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MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Nicht vorwärts, nicht zurück: Mittelstand bewertet Standort Ost durchwachsen

Weder verbessert, noch verschlechtert. So lässt sich das Urteil des ostdeutschen Mittelstands über die Fünf-Jahres-Entwicklung und die aktuelle Verfassung des Wirtschaftsstandortes auf den Punkt bringen. In der diesjährigen TrendOst-Umfrage des Ostdeutschen Bankenverbandes erhalten Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen also so etwas wie die Note drei– exakt der Wert, der auch bei der Meinungsschau vor einem Jahr erzielt wurde.

Reformen blieben in der Dauerkrise auf der Strecke

Die Bewertung zu halten, nicht zuletzt in einem widrigen Umfeld wie aktuell, ist natürlich gar nicht so schlecht. Anders als erwartet, konnte sich die Politik seit dem Ausklingen der Corona-Pandemie eben nicht um dringend erforderliche Reformen kümmern. Vielmehr galt es, der Energiekrise zu begegnen und hierfür riesige Hilfspakete zu schnüren. Nun ist das geschafft, auch wenn es noch geraume Zeit brauchen wird, bis die Entlastungen bei den Haushalten und Unternehmen ankommen.

Doch selbst wenn das im Laufe des kommenden Jahres der Fall sein wird, darf keine der Landesregierungen zwischen Ostsee und Erzgebirge, zwischen Börde und Spreewald damit rechnen, dass man im Standortranking plötzlich um Strecken besser abschneidet (ganz unabhängig davon, dass alle schuldenfinanzierten Wummse dieser Welt es nicht schaffen können, für stabile Entspannung bei den Energiekosten zu sorgen). Der Osten schneidet gemäß Einschätzung der Unternehmer/innen in der jüngsten TrendOst-Umfrage noch passabel ab, aber für das Gesamt-Panorama gilt leider: „Der Wirtschaftsstandort Deutschland lebt von der Substanz“.

Das letzte große Reformvorhaben, die Agenda 2010, liegt inzwischen sage und schreibe zwei Jahrzehnte zurück. Die Regierungen seit 2005 haben die Früchte dieses Umbaus geerntet, es jedoch nicht mal geschafft, ihn zu erhalten, sondern haben die Reformen mittlerweile völlig zurückgedreht oder konterkariert. Dass es auf dem deutschen Arbeitsmarkt einen nahezu unveränderlichen Pool von rund 2,5 Millionen Langzeitarbeitslosen gibt, ist beredtes Zeugnis dafür.

Ganz abgesehen von immer wieder aufflackernder anekdotischer Evidenz wie vollgesperrte Autobahnbrücken, einer noch immer lückenhaften Mobilfunkabdeckung oder dem Fehlen jeglichen digitalen World Champions, zeigen empirische Daten glasklar das Laissez-faire in Sachen Standortpolitik. Im renommierten Global Competitiviness Report des World Economic Forum landete Deutschland in der letzten vollständigen Ausgabe (2019) auf Rang sieben. Davor war es Rang drei. In der Spezialausgabe des WEF-Reports 2020 mit Fokus auf die Bewältigung der Anfangsphase der Coronapandemie sieht es nicht besser aus. Hier werden spezielle Standort-Facetten herausgegriffen wie beispielsweise flexible Arbeitsplatzgestaltung, Digitalkompetenz oder der Rechtsrahmen für die Digitalisierung. Deutschland schafft es einzig und allein beim letzten Punkt unter die Top Ten und zwar auf Platz neun. Der Chart für die globale Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft zeigt steil nach unten.

Insbesondere die Bürokratielasten sowie die Produktions- und Arbeitskosten gereichen Deutschland zum Nachteil

In einer ähnlichen Analyse aus 2019 kommt das Institut der deutschen Wirtschaft zu nahezu identischen Ergebnissen. Fällt die Platzierung Deutschlands im IW-Ranking der OECD-Staaten mit Platz vier sehr passabel aus, decken die Forscher/innen des Instituts in der Detailsicht Schwächen auf. Insbesondere die Bürokratielasten sowie die Produktions- und Arbeitskosten gereichen Deutschland zum Nachteil. Seit 2013 wurden die Schwächen des Standorts Deutschland gravierender und fiel der Standort in der Attraktivität weiter zurück, gerade weil andere OECD-Staaten ihre Hausaufgaben gemacht und sich verbessert haben. „Fehlende Verbesserungen sind gleichzusetzen mit verschlechterten Chancen auf zukünftiges Wachstum.“, so das IW Köln.

Doch nichts brauchen wir dringender als Wachstumschancen. Diese Sicht mag in Teilen des politischen Spektrums komplett anders ausfallen, dort wo Degrowth – also dem Zurückgehen beim Wohlstandsniveau – das Wort geredet wird. Aber eine solche Sicht verkennt völlig die Wachstumserfordernisse zur Bewältigung der vielzitierten Transformationsherausforderungen.

Standort Ost hält sich im Urteil des Mittelstands passabel. Noch. Denn der Reformstau ist gewaltig. Die Politik muss handeln: echter Bürokratieabbau, tragbare Energiekosten und Wertschätzung für Unternehmertum

Dr. Alexander Schumann,
Leiter Politik und Konjunktur, Sonderprojekte

 

Veröffentlichung: 16. Dezember 2022

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