie, die dies lesen, jeder, der Wirtschaft von innen kennt, hat eine Vorstellung im Kopf, welches die Ratschläge von Unternehmenssanierern an die aktuelle Deutschland AG wären, damit sie ihre einstige Stärke und Energie zurückgewinnt: Risiken und Chancen analysieren, falsche Strategien aufgeben, Controlling etablieren, langfristige Perspektive einnehmen. Motto: Ehrlich Bilanz ziehen, weise neu ausrichten.

Letztens hatte ich ein Buch von Markus Spieker in der Hand, der als ARD-Journalist 12 Jahre aus dem politischen Berlin berichtet hat. Es trägt den Untertitel „Eine Weisheitsschule“. In dem Kapital „Moral, aber real“ überträgt er eine Naturkonstante auf Politik und Gesellschaft. Es geht um die immer gültige Formel: Stärke (Energie) = Masse x Geschwindigkeit. Zitat:

„Masse [ist] nicht gleichbedeutend mit Größe. Singapur ist klein, aber in puncto Stärke oho. Es kommt auch auf die innere Dichte an. Im übertragenen Sinne: auf die geballte soziale und politische Energie. Die ,Geschwindigkeit‘ einer Gesellschaft zeigt sich in dem Tempo, in welchem Patente entwickelt und genehmigt, gesellschaftliche Reformen durchgezogen, Korrekturen von Fehlentwicklungen vorgenommen werden. Für Deutschland gilt leider: Wir verlieren an Gewicht. Und wir büßen an Schnelligkeit ein. […] Und die wichtigen Reformen? Werden nur im Schneckentempo durchgezogen.“

Warum sitzen nicht längst Unternehmer/innen und Minister/innen an einem Tisch und setzen die ultimative Bürokratie-Streichliste auf, die sofort Kabinettsvorlage wird und dann schnellstens in den Bundestag zur Abstimmung weitergeleitet wird?

Ja, wir erleben eine Zeitenwende. Aber wann setzen wir endlich die dazu passenden Prioritäten – ehrlich und weise?

Schonungslose Ehrlichkeit kann weh tun – befreit aber auch. Und sie ist die einzig wahre Grundlage, um weise Entscheidungen treffen zu können.

Weisheit ist ein Wort, das in unserer Alltagssprache nur noch selten benutzt wird. Schade eigentlich.

Veröffentlichung: 29. Februar 2024

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